"Das Interessante am Journalistenberuf, den ich mit denen, die heute hier ausgezeichnet werden, teile, ist, daß wir zwischen den Welten wandern. Unserer Neugier sind keine Grenzen gesetzt und wir sind ständig auf Entdeckungsreise. Dabei liefern wir keine glitzernden Reiseprospekte ab, sondern unsere Arbeit mündet - bestenfalls - in eindrücklichen Schilderungen der Realität, in überzeugenden Analysen und in Reportagen, die Mitgefühl oder Empörung wecken. Wir sind zur Wahrheit und zur Unvoreingenommenheit verpflichtet. Dafür werden wir bezahlt, und manchmal auch ausgezeichnet.
Da wir mit Sprache arbeiten, sind wir sensibel für Worte. Wir beobachten aufmerksam, welche Worte gerade Konjunktur haben. Es gab Zeiten, da stand das Wort sozial auf der Hitliste. Das Megawort heute heißt Business. Diese Vokabel beschreibt den Kult einer neuen Klasse, die sich vom Normalbürger ebenso abheben will wie vom Kaufmann guter alter Provenienz.
Doch der Business-Kult hat vor allem komische Züge. So legt der Mann von Welt morgens seinen Business-Anzug an, informiert sich im Fernsehen über das Business-Wetter, fliegt in der Business-Class zum Business-Lunch, trinkt vor dem Rückflug noch ein Gläschen Tomatensaft in der Business-Lounge und bekleckert sich dabei hoffentlich nicht die Firmenkrawatte.
Ich verstehe bis heute nicht, was den Unterschied zwischen dem Wetter für Handelsvertreter, Bankprokuristen und Firmenchefs - eben dem Business-Wetter - und dem grauen November-Himmel über allen anderen ausmacht. Sinnend stehe ich morgens vor dem Kleiderschrank und suche eine Antwort auf die bewegende Frage, warum der gedeckte Einreiher, den ich heute trage, immer ein gedeckter Einreiher bleibt, während der meines Nachbars im Flugzeug ohne einen Knopf oder einen Abnäher mehr mit dem Präfix "Business" Karriere als Business-Anzug macht.
Wir leben in unterschiedlichen Welten. Es gibt auch die Welt, in der Sie - meine Damen und Herren - tätig sind und aus der die heute ausgezeichneten Journalisten eindrucksvoll berichten: Über die Pflege von Schmerzpatienten und Sterbenden, über Alzheimer-Kranke, bei deren Betreuung die Angehörigen auf die Hilfe durch Fachpersonal angewiesen sind und über das schwierige Leben in der multikulturellen Gesellschaft.
Das ist eine Welt, in der Hingabe, Solidarität und Hilfe für Menschen, die in Not geraten sind, die sich nicht in jeder Lebenslage selber helfen können, zur Berufs- und Lebensmaxime geworden ist. Es ist eine Welt, die auch nicht immer frei ist von menschlichen Eitelkeiten, von Nachlässigkeit und Selbstgerechtigkeit. Die Gefahr, daß man sich in einen Konkon des Gutmenschentums einwebt und sich unempfindlich und unangreifbar für moderne Zeitströmungen und die Gesetze wirtschaftlichen Handels macht, liegt nicht immer ganz fern. Auch soziale Betriebe müssen moderne Betriebe sein - bei der Mitarbeiterführung, beim Service und beim Umgang mit der immer knapper werdenden Ressource Geld.
Wer sich um Schwerkranke und Sterbende kümmert, um Behinderte, um Obdachlose, um anderer Leute Kinder, trifft häufig auf Unverständnis. Viele dieser sozialen Tätigkeiten sind in einer Zeit, wo jeder im permanenten Wettbewerb über den anderen obsiegen soll, mit einem Tabu belegt. Der Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung dieser gesellschaftlich hoch zu schätzenden Arbeit trifft Hauptberufliche ebenso wie Ehrenamtliche.
Ich werde nie vergessen, wie mir ein Landtagsabgeordneter, von Beruf höherer Verwaltungsangestellter, nach einem längeren Krankenhausaufenthalt gestand: "Also, wäre der Krankenschwester die Hand ausgerutscht, hätte sie eine Spritze falsch gesetzt, wäre ich jetzt vielleicht gar nicht mehr unter Euch. Wenn mir mal bei der Arbeit am Schreibtisch die Hand ausrutscht, fällt höchstens eine Akte zu Boden." Seitdem war der Mann der Meinung, Krankenschwestern sollten genau so viel verdienen, wie höhere Verwaltungsangestellte.
Nur wird nicht jede kluge Einsicht sofort in die Tat umgesetzt, zumal das Geld, das Gerechtigkeit schaffen soll, erst mal wo anders locker gemacht werden müßte. Aber was ist Gerechtigkeit - bei der Bezahlung von Mitarbeitern in sozialen Diensten, bei der Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit? Warum bringt die Produktion von umweltbelastenden Weißblechdosen allemal mehr auf das Konto als die lebenserhaltende Tätigkeit im Krankenhaus?
Ist jeder Notar, jeder Arzt, jeder Architekt tatsächlich das Geld wert, das ihm nach der Gebührenordnung für seine Tätigkeit zusteht?
Gänzlich absurd wird die Frage nach dem Wert einer Leistung für die Gesellschaft beim Blick auf Schumi's Millionengage, die er bekanntlich dafür erhält, daß er möglichst schnell und unfallfrei im Kreisverkehr fährt, dabei notfalls auch mal einen anderen auf den Kiesrand drückt oder im richtigen Moment richtig schummelt.
Schumi wird auch fürs Schummeln bezahlt. Bei den Wohlfahrtsverbänden hält man sich besser an andere Regeln. So ungerecht ist die Welt. Wir haben andere Probleme. Da gibt es genaue Berechnungen, wie häufig der oder die Pflegebedürftige geduscht, gefüttert, wie häufig er oder sie von einer Seite auf die andere gebettet werden darf und in welchen Abständen die Windeln gewechselt werden dürfen. Und da stellt sich in jeder dieser Situationen die Frage, wieviel persönliche Zuwendung angesichts der erwarteten Effizienz der Arbeit vom Pflegepersonal noch geleistet werden kann. Es geht um einen wirtschaftlichen Mitteleinsatz und um eine Arbeitsorganisation, die ein Optimum an Hilfe und Zuwendung ermöglichen kann.
Werfen wir einen Blick in die andere Welt.
Selbst wer nicht auf den Vorstandsetagen der großen Konzerne oder beim Fußvolk des mittleren Managements in seinen Business-Anzügen verkehrt, begegnet ihr auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen. Da ist längst der Krieg ausgebrochen. Da schießt das Kapital aufeinander und die Wirtschaftsberichterstattung bietet blutrünstige Reportagen vom Klassenkampf der Multis. Da fürchtet man sich vor feindlichen Übernahmen, entwickelt "Killerapplikationen", da sind Unternehmen "ausersehene Opfer", da bringen sich "Heckenschützen in Position" und nehmen das Opfer ins "Fadenkreuz", dann wird der "strategische Schuß" abgefeuert. Überall ticken "Zeitbomben, die Firmen zerreißen werden", und weltweit kursieren "Todeslisten" von Unternehmen, die es künftig "abzuschießen" gilt. In dieser hochgerüsteten aggressiven Welt gedeihen dann jene Unwörter, die die Gesellschaft für deutsche Sprache Jahr für Jahr auszeichnet. 1996 war die Geburtsstunde der "Rentnerschwemme". Wie eine klebrige Flut, die in alle Winkel kroch und junge Triebe vernichtete, so mußten sich Millionen von Menschen nach einem emsigen Arbeitsleben sprachlich beleidigen lassen.
Die Rentnerschwemme aber war nur Einstieg in eine Hitliste herabsetzender Vokabeln für alle, die in der Wettbewerbsgesellschaft den Kürzeren ziehen. 1997 prägte ein Manager das Unwort "Wohlstandsmüll" - so sagte er in einer Fernseh-Talkshow - für "Leute, die entweder keinen Antrieb haben, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnutzen". Und nachdem die nicht ganz so Leistungsfähigen - die Klientel der Wohlfahrtsverbände - so in die Hände der Müllwerker geraten waren, vergriff sich dann noch ein Ärztefunktionär in den Schubladen von Ironie und Zynismus und präsentierte als Konsequenz staatlicher Sparpläne im Gesundheitswesen publikumswirksam das "sozial verträgliche Frühableben".
Meine Damen und Herren von den Wohlfahrtsverbänden, das alles ist kein Anlaß zur Selbstgerechtigkeit für die guten Menschen, die sich heute hier versammelt haben. Auch die Wirtschaft lernt. Sie nimmt Schritt für Schritt Abschied von den Großsprechern einer neuen und aggressiven Ökonomie, für die das Attribut sozial vor der Markwirtschaft nur ein lächerliches, lästiges Anhängsel war. Ökonomische Phantastereien werden durch Sinn für Realität ersetzt. Risiken werden wieder kalkuliert und nicht blindlings eingegangen. Man will pflichtbewußt mit dem Geld der Aktionäre umgehen, sich nicht durch Worte besoffen machen, sondern wieder besonnen handeln.
Auf dieser Ebene kann sich die Welt des Sozialen mit der Welt der Ökonomie wieder treffen und voneinander lernen. Nicht nur in Aktiengesellschaften, auch in den sozialen Institutionen geht man mit dem Geld anderer um - der Kunden, der Steuerzahler, der Kirchensteuerzahler, der Spender. Auch in sozialen Institutionen ist Benchmarking angesagt, was in diesem Falle nicht heißt, wie können wir es möglichst billig auf Kosten der Kunden machen, sondern wo können wir von anderen in vergleichbaren Situationen lernen, es besser zu machen, unsere Kräfte zu bündeln und für die uns Anvertrauten die optimale Leistung zu erbringen.
Wer mit dem Geld anderer arbeitet - das gilt auch für die soziale Ökonomie - muß öffentlich Rechenschaft abgeben, wie er das Geld einsetzt, was er damit bewirkt und wie er die Gewinne in Zukunftsaufgaben investiert, die unabweisbar auf die Wohlfahrtsverbände zukommen: Die sozialen Probleme der Immigration und der immer älter werdenden Gesellschaft.
Jedwede Art von Ökonomie - die profitorientierte wie die sozialorientierte - braucht Transparenz, um Kunden wie Geldgeber (seien es Spender oder Aktionäre) vom Sinn und von der Zukunftsfähigkeit ihrer Arbeit zu überzeugen.
Hier kann die soziale Ökonomie, wie die Wohlfahrtsverbände sie pflegen, Vorbild werden, denn sie hat nichts zu verstecken. Sie kann guten Gewissens Rechenschaft ablegen und damit Anstöße für notwendige Entwicklungen in unserer Gesellschaft geben. Die vorherrschende "Was habe ich davon"-Gesinnung darf nicht zum gesamtdeutschen Gleichschritt werden. Die Gesellschaft ist mehr als ein Profitcenter und es gibt Werte, die nicht an der Börse gehandelt werden. Deshalb ist es Aufgabe einer sozialen Elite, eine Weltsicht durchzusetzen, die sich nicht nur an Soll und Haben orientiert. Und die Frage "Was habe ich davon?" durch eine andere Frage ersetzt: "Was kann ich für andere tun?"
Insoweit sind sozial engagierte Eliten Trendsetter. Trendsetter für solidarisches Verhalten, die mithelfen, gefährliche Brüche in unserer Gesellschaft zu vermeiden.
Kommen wir zurück zum Journalistenberuf. Wir haben Zugang zu beiden Welten. Wir berichten über unsere Eindrücke und über unsere Erfahrungen aus der Business-Welt, aus dem Politikerleben. Aber es ist auch unsere Aufgabe, täglich über soziale Aufgaben zu berichten und dabei Vorbilder zu präsentieren: Jene, die den Wahlspruch einer solidarischen Gesellschaft befolgen: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es". Das wollen wir auch künftig gerne tun.
Und Ihnen allen in dieser schönen Rotunde der Dresdner Bank sage ich Dankeschön und weiter so!