Gastrede 2017 des Chefredakteurs des ZDF Dr. Peter Frey anlässlich des BAGFW-Politikforums - Verleihung des Deutschen Sozialpreises

„Die große Mauer quer durch unser Land ist weg. Aber am 24. September wurde deutlich: Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen – aber Mauern, die unserem gemeinsamen ‚Wir‘ im Wege stehen“, zitiert ZDF-Chefredakteur Dr. Peter Frey zum Einstieg aus der Rede des Bundespräsidenten zur Deutschen Einheit in Mainz.

Gastrede 2017 des Chefredakteurs des ZDF Dr. Peter Frey anlässlich des BAGFW-Politikforums - Verleihung des Deutschen Sozialpreises

Es gebe vielleicht nicht den einen Riss, der durch Deutschland gehe – dafür seien es aber viele kleine, die aus „Entfremdung, Enttäuschung, Wut und Misstrauen“ entstanden seien.  „Nach Sonntagnacht möchte man hinzufügen: auch bei den etablierten Parteien der Mitte herrscht so viel Misstrauen, dass sie nicht zusammenkommen wollen oder können“, so Frey. Nach dieser Bundestagswahl sei auch Deutschland „offenbar in der Phase des programmatischen Rigorismus angekommen“.  Jedes Abweichen von Grundpositionen stehe „unter Opportunismus- und Kompromiss-Verdacht.“  

 

Zur Debatte, ob die öffentlich-rechtlichen Sender zum AfD-Ergebnis beigetragen hätten, sagte er, dass diese Partei in der Vorwahlberichterstattung des ZDF genauso berücksichtigt worden sei wie die andere Partei, die bis dahin nicht im Deutschen Bundestag vertreten war: die FDP – nach dem Prinzip der abgestuften Chancengleichheit. Es sei natürlich nicht Aufgabe der Medien, die AfD groß zu machen.  „Genau so wenig aber ist es die Aufgabe der Medien, diese Partei kleinzuhalten. Auch ist es nicht der eigentliche Job von uns Journalisten, die Gesellschaft zusammenzuhalten.  Unsere Aufgabe ist es vielmehr, zu berichten,  zu informieren, auch einzuordnen und zu kritisieren“, sagte Frey mit dem Blick auf das Motto der Veranstaltung. „Die Medien müssen kritisch beäugen, was nicht funktioniert. Sie müssen den Finger in die Wunden legen – auch und gerade in die Wunden der Politik, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, Kirchen – und, ja, auch der Wohlfahrtsverbände, wenn es nötig ist.“

 

Probleme könnten nur gelöst werden, wenn sie benannt würden. Insofern trage der Journalismus natürlich entscheidend dazu bei, dass Missstände beseitigt werden – und diese Demokratie funktioniere. „Ein Journalismus, der Distanz wahren muss zu allen Seiten, kann dennoch Nähe und Verständnis schaffen für Schicksale von Menschen, den Zuschauern und Lesern neue Perspektiven, neue Lebensmodelle und Denkmuster aufzeigen“, so Frey weiter. „Missstände benennen, menschliche Schicksale zeigen - all das tun die herausragenden journalistischen Beiträge, die heute zu Recht mit dem Deutschen Sozialpreis gewürdigt werden: Sie zeigen, was ist.“

 

Die großen Qualitätsmedien in Deutschland mit ihren immer noch großen Reichweiten trügen auch insofern zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, indem sie „Fakten transportieren, die von vielen Menschen geteilt werden, indem sie eine Wahrheit, ein Bild von der Welt vermitteln, auf das sich viele Menschen verständigen können“. Wenn man sich in einer Gesellschaft die Menschen nicht mehr einig sei, was wahr ist und was falsch, was Fakt und was Lüge ist, dann sei das gefährlich für die Demokratie. „Nirgendwo lässt sich das besser besichtigen als derzeit in den USA“.   

Es gebe auch hierzulande Gruppen, die sich abkoppelten, die nicht mehr erreichbar seien für die Gesellschaft. Soziale Netzwerke würden diese Fliehkräfte zum Teil noch verstärken, auch wenn die große Fake-News-Welle zur Bundestagswahl ausgeblieben sei. „Misstrauen ist Gift für den Zusammenhalt in der Gesellschaft“, so Frey. „Sie mag in Diktaturen die Menschen im Sinne der Herrschenden disziplinieren. Eine Demokratie braucht dagegen ein Grundvertrauen in ihre Akteure und Institutionen.“

Auch der Erfolg der AfD sei zum Teil Ausdruck eines solchen Misstrauens. Nicht nur gegen die Medien, sondern gegen alle etablierte Institutionen dieser Gesellschaft; die Wirtschaft, die Politik, Kirchen und Gewerkschaften, die Wohlfahrtsverbände.

Es sei wichtig, dass die Medien gerade auch  den Abgehängten, den Frustrierten, den Wütenden, den „Lügenpresse“-Rufern, den Wählern der AfD zuhörten. „Wir müssen sie zu Wort kommen lassen, uns mit ihren Sorgen und Nöten ernsthaft auseinandersetzen. Auch das ist unser Auftrag, gerade auch für uns als Öffentliche-Rechtliche. Aber: Verstehen und analysieren von Ängsten ist etwas anderes als Verständnis haben. Verständnis signalisiert immer auch Empathie.“

Wenn es um Gewalt gegen Politiker oder Journalisten gehe, um Anschläge auf Flüchtlingsheime oder Ausländerhass und Antisemitismus müsse man Haltung zeugen und „sagen, um was es sich hier handelt“.