Podiumsdiskussion zur Zukunft des Sozialen Europas in Brüssel

20. November 2024

Foto: Tobias Kutschka, Caritas – v.l.n.r.: Jakob Mayr, Moderator, ARD-Studio Brüssel; Denis Genton, Direktor für die Europäische Säule sozialer Rechte, GD EMPL, Europäische Kommission; Arianna Santagati-Dzikunu, Leiterin der BAGFW EU-Vertretung; Katrin Langensiepen, MdEP; Isabelle Schömann, stellvertretende Generalsekretärin, Europäischer Gewerkschaftsbund


Nach den Europawahlen und monatelangen Verhandlungen zur Bildung der neuen Europäischen Kommission sind die EU-Institutionen seit dem 01.12.2024 endlich bereit, ihre Arbeit aufzunehmen. Roxana Mînzatu, Exekutiv-Vizepräsidentin für soziale Rechte und Kompetenzen, hochwertige Arbeitsplätze und Vorsorge, wird an einem neuen Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte arbeiten und die erste EU-Strategie zur Armutsbekämpfung vorlegen. Beide Initiativen sollen ab Herbst 2025 veröffentlicht werden.

Die Umsetzung und Weiterentwicklung der Europäischen Säule sozialer Rechte war das Gesprächsthema in der Vertretung des Landes Niedersachsen bei der EU in Brüssel am 20.11.2024. An der Podiumsdiskussion nahmen Vertreter:innen der EU-Institutionen, der Gewerkschaften und der Wohlfahrtsverbände teil: Katrin Langensiepen, MdEP aus Niedersachsen, Denis Genton, Direktor für die Europäische Säule sozialer Rechte in der Europäischen Kommission, Isabelle Schömann, stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes und Arianna Santagati-Dzikunu, Leiterin der BAGFW EU-Vertretung.

Die Veranstaltung bot der BAGFW die Chance, die wichtige Rolle der Wohlfahrtsverbände, ihrer Beschäftigten und Ehrenamtlichen bei der Umsetzung der Europäischen Säule klarzumachen. Die Leiterin der BAGFW EU-Vertretung präsentierte die Forderungen der Wohlfahrtsverbände an die EU-Institutionen und konkrete Lösungsvorschläge zur Bekämpfung von Armut. Sie unterstrich die Bedeutung eines finanziell starken Europäischen Sozialfonds und die Notwendigkeit, Förderprogramme zu öffnen, um besonders benachteiligte Personen zu erreichen. Damit Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit europaweit den gleichen Stellenwert bekommen wie wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zielsetzungen, müssen Mittel für die Stärkung des Problembewusstseins und der Bekämpfung von Stigmatisierung bereitgestellt werden. Die europäische Sozialpolitik muss sich an der Praxis orientieren und die Rahmenbedingungen schaffen, um die Arbeit der gemeinnützigen Sozialwirtschaft zu sichern. 

Der Kommissionsvertreter erklärte, dass wenig Fortschritt gemacht wurde, um die Ziele des aktuellen Aktionsplans zur europäischen Säule sozialer Rechte zu erreichen. Die gesetzten Ziele sollten bis 2030 erreicht werden und werden demnach auch im neu angekündigten Aktionsplan enthalten sein. Die Generaldirektion für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Inklusion möchte mit allen relevanten Akteur:innen arbeiten, um die EU-Strategie zur Armutsbekämpfung zu erarbeiten. Sie zählt auf den Beitrag und die Expertise der Wohlfahrtsverbände und der Gewerkschaften. Die Abgeordnete Langensiepen erinnerte an die Hauptverantwortung der EU-Mitgliedstaaten, Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu erlassen und rief dazu auf, solidarische Bündnisse zu schließen.


Hintergrundinformationen

 

Die Europäische Säule sozialer Rechte wurde 2017 vom Europäischen Parlament, dem Rat der EU und der Juncker-Kommission verkündet, um die Asymmetrie zwischen den bestehenden wirtschafts- und sozialpolitischen Instrumenten zu überbrücken. Die Säule legt 20 Grundsätze und Rechte fest, die für faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialschutzsysteme unerlässlich sind. Sie ist in drei Kapitel gegliedert: i) Chancengleichheit und Zugang zum Arbeitsmarkt, ii) faire Arbeitsbedingungen und iii) Sozialschutz und Inklusion.

Der Übergang zu einem auf Grundsätzen und Rechten basierenden Ansatz markierte einen wichtigen Paradigmenwechsel in der europäischen Sozialpolitik. Laut der Europäischen Kommission soll die Säule als politischer Kompass dienen, um die EU durch ihre sozialen und wirtschaftlichen Krisen zu steuern. Sie soll dazu beitragen, ein stärkeres Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Zielen und sozialen Notwendigkeiten zu erreichen und soziale Fragen über die makroökonomische Stabilität hinaus anzugehen.

Die Säule steht im Einklang mit einigen zentralen Grundsätzen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, siehe u.a. Artikel 151 AEUV. Eine Zusammenfassungen der EU-Gesetzgebung im Bereich der Sozialpolitik ist hier zu finden.

Im Jahr 2021 verabschiedete die Kommission einen Aktionsplan zur Umsetzung der Säule und formulierte drei Ziele, die bis 2030 erreicht werden sollen:

  • Mindestens 78 % der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren sollten in Beschäftigung sein, was bedeutet, dass das geschlechtsspezifische Beschäftigungsgefälle mindestens halbiert werden muss; 

  • Mindestens 60 % der Erwachsenen sollten jedes Jahr an einer Weiterbildung teilnehmen, und mindestens 80 % der 16- bis 74-Jährigen müssen Zugang zu grundlegenden digitalen Fertigkeiten erhalten. 

  • Die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen sollte um mindestens 15 Millionen gesenkt werden, darunter 5 Millionen Kinder.

Das wichtigste Instrument zur Umsetzung der Säule ist der Europäische Sozialfonds Plus (ESF+).