Positionspapier der BAGFW zu Dienstleistungskonzessionen

Die Europäische Kommission erwägt eine gesetzgeberische Initiative zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen. Im Arbeitsprogramm der Kommission für 2010 wird im Annex II - Wichtige Vorschläge, die 2010 und darüber hinaus in Betracht gezogen werden und mögliche Vorhaben für den Rest der Amtszeit darstellen - eine „Initiative im Bereich der Konzessionen“ angekündigt und eine Konsultation eingeleitet. Bereits im Vorjahr hatte die Kommission über ihre Überlegungen berichtet, die Transparenz, die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsakteure und somit die Rechtssicherheit in Vergabeverfahren für Dienstleistungskonzessionen zu verbessern. Die Bestrebungen der Kommission haben den Hintergrund, dass die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in den materiellen Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG sowie in Rechtsmittelrichtlinien detailliert geregelt ist, für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen jedoch keinerlei sekundärrechtliche Vorgaben bestehen.

Einleitung

 

Die Europäische Kommission erwägt eine gesetzgeberische Initiative zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen. Im Arbeitsprogramm der Kommission für 2010 wird im Annex II - Wichtige Vorschläge, die 2010 und darüber hinaus in Betracht gezogen werden und mögliche Vorhaben für den Rest der Amtszeit darstellen - eine

„Initiative im Bereich der Konzessionen“ angekündigt und eine Konsultation eingeleitet. Bereits im Vorjahr hatte die Kommission über ihre Überlegungen berichtet, die Transparenz, die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsakteure und somit die Rechtssicherheit in Vergabeverfahren für Dienstleistungskonzessionen zu verbessern. Die Bestrebungen der Kommission haben den Hintergrund, dass die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in den materiellen Richtlinien 2004/17/EG und

2004/18/EG sowie in Rechtsmittelrichtlinien detailliert geregelt ist, für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen jedoch keinerlei sekundärrechtliche Vorgaben bestehen.

 

Anwendungsbereich einer möglichen Initiative zu den Dienstleistungs- konzessionen

 

Bisher gibt es keine eigenständige europarechtliche Definition des Begriffs

„Konzession“. Die Vergaberechtskoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG grenzt in Art.

1 Abs. 4 „Dienstleistungskonzessionen“ lediglich negativ vom „öffentlichen Dienstleistungsauftrag“ ab. Demnach ist das entscheidende Tatbestandsmerkmal der Charakter der Gegenleistung. Anders als beim öffentlichen Auftrag besteht diese bei Dienstleistungskonzessionen „in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises“.

 

Sollte eine gesetzgeberische Initiative mit dem Ziel auf den Weg gebracht werden, Dienstleistungskonzessionen dem öffentlichen Auftragsrecht zu unterwerfen, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen dies für die Leistungserbringung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis hätte, da die dort vorgesehenen Leistungsvereinbarungen gewisse Ähnlichkeiten mit Dienstleistungskonzessionen aufweisen.

 

Aufgrund der bisher fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Definition müsste eine mögliche europäische Regelung zunächst ihren Anwendungsbereich festlegen. Aus unserer Sicht fällt, mangels exklusiven Charakters der Vereinbarungen, der Abschluss von Leistungsvereinbarungen nach den Regelungen des

 

 

 

sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses nicht unter einen möglichen europäischen

„Dienstleistungskonzessionsbegriff“. Der exklusive Charakter der Dienstleistungskonzession zeichnet sich dadurch aus, dass der ausgewählte Anbieter über eine gewisse Ausschließlichkeit des Nutzungsrechts verfügt, also keine Anbieterkonkurrenz mehr gegeben ist.

 

Dies wird auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bestätigt, wonach beim Vorliegen von Dienstleistungskonzessionen stets eine exklusive Auswahlentscheidung zu Gunsten einzelner Anbieter/Konzessionsnehmer gegeben war (vgl. etwa EuGH Rs. C-206/08, WAZV Gotha, Rn. 12 ff.; C-231/03, Coname, Rn. 4 ff.; C-458/03, Parking Brixen, Rn. 13 ff. und C-324/98, Teleaustria, Rn. 18 ff.). Für die Annahme einer gewissen Ausschließlichkeit des Nutzungsrechts spricht auch die „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht“ (ABl. C 121 vom 29.04.2000). Dort

beschreibt die Kommission Konzessionen als staatliche Akte, durch die einem Dritten „die vollständige oder teilweise Durchführung von Dienstleistungen“1 übertragen werden.

 

Demgegenüber geht das Leistungserbringungsrecht im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis von einer Anbietervielfalt aus. Eine Angebotssteuerung durch den Sozialleistungsträger erfolgt nicht. Vielmehr steht der Wettbewerb für soziale Dienstleistungen im Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses allen potentiellen Leistungserbringern offen. Dabei bedarf es aber nicht des öffentlichen Auftragsrechts, um die europarechtlichen Wettbewerbsgrundsätze zu verwirklichen und diesen Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten chancengerecht und transparent zu gestalten. Im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis findet, anders als in der öffentlichen Auftragsvergabe, zwischen den verschiedenen Anbietern sozialer Dienstleistungen ein permanenter Wettbewerb um die Nutzer statt.

 

Primärrechtskonforme Gestaltung des Wettbewerbs im sozialrechtlichen

Dreiecksverhältnis

 

Auch wenn die besonderen Regelungen für die Auftragsvergabe nicht zur Anwendung kommen, entsteht kein wettbewerbsrechtliches Vakuum. Vielmehr verlangt der EuGH, dass solche Vorgänge jedenfalls den primärrechtlichen Wettbewerbsgrundsätzen genügen. Hierbei stellt der EuGH vornehmlich auf das weit auszulegende Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV ab (so EuGH C-

275/98 v. 18.11.1999 Unitron Scandinavia, Rn. 31; C-324/98 v. 7. Dezember 2000

Teleaustria, Rn. 60 f.; C-231/03 v. 21. Juli 2005, Coname Rn. 16; C-458/03 v. 13. Oktober 2005, Parking-Brixen Rn. 46). Weitere Rechtsgrundlagen sind Art. 49 und

56 AEUV, die mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit besondere Ausprägungen des Diskriminierungsverbotes regeln (EuGH Coname, Rn. 19; Parking-Brixen Rn. 46 unter Verweis auf C-111/91 vom 10. März 1993

Kommission/Luxemburg, Rn. 17; C-337/97 v. 8. Juni 1999, Meeusen, Rn. 27; C-294/97 v. 26. Oktober 1999 Eurowings Luftverkehr Rn. 33).

 

 

 

 

 

1 ABl. C 121/5 vom 29.04.2000.

 

 

 

Das Diskriminierungsverbot schützt Angehörige der EU-Mitgliedstaaten davor, in anderen Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit benachteiligt zu werden. Insbesondere tragen die Mitgliedstaaten die Verantwortung dafür, dass auch Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten von einem stattfindenden Wettbewerb erfahren und sich – sofern dieser für sie von Interesse ist – mit denselben Erfolgschancen wie die eigenen Staatsangehörigen an dem laufenden Wettbewerb beteiligen können (EuGH C-231/03 Coname Rn. 18, Parking-Brixen

Rn. 48 unter Verweis auf C-87/94 v. 25. April 1996 Kommission/Belgien, Rn. 33 und

54). Die praktische Umsetzung dieser Chancengleichheit stellt im konkreten Fall

die transparente Verfahrensgestaltung in zweierlei Hinsicht sicher (EuGH C-324/98

Teleaustria Rn. 61, C-458/03 Parking Brixen Rn. 49).

 

Zum einen müssen die Mitgliedstaaten und ihre Verwaltungen durch eine angemessene Form der Bekanntmachung die nachgefragte Dienstleistung dem Wettbewerb öffnen und Bieter auf diesen Wettbewerb aufmerksam machen (EuGH C-458/03 Parking Brixen C-458/03 Rn. 50, 55). Zudem muss aus den Verfahrensakten selber nachvollziehbar hervorgehen, dass die Verfahren unparteiisch geführt worden sind.

 

Um den europäischen Wettbewerbsgrundsätzen zu genügen, muss das deutsche Leistungserbringungsrecht deshalb sicherstellen, dass ausländische Bewerber dieselben Leistungsbedingungen und Chancen auf Zugang zum Wettbewerb vorfinden wie diese auch für deutsche Leistungsinteressenten gelten. Ihnen müssen die Voraussetzungen und Bedingungen für den Wettbewerbszugang gleichermaßen wie für deutsche Bewerber zugänglich und bekannt gemacht werden. Schließlich müssen die Verfahrensunterlagen der Leistungsträger so vollständig und

transparent sein, dass im Nachhinein eine Überprüfung des Vorgangs möglich ist.

 

Für die Erbringung sozialer Dienstleistungen auf der Grundlage des deutschen Sozialrechtes sind zwei Grundsätze maßgeblich: Das Subsidiaritätsprinzip weist dem Staat zwar die Rolle als Garant sozialer Absicherung, nicht aber die als Motor sozialer Leistungen zu. Für eigene Aktivitäten des Staates als Leistungserbringer ist deshalb nur Raum, wenn entsprechende Leistungsangebote freier, also nichtstaatlicher Wohlfahrtsträger fehlen. Dem entspricht das Wunsch- und

Wahlrecht derjenigen, die soziale Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Sie können unter mehreren geeigneten Leistungsangeboten auswählen; eine hoheitliche Steuerung durch Zuweisung der Leistungsberechtigten zu einem bestimmten Anbieter ist damit ausgeschlossen.

 

Bei der Umsetzung dieser Grundprinzipien entsteht ein Dreiecksverhältnis, bei dem sich die staatlichen, sog. Leistungsträger, nichtstaatliche Leistungserbringer (Dienstleister) und Leistungsberechtigte (Nutzer der Dienstleistung) in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen gegenüberstehen. Besonders deutlich tritt dieses bei der Leistungserbringung im Rahmen der Sozialhilfe nach dem 12. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) hervor. Vergleichbare Konstellationen treten im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), der Pflegeversicherung (SGB XI) und bei der Inanspruchnahme von Krankenpflegeleistungen (SGB V) auf. Im Kern angelegt ist diese auch für die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose (SGB II).

 

Während sich das Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem staatlichen Sozialhilfeträger durch einen Leistungsbescheid und das

 

 

 

Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer durch einen privatrechtlichen Dienstleistungsvertrag regelt, ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungserbringer und Leistungsträger durch eine sozialrechtliche Besonderheit geprägt: Um sicherzustellen, dass sich die Kosten für die in Anspruch genommenen Leistungen in einem angemessenen Rahmen bewegen, vereinbart der Leistungsträger mit dem Leistungserbringer, welche Leistungen die Leistungserbringer anbieten und welche Vergütungen sie dafür erhalten (§ 76 SGB XII). Diese sog. Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen regeln damit die allgemeinen Modalitäten, unter denen geeignete Leistungserbringer mit ihrem individuellen Leistungskonzept am Wettbewerb teilnehmen und für die dann erbrachten Leistungen refinanziert werden. Der für diese Refinanzierung ausschlaggebende Leistungsaustausch findet allein zwischen dem Leistungs- berechtigten und der Einrichtung statt.

 

Damit weist das sozialrechtliche Wettbewerbsgeschehen zwei markante Unterschiede zu dem Wettbewerb im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung auf: Zum einen bestimmen die Leistungserbringer, ob und wann sie die Initiative für eine Zulassung zur Leistungserbringung ergreifen. Zum anderen markiert im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis der Abschluss der Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen zwischen den Leistungserbringern und dem Sozialhilfeträger den Anfang und nicht den erfolgreichen Abschluss des Wettbewerbs. Da die Vereinbarungen keinen exklusiven Charakter haben, sondern vielmehr eine Anbietervielfalt besteht, treffen die Leistungsberechtigten unter den zugelassenen Konkurrenten ihre Auswahl und entscheiden damit den Wettbewerb. Unter diesen Umständen besteht dann freilich kein Anlass für die Leistungsträger, mit öffentlichen Bekanntmachungen einen Wettbewerb in Gang zu setzen.

 

Bei allen Unterschieden zum klassischen Vergabewettbewerb lässt sich gleichwohl feststellen, dass auch das hier beschriebene Wettbewerbssystem den Anforderungen des EuGH an Transparenz und Chancengleichheiten gerecht wird.

 

Soweit das Transparenzgebot sicherstellt, dass Leistungen für den Wettbewerb freigegeben sind und Interessenten eine informierte Entscheidung darüber treffen können, ob dieser Wettbewerb für sie interessant ist, geben die geltenden gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen hinreichende Hinweise. Aus diesen ergeben sich die Voraussetzungen für den Zugang zur refinanzierten Leistungserbringung, die Kriterien für die Zulassung, die Zuständigkeit der Sozialleistungsträger und welche untergesetzlichen Regelungen (Empfehlungen

und Landesrahmenverträge) für die Leistungserbringung gelten. Diese Information ist öffentlich zugänglich und steht damit inländischen Interessenten wie Bewerbern aus anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung.

 

Transparenz als Garantie korrekter Verfahrensabläufe gewährleistet das Akteneinsichtsrecht aus § 25 SGB X. Aufgrund dieser Akten können die Betroffenen nachvollziehen, über welche Verfahrensschritte der Sozialhilfeträger zu seiner Entscheidung gelangt ist und welche Erwägungen der Entscheidung zugrunde gelegen haben, bzw. Verfahrensfehler rügen, wenn es Anhaltspunkte für eine unsachgemäße Entscheidung gibt.

 

Insbesondere stellt die Verlagerung des Wettbewerbs in das Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Leistungsberechtigten Chancengleichheit her.

 

 

 

Denn mit den Vereinbarungen öffnet der Leistungsträger nicht einem einzigen Anbieter (oder einer vorher festgelegten Anzahl von Anbietern) den Zugang zu Nachfragern, sondern ermöglicht allen geeigneten Anbietern, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst um Kunden zu bewerben. Verglichen mit der öffentlichen Auftragsvergabe stellt dieses Verfahren die freiheitlichere und flexiblere Form der Ausgestaltung des Wettbewerbs bei der Erbringung sozialer Dienste dar. Während öffentliche Auftragsverfahren regelmäßig zu einer Dominanz des Preiswettbewerbs führen, herrscht im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ein Leistungswettbewerb der Einrichtungen und Dienste um die Leistungsberechtigten vor.

 

Resümee

 

Ob tatsächlich ein Bedarf für eine gesetzgeberische Initiative hinsichtlich Dienstleistungskonzessionen besteht, ist zweifelhaft, da konkrete primärrechtliche Vorgaben für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen vorliegen. Nach der umfangreichen Rechtsprechung des EuGH sind hierbei insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz zu berücksichtigen. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Erwägung ist jedoch festzustellen, dass die sozialrechtliche Leistungserbringung nicht im Rahmen von Dienstleistungskonzessionen erfolgt: Die Leistungserbringung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis beruht nicht auf einer für Dienstleistungskonzessionen erforderlichen Exklusivität, sondern auf einer Vielfalt der Anbieter.