Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. In unserem Verbund sind ca. 600 Betreuungsvereine, sowie ca. 140 Vormundschaften führende Vereine aktiv. In den Arbeitsfeldern Altenhilfe, Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe mit ihren zahlreichen Diensten und Einrichtungen erfahren Menschen Beratung, Begleitung und Unterstützung.
Wir begrüßen das gesetzgeberische Ziel, durch eine Sonderzahlung einen Inflationsausgleich zu schaffen, um der existenzbedrohenden Notlage der Betreuungsvereine entgegenzuwirken. Leider wird dieses Ziel mit dem vorliegenden Entwurf nicht zu erreichen sein, da die hierfür verantwortlichen Probleme nicht gelöst werden.
Warum ist dies so?
I. Kein Ausgleich von Liquiditätsengpässen durch ein Inkrafttreten vor dem 1. Januar 2024
Die BAGFW begrüßt, dass das Gesetz einen Inflationsausgleich bringen soll. Allerdings wird diese Entlastung für viele Betreuungsvereine zu spät kommen, um eine Insolvenz abwenden zu können.
Viele unserer Betreuungsvereine richten ihre vertraglich vereinbarte Vergütung am TVöD aus. Das bedeutet, dass sie nicht nur die vom Gesetz abzudeckenden Tarifsteigerungen ab 2024, sondern mangels einer Dynamik im VBVG bereits seit 2022 die seither vereinbarten Steigerungen innerhalb des TVöD zusätzlich, d.h. aus Eigenmitteln, finanzieren mussten. Hierfür haben viele Betreuungsvereine bereits in der Vergangenheit ihre Reserven eingesetzt und mittlerweile ihre finanziellen Spielräume vollständig ausgereizt. Der bereits eingetretene Substanzverlust in der Liquidität der Vereine macht es ihnen nicht möglich, auch die für das Jahr 2023 vorgesehenen substanziellen TVöD-Leistungen zu finanzieren. Darüber hinaus wird die im Jahr 2024 zu erwartende Inflationssteigerung im Gesetzesentwurf gar nicht berücksichtigt.
Hierdurch steigt die Insolvenzgefahr von Betreuungsvereinen weiter an, was die Versorgungssicherheit sowohl bei Betreuungen als auch hinsichtlich der wichtigen Unterstützung der ehrenamtlich rechtlichen Betreuer:innen gefährdet. Für die Existenzsicherung der Betreuungsvereine ist daher ein rückwirkendes Inkrafttreten zum 1. Januar 2023 zwingend erforderlich.
Die Begrenzung der Geltungsdauer des Gesetzes bis zum 31.12.2025 berücksichtigt nicht, dass die Vergütung für rechtliche Betreuungen ab dem 1.1.2026 auf das aktuelle Niveau zurückfallen wird. In der seit 1.1.2023 geltenden Reform ist die Evaluation des VBVG bis Ende 2024 angeordnet. Doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass es ab 1.1.2026 bereits neue Regelungen geben wird.
Daher muss die Geltungsdauer bis zum In-Kraft-Treten der Neufassung des VBVG aufgrund des Ergebnisses der Evaluierung verlängert werden.
Alle für die Betreuungsvereine beschriebenen, finanziellen Belastungen treffen auch auf die (Betreuungs- und) Vormundschaftsvereine zu. Deswegen muss der Geltungsbereich des Gesetzes unbedingt auch auf die Vormundschaftsvereine ausgeweitet werden.
II. Höhe und Ausgestaltung der Inflationsausgleichs-Sonderzahlung
Die Ausgestaltung der Inflationsausgleichs-Sonderzahlungen folgt einer auf Arbeitnehmer:innen oder Soloselbständigen fixierten Logik, die nicht die Rolle der Betreuungsvereine als tarifgebundene Arbeitgeber berücksichtigt.
1. Keine Berücksichtigung aller relevanten Erhöhungen im TVöD-SuE
Die Berechnung der Inflationsausgleichsprämie knüpft zwar an den TVöD-Vergütungstabellen an. Sie berücksichtigt aber nicht alle für unsere Betreuungsvereine vergütungsrelevanten Tarifentwicklungen.
So erhalten vollzeitbeschäftigte Sozialarbeitende in der Entgeltgruppe SuE 12 seit dem 1. Juli 2022 eine Zulage in Höhe von 180,00 € monatlich und zwei zusätzliche Regenerationstage (2 Tage kalenderjährlich bei einer 5-Tage Woche). Durch diese Regelung entsteht für die Betreuungsvereine eine zusätzliche Erhöhung der Lohnkosten von mindestens 225 Euro (180 € + 25 % AG-Brutto) pro Vollzeitstelle, die seit Herbst 2022 zu bestreiten ist. Diese Zulage wurde bei der Berechnung der Inflationsausgleichszahlung gar nicht berücksichtigt.
2. Berechnung der Inflationsausgleichs-Sonderzahlung anhand des Arbeitnehmerbrutto.
In ihrer Rolle als Arbeitgeber zahlen die Betreuungsvereine der BAGFW die tariflich vereinbarten Entgelte als Arbeitgeberbrutto. Den Berechnungen im Gesetzesentwurf liegt das Arbeitnehmerbrutto zugrunde, was dadurch hinter den tatsächlichen Kosten zurückbleibt
3. Keine Berücksichtigung inflationsbedingter Kostensteigerungen
Obwohl der Gesetzentwurf den Titel „Gesetz zur Regelung einer Inflationsausgleichs-Sonderzahlung (…)“ trägt, erhalten Betreuungsvereine keine Unterstützung zur Milderung ihrer inflationsbedingten Kostensteigerungen. Diese betreffen insbesondere die Sachkosten eines Arbeitsplatzes. Die Berechnung der VBVG-Vergütung aus dem Jahr 2019 (Bt-Drs. 19/8964) hatte hierfür 7810 Euro pro Jahr angesetzt. Um die inflationsbedingten Kostensteigerungen, wie z.B. gestiegene Mobilitätskosten, aus den Jahren 2021 und 2022 auszugleichen, müsste dieser Ansatz um mindestens 10 % steigen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass neben den direkten Kosten für den Arbeitsplatz bei den Betreuungsvereinen auch die sogenannten Overheadkosten anfallen.
4. Gefährdung der Mischkalkulation durch das neue Schonvermögen im Rahmen des Bürgergelds
Mit der Einführung des Bürgergeldes wurden die Schonvermögensgrenzen erhöht. Dies begrüßt die BAGFW. Allerdings bewirkt diese Ausweitung des Schonvermögens, dass bislang bestehende Vergütungsansprüche der Betreuungsvereine unmittelbar gegen zu betreuende Leistungsberechtigte künftig entfallen. Damit verändern sich auch die Rahmenbedingungen und Kalkulationsgrundlagen für das ohnehin diffizile und fragile System der Mischkalkulation noch stärker und stellen dieses in Frage.
III. Fazit: Keine Abwendung der existenzgefährdenden Situation für Betreuungsvereine
Wir weisen darauf hin, dass auch bei Umsetzung des vorliegenden Entwurfes das wirtschaftliche Überleben der Betreuungsvereine weiterhin bedroht ist. Um dieser Gefahr zu begegnen, braucht es zum einen das rückwirkende Inkrafttreten der Inflationsausgleichs-Sonderzahlung zum 1. Januar 2023, zum anderen müssen die Kostenbestandteile, die aus der Rolle als Arbeitgebende entstehen, in die Berechnung der Inflations-Sonderzahlung einfließen. Ohne eine solche Berücksichtigung ist leider keine nachhaltige Abwendung der angespannten wirtschaftlichen Situation zu erwarten. Im Sinne der Sicherstellung der Versorgungsinfrastruktur sowie der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist der Gesetzgeber angehalten, die aufgezeigten Aspekte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu berücksichtigen.