Einleitung und Zusammenfassung
Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Spitzenverbände bedanken sich beim Kuratorium Deutsche Altershilfe eine Bewertung zur Entwurfsfassung der Güte- und Prüfbestimmungen zum Gütezeichen “Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ abgeben zu können.
Die Anwerbung von Pflege(fach)kräften aus Drittstaaten kann als Teilstrategie einen zusätzlichen Beitrag zur Bekämpfung der gegenwärtigen Personalnot im Gesundheits- und Pflegesektor leisten. Internationale Pflegefachkräfte müssen nicht nur gut auf ihre Tätigkeit vorbereitet werden, vielmehr sind durch die Leistungserbringer Integrationsleistungen, wie Unterbringung, Sprachkurse und Mobilitätshilfen, auch außerhalb des Berufslebens sicher zu stellen. Neben dem Globalen Verhaltenskodex der WHO für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften sind kaum Maßstäbe guter Praxis für ethisch vertretbare Personalgewinnung in Drittstaaten vorhanden. In Anbetracht des entstandenen undurchsichtigen Marktes für die Anwerbung von Pflegepersonal begrüßt die BAGFW die Weiterentwicklung eines Gütesiegels zur Bescheinigung von ethischen, nachhaltigen und qualitativ hochwertigen Personalgewinnungsprozessen, das sowohl von privaten Personalvermittlern als auch den Leistungserbringern erworben werden kann.
Fraglich bleibt, ob das Prüfsystem ausreicht, um Qualitätsstandards sowohl in den Herkunftsländern als auch nach der Einreise der Adressaten in Deutschland zu gewährleisten. Unklar bleibt dabei vor allem, welche Maßnahmen in den Herkunftsländern ergriffen werden, damit Menschen besser zwischen seriösen und unseriösen Anbietern, die immer wieder von den Adressaten Geld oder einen Teil der ersten Monatslöhne verlangen bzw. in unseriöse Beschäftigungsverhältnisse vermitteln, unterscheiden können.
Nachfolgend die konkrete Bewertung und Änderungsvorschläge der in der BAGFW kooperierenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege im Einzelnen:
1. Grundlagen, Ziele, Geltungsbereiche und Durchführungsbestimmungen
Das Gütesiegel “Faire Anwerbung Pflege Deutschland” legt entsprechend des Auftrags des Gesetzes zur Sicherung der Qualität der Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland Anforderungen für ethische und transparente Anwerbung, für selbständig, anwerbende Leistungserbringer und private Personalserviceagenturen (PSA) fest. Die bisher vier entwickelten Gütebereiche umfassten Anforderungen zur “Informationsbereitstellung bei der Erwerbsmigration in die Pflege nach Deutschland” (GB I), Anforderungen zur “Unternehmensverantwortlichkeit” (GB II), “Gewährleistung der Transparenz im Vermittlungsprozess für int. Pflegekräfte” (GB III) und “Gewährleistung der Transparenz im Vermittlungsprozess für Kunden” (GB IV, richtet sich nur an PSA). GB III und GB IV werden eine besseren Übersichtlichkeit wegen nun miteinander verbunden. Der neue Gütebereich III trägt nun den Titel „Gewährleistung der Transparenz im Vermittlungsprozess“.
Die Zusammenführung der Güte- und Prüfbestimmungen sowie der Durchführungsbestimmungen ist für die Übersichtlichkeit und das Verständnis förderlich und wird begrüßt, da insbesondere in Punkt 5 („Prüfung und Überwachung“) und den Durchführungsbestimmungen (Punkt 6) zentrale Hinweise aufgeführt sind, wie das Gütesiegel erteilt wird und anschließend benutzt werden kann. Die vorherige Trennung dieser Informationen in zwei Dokumenten war an dieser Stelle hinderlich.
Es ist positiv zu bewerten, dass die leitenden sechs Prinzipien nicht nur als Spiegelstriche benannt, sondern auch erklärend dargestellt sind.
Um das unternehmerische Risiko bei den anwerbenden Einrichtungen und Diensten einzudämmen, müssen die PSA verpflichtet werden, im Vorfeld den anwerbenden Einrichtungen und Diensten zu erläutern, mit wem Sie im Anwerbeland zusammenarbeiten.
Das würde in jedem Fall dem 4. Prinzip „Transparenz zu Strukturen, Leistungen und Kosten“ entsprechen.
Zum Abschluss wird darauf verwiesen, dass Gütezeichen tragende Unternehmen verpflichtet sind „die damit verbundenen Anforderungen auch in Eigenüberwachung einzuhalten“. Der hier entfallene Passus „und einer neutral durchgeführten Fremdüberwachung“ sollte wieder eingefügt werden.
3. Güte- und Prüfbestimmungen
Die Bestandteile des Gütesiegels legen in erster Linie Pflichten zur transparenten Informationsbereitstellung für Fragen im Anwerbe- und Integrationsprozess von entsprechend betroffenen Pflegekräften oder anwerbenden Leistungserbringern (Kunden) fest. Das Gütesiegel stellt nur in wenigen Bereichen konkrete Handlungsrichtlinien für ethisch vertretbare Anwerbeprozesse auf.
Die Überprüfung der Einhaltung der Anforderungen zur Informationsbereitstellung und Transparenz etc. kann sich mitunter als schwierig gestalten, denn es reicht nicht, wenn den internationalen Pflegekräften eine Fülle an Informationsmaterialien an die Hand gegeben wird. Vielmehr muss Sorge getragen werden, dass dieses Material ohne Hürden zugänglich ist und dass insbesondere aufenthaltsrechtliche Informationen bereits vor der Entscheidung zur Ausreise von den Angeworbenen auch verstanden werden. Hierfür ist zu überlegen, wie die bestehende Migrationsberatungsstruktur in Deutschland konkret eingebunden werden kann.
Kriterium 1.1 Weitergabe der Informationsbroschüre
Wir regen an, in der Übersicht in Kapitel 2 einen Link zu der Broschüre „Informationen zur Erwerbsmigration in die Pflege nach Deutschland“ aufzunehmen.
Der Gütebereich 1 gilt als erfüllt, wenn die Broschüre die anzuwerbende Person erreicht hat. Dass die Broschüre die Pflegefachperson erreicht, ist aus unserer Sicht nicht ausreichend. Wesentlich ist, dass die anzuwerbende Person die Inhalte der Broschüre verstanden hat und das an die anwerbende Institution rückmeldet, bzw. dort offene Fragen klären kann.
Die bisherige Ausführung zur Weitergabe der Informationsbroschüre unter 1.1.1 „in deutscher sowie in den für die Rekrutierungsländer relevanten Sprachen“ halten wir für nicht ausreichend. Es sollte vielmehr heißen: „in einer präzisen Kommunikationsform“.
Kriterium 2.1 Grundsatzerklärung
deutscher sowie in den für die Rekrutierungsländer relevanten und verständlichen Sprache, in
Unter 2.1.4 wird erklärt, dass die Grundsatzerklärung einen Hinweis enthält, die eine Selbstverpflichtung dahingehend vorsieht, dass von der internationalen Pflegefachperson
- weder direkt oder indirekt Vermittlungskosten
- noch Kosten für unmittelbar und mittelbar mit der Vermittlung zusammenhängende Leistungen zu erheben (Employer-Pays-Prinzip) ist. Dieses gelte für die gesamte Dienstleistungskette.
Das steht im Widerspruch zu Rückzahlungs- oder Bindungsklauseln, die mittelbar Kosten für den Vermittlungsprozess auf die der Pflegefachperson überträgt. Dies sei am Beispiel der Broschüre zum Thema Rückerstattung erläutert:
Das in der Broschüre auf S. 18 zu Bindungs- und Rückzahlungsklauseln beschriebene Prozedere ist korrekt. Diese sind an sich zulässig, häufig aber in der konkreten Formulierung unwirksam. Wie soll es einer im Ausland angeworbenen Pflegefachperson gelingen, die Wirksamkeit und/oder Angemessenheit der Bindungs- und/oder Rückzahlungsklauseln zu prüfen? Der Verweis auf Anwälte und Gerichte an dieser Stelle ist für die Betroffenen wenig hilfreich. Bei der Hilfe durch Beratungsstellen wird auf ein Kapitel 6.4 verwiesen, welches in der Broschüre nicht existiert.
Die Informationen auf Seite 17 der Broschüre bedürfen dringend einer Korrektur: Die Aussagen „Im Pflegebereich kommt es doch häufig vor, dass Sie keinen individuellen Arbeitsvertrag erhalten, sondern über einen Tarifvertrag angestellt werden.… liegt ein Tarifvertrag vor, haben die darin enthaltenen Regelungen Vorrang vor gesetzlichen Bestimmungen.“ sind unzutreffend und müssen daher korrigiert bzw. präzisiert werden. Die Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist immer der Arbeitsvertrag – indem die Tarifbindung grundsätzlich geregelt werden muss. Des Weiteren haben Tarifverträge keinen generellen „Vorrang“ vor gesetzlichen Regelungen. Sie müssen sich in deren Rahmen bewegen und können nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie gesetzlichen Öffnungsklauseln oder aufgrund des Günstigkeitsprinzips vorrangig anwendbar sein. Unabhängig von der Bindung des Arbeitgebers durch einen Tarifvertrag sind Pflegeeinrichtungen beim Abschluss eines Versorgungsvertrags durch das GVWG verpflichtet, Pflegekräfte nicht unterhalb der regionalen Tarife zu entlohnen (§ 72 Abs. 3a und 3b SGB XI).
In der Broschüre werden die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses über die der Arbeitgeber informieren muss, aufgelistet. Es fehlt jedoch der Hinweis auf das Nachweisgesetz, das alle Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitskraft schriftlich über die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses zu informieren. Das kann durch eine unterschriebene Niederschrift erfolgen oder einen detaillierten Arbeitsvertrag.
Bzgl. des in 2.2.6 beschriebenen Integrationsmanagementkonzepts (IMK) ergeben sich Neuerungen für die Vorhaltung auf Seiten der arbeitgebenden Einrichtungen. In vorheriger Version durften PSA nur mit Einrichtungen kooperieren, die ein IMK vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags in Landessprache der Pflegefachperson vorlegen konnten. Mit den Neuerungen steht die Einrichtung weiterhin in Verantwortung ein IMK vorzulegen. Sollte dies nicht geschehen steht es jedoch der anzuwerbenden Pflegefachkraft frei, dennoch einen Arbeitsvertrag bei der Einrichtung über die PSA zu unterzeichnen. Diese Änderungen hinsichtlich höherer Eigenverantwortlichkeit bei den Einrichtungen werden begrüßt.
Kriterium 2.2 Allgemeine Geschäftsbedingungen / Anwerbebedingungen
Unter 2.2.1 wird eine Selbstverpflichtung zu fairer und ethischer Anwerbe- und Vermittlungspraxis entsprechend der sechs Leitprinzipien des Gütezeichens “Faire Anwerbung Pflege Deutschland“, erwähnt. In der Aufzählung folgt die „Angemessenheit des wirtschaftlichen Risikos für Pflegefachpersonen“. Wir weisen darauf hin, dass ein wirtschaftliches Risiko nicht bei den anzuwerbenden Personen liegen darf, wenn diese es nicht fahrlässig oder grob fahrlässig verursachen. Das wirtschaftliche Risiko muss immer beim Arbeitgeber liegen, alles andere ist per se unangemessen (vgl. den Global Compact on Migration).
Kriterium 2.3 Unternehmerische Sorgfaltspflichten
Mit der Neueinführung des Begriffs der Dienstleistungskette wird eine selbstanwerbende Einrichtung bzw. eine Rekrutierungsfirma u.a. dazu verpflichtet alle eigenen Anforderungen, die sich aus dem Gütesiegel ergeben, auch an Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartner bzw. Kooperationsstellen weiterzugeben (vgl. 2.3.1). Dies wird im Sinne des Schutzes der anzuwerbenden Pflegefachpersonen begrüßt, auch wenn es in der Praxis kaum vollständig zu überwachen sein wird, wie sich Kooperationspartner beispielsweise in Drittstaaten verhalten. Unklar bleibt, welche geleisteten Zahlungen der Pflegefachperson bei Verstößen durch Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern erstattet werden sollen, da das „Employer Pays Prinzip“ ohnehin gilt.
Bei der Einrichtung eines (internen) Beschwerdemanagements (2.3.2) regen wir an, Ergänzungen, die sich aus dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinschG) ergeben, in für die Pflegefachperson verständlicher Ausführung aufzunehmen.
3.4 Employer Pays Prinzip und Bindungs- und Rückzahlklauseln
Im Kriterium 3.4 heißt es: „Grundsätzlich gilt das Employer Pays Prinzip. Bindungs- und Rückzahlungsklauseln in Vermittlungsverträgen mit Pflegefachpersonen sind nur unter Berücksichtigung der Güte und Prüfbestimmungen “Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ zulässig“. Wir regen an den letzten Teil des Satzes zu ersetzen durch durch „…sind nur unter den Voraussetzungen zulässig, die der geltende Rechtsrahmen vorgibt“.
Die Erläuterung unter 3.4.2 dritter Satz „Die Höhe der maximal anfallenden Rückzahlungssumme ist dabei anzugeben und in hervorgehobener Form darzustellen (z. B. Fettdruck)“ sollte ersetzt werden durch: „Die Höhe der maximal anfallenden Rückzahlungssumme darf ein halbes Monatsgehalt nicht überschreiten.
Der Punkt 3.4.3 sollte ergänzt werden mit „Eine Rückzahlungsverpflichtung im Fall eines vorzeitigen Ausstiegs der Pflegefachperson aus dem laufenden Sprachkurs im Herkunftsland ist nur dann zulässig, wenn der Ausstieg aus Gründen erfolgt, die die Arbeitskraft zu vertreten hat.
Insbesondere in folgenden Ausstiegsfällen darf eine Rückzahlung unabhängig vom Verschulden der Pflegefachperson nicht verlangt werden:
- innerhalb der ersten vier Wochen, bzw. vor Inanspruchnahme von 50 Unterrichtseinheiten des Sprachkurses.
4. Begriffsbestimmungen - Ergänzungsvorschlag
Es fehlt nach wie vor eine Definition des Begriffs „Relocation Management“. Es sollte genau definiert sein, was dies umfasst, damit wichtige Aspekte, wie z.B. Wohnraum, nicht ausgeklammert werden.
5. Prüfung und Überwachung
Die BAGFW begrüßt, dass nun klarere Kriterien für abgestufte Sanktionen definiert wurden. Es wird auf einen Befristeten Entzug bei Verstößen hingewiesen. „Befristet“ ist jedoch nicht näher zeitlich definiert.
Nach wie vor fehlen Regelungen für die Pflegefachpersonen, die sich in einem Anwerbeprozess befinden und deren PSA/SAE das Siegel entzogen wurde.
Sinnvoll wären aus unserer Sicht auch die Integration von Evaluation und Wirkungsorientierung in den Kriterienkatalog, um die Qualität der Kriterien sicherzustellen. Beispiele hierfür wären Formen der Auswertungen von Selbstevaluation, Internen Audits, Befragungen, Meldung von Verfahrensfehlern, Beschwerden, Kommunikation von Good Practice Beispielen.
Anwerbenden Leistungserbringern und Personalvermittlungsagenturen steht es frei, ob sie das Gütesiegel erwerben möchten oder nicht. „Einen Antrag auf das Gütesiegel können freiwillig sowohl selbstorganisiert (also ohne Einbindung einer Agentur) anwerbende Leistungserbringer nach dem Vierten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und nach dem Siebten Kapitel des Elften Buches Sozialgesetzbuch (Pflege- und Gesundheitseinrichtungen), als auch private Personalvermittlungsagenturen stellen, die im Auftrag der oben genannten Leistungserbringer handeln.“ Es sollten Anreize geschaffen werden, dass jegliche anwerbende Unternehmungen das Gütesiegel tragen bzw. diskutiert werden, ob eine Verpflichtung zum Erwerb des Gütesiegels erreicht werden kann. Dann müssen gleichzeitig weitere Regelungen zur Finanzierung dieser Anwerbe- und Integrationsprozesse getroffen werden.
Es bestehen Zweifel, ob bei einer Anwendung des Gütesiegels zum großen Teil auf freiwilliger Basis, Arbeitsmigranten/innen und Unternehmen ausreichend vor unfairen Vermittler*innenn geschützt werden können. Wenn die Anwendung des Gütesiegels dem Markt überlassen wird, besteht die große Gefahr, dass damit die Zielsetzungen des Gütesiegels nicht erreicht werden.
Weiterer Ergänzungsvorschlag
Eine „Verantwortung für das Herkunftsland“ ist nach wie vor nicht genannt. Zwar wird auf den „Globalen Verhaltenskodex der WHO für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften“ hingewiesen. Es bleibt aber offen, wie dies im Anwerbeverhalten der Unternehmen umgesetzt wird. Hilfreich könnte es sein, wenn das Gütesiegel auch bei den Fachkräften im Ausland „beworben“ würde. Zwar sollen Anwerbende und Einrichtungen, die das Gütesiegel erhalten alle wichtigen Informationen dazu, ihre Selbstverpflichtung und ihr Leitbild etc. transparent machen, es wäre aber zusätzlich wichtig, dass die Information auch über die Beratungsstellen im Ausland (z.B. „Vorbereitet und erfolgreich nach Deutschland“ oder ProRecognition (die auch Pflegekräfte beraten) u.a.) über die Homepage von https://www.make-it-in-germany.com/de/ oder auch die Botschaften bekannt gemacht wird.