Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW) setzt mit ihren Mitgliedsverbänden Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Der Paritätische, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Deutschland und Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden, zahlreiche Projekte im Europäischen Sozialfonds Plus auf Bundes- und Landesebene um. Zudem koordiniert die BAGFW gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bereits seit 2009 verschiedene ESF-Förderprogramme, die die beiden Partner mit dem Ziel der Fachkräftesicherung in sozialen Berufsfeldern gemeinsam entwickelt haben und umsetzen. In den Begleitausschüssen des ESF Plus auf Bundes- und Landesebene sind zudem Vertreter:innen der BAGFW Mitglied.
Die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds und insbesondere der Europäische Sozialfonds (ESF) sind für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege wichtige Impulsgeber für die Erprobung innovativer Ideen und Methoden, insbesondere bei der Bekämpfung von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung und der Beschäftigungsförderung und Anpassung an den Wandel in der Berufswelt, hier der gemeinnützigen Sozialwirtschaft. Dabei sind die Gelder der ESI-Fonds additiv zu sehen, sie ersetzen keine regelfinanzierten Instrumente der sozialen Sicherung.
Die BAGFW begrüßt die thematische Schwerpunktsetzung des ESF Plus auf die Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte und die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen. Durch die Stärkung der sozialen Komponente im ESF konnten Zielgruppen im ESF gefördert werden, die von den nationalen Fördersystemen nicht oder unzureichend unterstützt werden, wie z.B. ältere von Armut und Einsamkeit bedrohte Menschen beim Übergang in den Ruhestand, Obdachlose etc. Hier konnte ein echter Mehrwert durch europäische Gelder erzielt werden, den die Menschen direkt vor Ort spüren. Als unabdingbar für den Erfolg sehen wir die Vorgabe in der ESF-Verordnung, dass die Mitgliedstaaten mindestens 25% ihrer Mittel der ESF+-Komponente mit geteilter Mittelverwaltung für die spezifischen Ziele im Politikbereich „Soziale Inklusion“, einschließlich der Förderung der sozioökonomischen Integration von Drittstaatsangehörigen, bereitstellen müssen (Art. 7 der ESF-Verordnung).
Die Integration des Europäischen Hilfsfonds EHAP in den ESF wertet die BAGFW als Erfolg. Synergien zwischen ESF und EHAP konnten deutlicher herausgearbeitet und Hilfen stärker vernetzt und damit auch der Bezug zum Arbeitsmarkt hergestellt werden. Auch hier ist die EU-Vorgabe, dass mindestens 3% der Gelder eines Mitgliedstaates für die Unterstützung der am stärksten benachteiligten Personen bereitgestellt werden müssen, Grundlage für den Erfolg. Sehr hilfreich ist hier auch die erhöhte Ko-Finanzierung von 90% zur Unterstützung der am stärksten benachteiligten Personen (Art. 10 der ESF-Verordnung) sowie die vereinfachte Indikatorik bei der Datenerfassung (Anhang II).
Leider werden die inhaltlich und thematisch hochrelevanten Ziele des ESF weiterhin durch administrative Vorgaben konterkariert:
- Die abgesenkten Ko-Finanzierungssätze der EU wurden wie befürchtet zu einem Großteil direkt an die Projektträger weitergegeben. Obwohl die ESF Plus-Programme inhaltlich höchst relevant sind, bleiben die Bewerberzahlen weit hinter den Erwartungen zurück. Projektträger, insbesondere aus dem sozialen Bereich, arbeiten gemeinnützig und können nicht bis zu 60% der Projektkosten selbst tragen. Möglichkeiten, die Ko-Finanzierung durch z. B. Freistellungen von Arbeitnehmenden darzustellen, sind hilfreich, jedoch nicht mehr ausreichend, da der Fachkräftemangel zu geringeren Freistellungen führt. Dies wirkt sich vor allem auf die KMU’s in den Verbänden der gemeinnützigen Sozialwirtschaft aus, die letztlich kaum noch in der Lage sind, den gesellschaftlichen und beruflichen Wandel adäquat zu begleiten. Soll der ESF in Zukunft weiterhin vor Ort wirken, ist eine Erhöhung der EU-Ko-Finanzierungssätze, insbesondere mit Blick auf die knappen nationalen Haushalte, unausweichlich. Die von der EU erhoffte Hebelwirkung durch eine Absenkung der Ko-Finanzierungssätze an die Nationalstaaten ist nicht eingetroffen. Stattdessen müssen ESF-Gelder über Änderungsanträge umgewidmet werden oder bleiben ungenutzt, was die Wirksamkeit des ESF Plus insgesamt schwächt.
- Vereinfachte Kostenoptionen bewähren sich weiterhin, insbesondere die Pauschalierung von Restkosten oder Gesamtprojektpauschalen bei kleineren Fördersummen. Große Probleme bereitet jedoch die Pauschalierung von Personalkosten. Insbesondere in Zeiten hoher Inflation sind Personalkostenpauschalen zu unflexibel, um Tariferhöhungen zeitnah aufzufangen. Zudem sind in den meisten Fällen Urlaubs- und Krankheitstage zu gering angesetzt und zukünftige Tarifsteigerungen nicht beachtet. Die EU-Vorgabe von 1720 anzusetzenden Jahresarbeitsstunden ist in Deutschland nicht händelbar. Pauschalen, die sich nur auf die Erreichung bestimmter Ergebnisse beziehen, stehen dem Innovations- und Experimentiercharakter des ESF entgegen, können zu Creaming-Out-Effekten führen und bereiten neue Probleme in der Wirkungsmessung. Sie sind deshalb in der Umsetzung von ESF geförderten Programmen abzulehnen.
- Die umfangreiche, insbesondere die personenbezogene, Datenerfassung der aktuellen Förderperiode führt weiterhin zu großen Problemen bei der Programm- und Projektumsetzung. In ESF-Projekten konnten Teilnehmende oftmals nicht für die Förderung gezählt werden, wenn diese ihre Daten nicht vollständig abgegeben haben. Dies bedeutet, dass der Projektträger für diese Teilnehmenden kein Geld aus dem ESF erhalten hat. Die BAGFW empfiehlt daher, von der Erhebung nicht relevanter Daten abzusehen und die geforderten Indikatoren programmspezifisch anzupassen. Um Diskriminierung zu vermeiden und die Datenerhebung auf freiwilliger Basis bei besonders benachteiligten Personengruppen oder bei Minderjährigen zu erhöhen, sollte die Möglichkeit gegeben werden, diese Daten anonymisiert zu erheben.
- Die Erfahrung der laufenden Förderperiode zeigt, dass Programme besonders erfolgreich und passgenau durchgeführt werden, wenn eng und auf Augenhöhe mit (zivilgesellschaftlichen) Partnern zusammengearbeitet wird. Dies betrifft die Programmplanung, Durchführung und Evaluation der Fonds. Der Europäische Verhaltenskodex für Partnerschaften im Rahmen der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds ist dabei eine hilfreiche Grundlage. Aufgrund fehlender personeller und finanzieller Ressourcen („capacity“) können die Partner jedoch oftmals weder das notwendige Wissen aufbauen noch ihre Rolle im Rahmen des Partnerschaftsprinzips in dem erforderlichen Maße wahrnehmen. Die Mitgliedstaaten sollten daher verstärkt in Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für Partnerorganisationen im Rahmen der technischen Hilfe investieren.