Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) kooperierenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege nehmen gemeinsam zur Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen in der Sozialen Pflegeversicherung wie folgt Stellung.
A.Allgemeiner Teil und Zusammenfassung
Die Datenverarbeitung nach dieser Verordnung umfasst u.a. „die altersgerechte Nutzbarkeit“ der DiPa. Pflegebedürftigkeit ist jedoch keine Frage eines bestimmten Alters, auch wenn die älteren Generationen die größte Gruppe der pflegebedürftigen Menschen darstellen. Bei der Nutzbarkeit muss es daher um Barrierefreiheit in vielfältiger Weise gehen. Das Wort „altersgerecht“ ist durch „barrierefrei“ zu ersetzen.
Es ist zu begrüßen, dass der Verordnungsgeber vorgibt, dass dem Verbraucher die Anwendung in Form von kurzen, einfachen und allgemeinverständlichen Informationen zu Funktionsumfang und Zweckbestimmung sowie zu Einweisung, Anleitung und Schulung zur Verfügung gestellt wird. Hierbei sollte jedoch der Begriff „einfache Sprache“ zu„leichter Sprache“ hin konkretisiert werden.
Wenn ein ambulanter Pflegedienst als einbezogener Dritter die Leistung erbringt, muss auch die Refinanzierung der Schulung der Mitarbeitenden der Pflegedienste sichergestellt sein. Offen bleibt wie die Weiterbildung der Mitarbeiter:innen (Skillvermittlung an die Pflegekräfte) bzw. einbezogener Dritter refinanziert wird und unter welchem Leistungskomplex bei der Pflegekasse abgerechnet werden kann oder der Verdienstausfall der Mitarbeitenden des Pflegedienstes durch die DIPA-Anbieter finanziert werden muss. Diese ist unserer Auffassung zwingend zu klären.
Darüber hinaus regen wir an, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Broschüre erstellt, die den Versicherten eine Übersicht bietet über die digitalen Gesundheitsanwendungen, die digitalen Pflegeanwendungen, die digitalen Hilfsmittel und die digitalen Pflegehilfsmittel.
B. Besonderer Teil
Im Folgenden nimmt die BAGFW nur zu den Regelungen der Verordnung Stellung, in denen er Nachbesserungsbedarfe sieht.
§ 2 Antragsinhalt
Bereits im Antragsinhalt sollte als Kriterium der Nachweis der Barrierefreiheit der Nutzung neben der allgemeinverständlichen Form genannt werden. Dies ist in Nummer 6 zu ergänzen.
Die Bedarfe von pflegebedürftigen Menschen bezüglich DiPas lassen sich nicht nach bestimmten Gruppen pflegebedürftiger Menschen klassifizieren und differenzieren. Daher ist Nummer 11, die sich auf Gruppen von Pflegebedürftigen, für die der pflegerische Nutzen nachgewiesen wurde, bezieht zu streichen.
Da die digitalen Pflegeanwendungen grundsätzlich auch mit Unterstützung durch Dritte, z.B. pflegende Angehörige, zur Anwendung kommen können, gibt es keine Beeinträchtigungen, die per se die Anwendung der DiPa ausschließt. Dies ist in Nummer 16 entsprechend zu korrigieren.
Änderungsbedarf:
Ergänzung Nummer 6:
„Zweckbestimmung, Wirkungsweise, Inhalt und Nutzung der digitalen Pflegeanwendung in einer allgemeinverständlichen und barrierefreien Form“
Streichung der Nummer 11
Ziffer 5 lautet: „Zielsetzung, Inhalt und barrierefreie Nutzung der digitalen Pflegeanwendung in einer allgemeinverständlichen Form.“
In Nummer 16 wird der zweite Halbsatz „insbesondere zu Beeinträchtigungen, die eine Nutzung ausschließen“ gestrichen.
§ 5 Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit
Die Anforderungen an den Datenschutz sind gerade bei sensiblen versichertenbezogenen Gesundheitsdaten sehr hoch. Dem trägt die vorliegende Regelung nicht Rechnung. Es muss geprüft werden, ob der Datenschutz bei der jeweiligen DiPA auch eingehalten wird. Diese Prüfung sollte dem BfArM übertragen werden. Es gibt zudem keine Bestimmungen, welche Rechtsfolgen eine Verletzung des Datenschutzes hat. Dies ist nicht hinnehmbar. Da die Datenverarbeitung immer auf einer Hardware stattfindet, muss sichergestellt sein, dass die Hardwarebetreiber keinen Zugriff auf die Gesundheitsdaten erhalten. Es wird vorgeschlagen, zu diesem Zweck Vorkehrmechanismen zu etablieren, anhand derer der/die Nutzer:in erkennt, dass auf seine/ihre Gesundheitsdaten durch Dritte zugegriffen wurde. Hierzu könnte z.B. geregelt werden, dass der/die Nutzer:in bei jedem externen Datenzugriff eine automatische Benachrichtigung erhält.
In Absatz 6 wird zwar geregelt, dass die Hersteller von DiPas alle für sie tätigen Personen, die Zugang zu versichertenbezogenen Daten haben, zur Verschwiegenheit verpflichten. Es muss daher eine Sanktionsfolge, z.B. vergleichbar § 203 StGB für Berufsgeheimnisträger:innen, geben, wenn die Mitarbeiter:innen eines Herstellers die Verschwiegenheitspflicht verletzen.
Die Datenverarbeitung nach Absatz 3 umfasst in Nummer 2 u.a. „die altersgerechte Nutzbarkeit“ der DiPa. Pflegebedürftigkeit ist jedoch keine Frage eines bestimmten Alters, auch wenn die älteren Generationen die größte Gruppe der pflegebedürftigen Menschen darstellen. Bei der Nutzbarkeit muss es daher um Barrierefreiheit in vielfältiger Weise gehen, was u.a. auch alterungsbedingte Einschränkungen und Beeinträchtigungen umfasst. Das Wort „altersgerecht“ ist durch „barrierefrei“ zu ersetzen.
Darüber hinaus ist unserer Auffassung nach die DIPA in die Telematikinfrastruktur durch die Hersteller einzubinden.
Änderungsbedarf:
In Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 wird das Wort „altersgerechten“ durch „barrierefreien“ ersetzt.
§ 6 Anforderungen an Qualität
Es ist zu begrüßen, dass der Verordnungsgeber vorgibt, dass dem Verbraucher die Anwendung in Form von kurzen, einfachen und allgemeinverständlichen Informationen zu Funktionsumfang und Zweckbestimmung sowie zu Einweisung, Anleitung und Schulung zur Verfügung gestellt wird. Dabei ist das Kriterium „kurz“ schwierig zu operationalisieren. Der Umfang der Information muss in Relation zu dem zu vermittelnden Inhalt stehen. Zudem sollte der Begriff „einfache Sprache“ auf „leichte Sprache“ hin konkretisiert werden.
Es ist in der Begründung klarzustellen, dass die Hersteller dabei mit Symbolen arbeiten sollten, die auch Menschen mit Einschränkungen gut verstehen.
Um für die Hersteller der digitalen Pflegeanwendungen einen entsprechenden Anreiz zu schaffen, ihre Angebote auch für Menschen mit Behinderung auszugestalten, sollten Barrierefreiheit und Verfügbarkeit in leichter Sprache eine Anforderung für die Aufnahme in das Verzeichnis für Pflegeanwendungen sein. Maßgeblich sollte dafür die Barrierefreie Informationstechnik Verordnung (BITV) sein. Im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das über den Antrag entscheidet, muss ausreichend Expertise sichergestellt werden, um den Nutzen der Anwendungen, für die die Hersteller den Antrag gestellt haben, für Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen bewerten zu können.
In Absatz 5 ist erneut der Begriff „altersgerechte Nutzbarkeit“ durch „barrierefreie Nutzbarkeit“ zu ersetzen. Wir verweisen auf die Begründung zu § 5.
In Absatz 4 wird geregelt, dass die DiPA frei von Werbung sein muss. Hier ist zu ergänzen, dass sie auch nicht für Werbezwecke, z.B. für bestimmte Produkte, die der Hersteller oder ein mit ihm wirtschaftlich verbundenes Unternehmen, genutzt werden darf. Zudem regt die BAGFW an, nicht nur die Nutzerfreundlichkeit, sondern auch die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung in den Blick zu nehmen.
In Absatz 7 ist zu ergänzen, wie ‚einbezogene Dritte‘ definiert werden. Auf jeden Fall sind die Schulungen der einbezogenen Dritten durch den DIPA-Anbieter für die einbezogenen Dritten kostenfrei zu erbringen. Wenn ein ambulanter Pflegedienst als einbezogener Dritter die Leistung erbringt, muss auch die Refinanzierung der Leistung sichergestellt sein. Zwar ist bereits bestimmt, dass Versicherte maximal 50 Euro für die Nutzung einer DiPA und notwendige ergänzende Unterstützungsleistungen durch einen ambulanten Pflegedienst aufteilen können. Allerdings bleibt offen, wie die Weiterbildung der Mitarbeiter:innen (Skillvermittlung an die Pflegekräfte) bzw. einbezogener Dritter refinanziert wird und unter welchem Leistungskomplex bei der Pflegekasse abgerechnet werden kann oder der Verdienstausfall der Mitarbeitenden des Pflegedienstes durch die DIPA-Anbieter geleistet werden muss.
Dieser Aspekt gilt auch für die Informationsvermittlung zu DiPas nach § 37 Abs.3 SGB XI durch die Pflegeberatung. Pflegeberater:innen müssen sich zum aktuellen Stand und die Grenzen/Möglichkeiten der DiPa Wissen aneignen, um den möglichen Mehrwert der Anwendungen an die Versicherten zu transportieren.
Anlage 2 im Themenfeld III. Verbraucherschutz beinhaltet das Item zur Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen durch die Hersteller der digitalen Pflegeanwendung. Der Hersteller oder die Herstellerin stellt demnach zur Unterstützung der Pflegebedürftigen und der weiteren Nutzer:innen (auch für einbezogene Dritte) eine kostenlose deutschsprachige Anwenderbetreuung bei der Bedienung der DiPa und zur Beantwortung der Anfragen spätestens innerhalb von 24 Stunden zur Verfügung. Es ist zu ergänzen, in welcher Form die Anwenderbetreuung (persönliche Ansprechpartner:innen, Hotline oder Videocall) durchgeführt wird und welche Option für Versicherte besteht, die nur eingeschränkte deutsche Sprachkenntnisse besitzen.
Änderungsbedarf:
Absatz 3 Satz 2 soll lauten:
„Insbesondere müssen digitale Pflegeanwendungen den Pflegebedürftigen und sonstigen Nutzern vor Beginn der Nutzung einen Zugang zur Gebrauchsanweisung in möglichst kurzer Form und Informationen in leichter Sprache allgemeinverständlich zu Funktionsumfang und Zweckbestimmung der digitalen Pflegeanwendung, zu Einweisung, Anleitungen und Schulungen sowie zu den vertraglichen Bedingungen der Zurverfügungstellung und Nutzung geben“.
Absatz 4 ist wie folgt zu formulieren:
„Die digitale Pflegeanwendung muss frei von Werbung sein und darf nicht für Werbezwecke genutzt werden.“
In Absatz 5 Satz 1 ist das Wort „altersgerechten“ durch „barrierefreien“ zu ersetzen.
Absatz 6 ist nach Satz 1 wie folgt zu ergänzen:
„Digitale Pflegeanwendungen sind von dem Hersteller barrierefrei im Sinne der Barrierefreie Informationstechnik Verordnung (BITV) auszugestalten.“
Absatz 7 ist wie folgt zu ergänzen:
„Ist es nach der Zweckbestimmung der digitalen Pflegeanwendung erforderlich, dass Dritte in die Nutzung der digitalen Pflegeanwendung einbezogen werden und ihnen insofern eine Rolle und Aufgabe zugesprochen wird, ohne die der pflegerische Nutzen nicht erreicht werden kann, gewährleistet die digitale Pfleganwendung, dass die einbezogenen Dritten in geeigneter Weise kostenlos geschult, eingewiesen und regelhaft unterstützt werden, das Einverständnis der Pflegebedürftigen vorausgesetzt.“
§ 8 Nachweis durch Zertifikate
Der Hersteller soll nach Auffassung der BAGFW dem BfArM die Erfüllung der Anforderungen nach den §§ 3 bis 6 nicht nur teilweise, sondern grundsätzlich nur im vollen Umfang durch Zertifikate bestätigen müssen. Vor dem Hintergrund des steten technischen Fortschritts wird positiv bewertet, dass die Zertifikate nicht älter als 12 Monate sein dürfen.
Änderungsbedarf:
In Absatz 1 Satz 2 sind die Wörter „oder teilweise“ zu streichen.
§ 9 Pflegerischer Nutzen digitaler Pflegeanwendungen
In Absatz 3 werden pflegende Angehörige unter die Kategorie „ehrenamtlich Pflegende“ subsummiert, indem neben pflegenden Angehörigen von „oder sonstigen ehrenamtlich Pflegenden“ die Rede ist. Das ist nicht sachgerecht, denn Angehörige sind nicht ehrenamtlich tätig.
Änderungsbedarf:
Streichung des Wortes „sonstige“
§ 10 Nachweis des pflegerischen Nutzens
Die Bedarfe von pflegebedürftigen Menschen bezüglich DiPas lassen sich nicht nach bestimmten Gruppen pflegebedürftiger Menschen klassifizieren und differenzieren. Daher sind in Absatz 1 Satz 1 in Nummer 2 die Wörter „die Gruppe von“ zu streichen.
§ 11 Studien zum Nachweis des pflegerischen Nutzens
Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass Hersteller:innen die Evidenz der DiPas anhand von Studien nachweisen müssen. Dennoch sollte auch eine qualitative Möglichkeit geschaffen werden, um den pflegerischen Nutzen der DiPas zu belegen. Hintergrund ist, dass sich das ambulante Setting der DiPas vom klinischen Setting unterscheidet. Klinische Studien sind nicht in jedem Fall indiziert, daher sollte auch eine qualitative Nachweisoption des pflegerischen Nutzens – beispielsweise durch Expertengremien- in bestimmten Fällen ermöglicht werden. Vom kausalen Nutzen her ist es schwierig, eine Studie zur Nutzung einer DIPA vorzulegen, die noch nicht in der Anwendung ist. Es liegen letztlich noch keine klaren Messkriterien vor und eigentlich müsste es klare Parameter geben, aus denen dann der Nutzen abgeleitet wird.
§ 12 Bewertungsentscheidung über das Vorliegen eines hinreichenden Nachweises
Es wird ausdrücklich begrüßt, dass Hersteller Erkenntnisse sowohl über die positiven als auch negativen Wirkungsweisen nachweisen müssen und auch darstellen müssen, in welchen pflegerischen Kontexten die DiPas getestet wurden. Auf diese Weise lässt sich die geforderte Abwägungsentscheidung über die Zulassung einer DiPa sachgerecht durchführen.
§ 14 Wesentliche Veränderungen
Absatz 1 Satz 2 sieht vor, dass im Umfang geringfügige und lediglich redaktionelle Änderungen der Angaben und Informationen im Verzeichnis für digitale Pflegeanwendungen nicht angezeigt werden müssen. Die BAGFW weist darauf hin, dass der Begriff „geringfügige Änderungen“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, der streitbehaftet sein wird.
Änderungsbedarf:
Streichung der Wörter „Im Umfang geringfügige und“ in Absatz 1 Satz 2.
§ 16 Inhalte des elektronischen Verzeichnisses
Es wird begrüßt, dass das BfArM bezüglich der Inhalte des Verzeichnisses den jeweils nachgewiesenen pflegerischen Nutzen und die dazu vorgelegten Studien (Design, Ergebnisse) vollumfänglich veröffentlicht und die Verbraucher:innen auch über die Preise und vor allem die Mehrkosten, die sie selbst zu tragen haben, informiert. Dies entspricht der notwendigen Transparenz gegenüber den Verbraucher:innen. Zu ergänzen sind jedoch Informationen, die den/die Verbrauch:in über den Datenschutz informieren. Dieses Kriterium ist in der Auflistung des Absatzes x als neue Ziffer zu ergänzen.
Nach § 39a SGB XI haben Pflegebedürftige bei der Nutzung von DiPas Anspruch auf ergänzende Unterstützungsleistungen durch ambulante Pflegedienste, sofern das BfArM die Erforderlichkeit einer Unterstützung festgestellt hat. Daher sollten in Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 im Zusammenhang mit der Unterstützungsleistung nach § 39a SGB XI ausdrücklich die ambulanten Pflegedienste und nicht unbestimmte Dritte genannt werden.
Änderungsbedarf:
Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 wird wie folgt geändert:
„den Bedarf an den erforderlichenfalls ergänzenden Unterstützungsleistungen Dritter durch zugelassene ambulante Pflegeeinrichtungen nach § 39a des Elften Buches Sozialgesetzbuch.“
Ergänzung einer neuen Nummer x:
„Informationen über den Datenschutz und die Datensicherheit“