Stellungnahme der BAGFW zur Weiterentwicklung des Gütesiegels „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ in 2022

Die Anwerbung von Pflege(fach)kräften aus Drittstaaten kann als Teilstrategie einen zusätzlichen Beitrag zur Bekämpfung der gegenwärtigen Personalnot im Gesundheits- und Pflegesektor leisten.

Aus Sicht der in der BAGFW kooperierenden Verbände kann die Anwerbung diesen Mangel allenfalls abmildern und keinesfalls kompensieren (vgl. Positionspapier der BAGFW für ethisch vertretbare Anwerbung von ausländischen Arbeits- und Fachkräften in der Pflege: https://www.bagfw.de/suche/detailansicht-news/positionspapier-altenpflege-in-deutschland).

Neben dem Globalen Verhaltenskodex der WHO für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften sind kaum Maßstäbe guter Praxis für ethisch vertretbare Personalgewinnung in Drittstaaten vorhanden.

In Anbetracht des entstandenen undurchsichtigen Marktes für die Anwerbung von Pflegepersonal hatte die BAGFW die Schaffung eines Gütesiegels zur Bescheinigung von ethischen, nachhaltigen und qualitativ hochwertigen Personalgewinnungsprozessen im Sommer 2021 grundsätzlich begrüßt.

Zugleich hatte die BAGFW auch kritisch auf die Ausgestaltung des Prüfsystems hingewiesen und infrage gestellt, dass mit diesem die Qualitätsstandards sowohl in den Herkunftsländern als auch nach der Einreise der Adressaten in Deutschland ausreichend gewährleistet werden können. Unklar blieb vor allem, welche Maßnahmen in den Herkunftsländern ergriffen werden, damit Menschen besser zwischen seriösen und unseriösen Anbietern, die immer wieder Geld von den Adressaten verlangen oder einen Teil der ersten Monatslöhne bzw. in unseriöse Beschäftigungsverhältnisse vermitteln, unterscheiden können.

Vor dem Hintergrund der geäußerten Kritikpunkte und den ersten Erfahrungen mit dem Gütesiegel aus dem Jahr 2021/2022 ist die jetzt angedachte Weiterentwicklung des Gütesiegels „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ folgerichtig. Die BAGFW bedankt sich für die Einbeziehung und nutzt die Möglichkeit zur Stellungnahme.

 

Zu ausgewählten Weiterentwicklungsvorschlägen des Anforderungskataloges sowie der Durchführungsbestimmungen im Einzelnen:

 

  1. Anforderungskatalog mit den Güte- und Prüfbestimmungen

 

Gütebereich I: Information zur Erwerbsmigration in die Pflege nach Deutschland   

Gütebereich I der Siegelanforderungen umfasst die Kriterien Berufsfeld, Erwerbstätigkeit, Einwanderungsprozess und Integrationsförderung, Anerkennungsprozess, Spracherwerb, neutrale Beratung und sonstige Überstützung und neu aufgenommen die Weitergabe der Informationsgrundlage, zu denen der Gütesiegeltragende sich verpflichtet nachweislich Informationen zur Verfügung zu stellen.

Die BAGFW hat bereits im Jahr 2021 angemerkt, dass der Indikator 1.2.2. einer Ergänzung hinsichtlich der Möglichkeiten der zusätzlichen Alterssicherung bedarf.

Die Präzisierung von weiterzugebenden Informationen im Kriterium 1.4. zu Wahlmöglichkeiten und verschiedenen Optionen bei den Ausgleichmaßnahmen, die internationale Pflegekräfte im Rahmen des Anerkennungsprozesses ggf. zu durchlaufen haben, werden von der BAGFW begrüßt, insbesondere im Hinblick auf die möglichen Verknüpfungen zum Arbeitsplatzangebot.

Zu den Anpassungen bei Kriterium 1.5 (Spracherwerb) bringt die BAGFW zum Ausdruck, dass qualitativ hochwertige Sprachschulkurse für den Sprachlernerfolg unerlässlich sind und ein angemessenes hohes Sprachniveau der internationalen Pflegekräfte zentral für die Berufsausübung ist. Es wird begrüßt, dass Unternehmen im Vorfeld aufgefordert sind, Qualitätskriterien der Sprachschulkurse zu überprüfen und die Pflegekräfte darüber zu informieren. Es sollten nur die Sprachschulkurse empfohlen werden, welche den GER-Kriterien genügen. Im Indikator 1.5.2 wurde der Passus „die in der Pflege praktizierte Fachsprache“ gestrichen. Dieser Passus ist ergänzend wieder aufzunehmen: „die in der Akut- und Langzeitpflege praktizierte Fachsprache“. Außerdem sollte erklärt werden, wer die Kosten zum adäquaten
(Fach-)Spracherwerb zu tragen hat.

Die Einführung des neuen Kriteriums 1.7 zur verpflichtenden Weitergabe der Informationssammlung „Informationen zur Erwerbsmigration in die Pflege nach Deutschland“ (KDA) in unveränderter Form wird im Hinblick auf Einheitlichkeit, Standardisierung und Vergleichbarkeit der Informationsweitergabe begrüßt.

 

Gütebereich II: Unternehmensverantwortlichkeit

Gütebereich II umfasst Vorgaben zum Leitbild eines anwerbenden “Unternehmens”, Vorgaben zu den AGBs und zu öffentlich zu machenden Informationen. 

Zu den Anpassungen der Unternehmensgrundsätze (Kriterium 2.1) stellt die BAGFW fest, dass die in der vorherigen Fassung des Indikators 2.1.1 geforderten „Bekenntnisse“ der Unternehmen in „Selbstverpflichtungen“ abgeändert wurden. Ob dies die Verbindlichkeit erhöht und eine entsprechende Wirkung bei den siegelbewerbenden und siegeltragenden Unternehmen erzielt, bleibt abzuwarten. Ausdrücklich begrüßt werden die detaillierteren Ausführungen zu den Selbstverpflichtungen im Hinblick auf das „Employer Pays Prinzip“ und der Selbstverpflichtung, dass nicht in Vertragsverhältnisse angeworben wird, in denen Rückzahlungs- und Bindungsklauseln enthalten sind.

Hinsichtlich der beschriebenen Vorgaben an das Unternehmen und Geschäftspartner unter Kriterium 2.2, wird die stärkere Trennung zwischen PSA und selbstanwerbenden Unternehmen grundsätzlich begrüßt (siehe Indikator 2.2.1). So werden die PSA dazu angehalten, Leitlinien wie das „Employer Pays Prinzip“ und die gütesiegelkonformen Unternehmensgrundsätze (auch im Hinblick der Beachtung des Verhaltenskodex der WHO) in ihre AGB aufzunehmen. Weiterhin sieht die BAGFW positiv, dass die PSA dazu angehalten wird, das betriebliche Integrationsmanagementkonzept des Kunden auf Vollständigkeit zu überprüfen wie auch Integrationsmanagementkonzepte im Hinblick auf die Ermöglichung des Familiennachzugs zu erweitern. Im Indikator 2.2.1, dass, „das Unternehmen zu einem Arbeitsplatzangebot ein übersetztes, verschriftlichtes, betriebliches Integrationsmanagementkonzept vorlegt“ sollte die Präzisierung „in der Verkehrssprache des jeweiligen Landes“ eingeführt werden, analog zu 2.2.7. und 2.3.7.  

Die BAGFW begrüßt ferner die Konkretisierung der vorgesehenen schriftlichen Qualifizierungsvereinbarung. Zentral sind insbesondere die zuzusichernden Kostenübernahmen der Leistungen und der Ausschluss von Rückzahlungsverpflichtungen bei Abbruch des Qualifizierungsprozesses.

 

Gütebereich III: Transparenz im Vermittlungsprozess für internationale Pflegekräfte gewährleisten

Der dritte Gütebereich stellt sicher, dass Pflegekräfte ausreichend Informationen zum persönlichen Prozess der Anwerbung erhalten. Dieser enthält Vorgaben mit Transparenzansprüchen an Prozesse zwischen dem Unternehmen, gegebenenfalls seinen Kunden und internationalen Pflegekräften.

Die Herstellung von Transparenz im Vermittlungsprozess ist zentraler Bestandteil einer ethisch vertretbaren Anwerbung von ausländischen Arbeits- und Fachkräften in der Pflege. Wirkliche Transparenz kann nur durch individualisierte Informationen, die sich auch tatsächlich auf das konkrete Arbeitsangebot beziehen, hergestellt werden. Globale Informationen (“Hochglanzbroschüren”) einer Personalserviceagentur (PSA), die nicht auf die individuelle Anwerbesituation passen, sind nur bedingt hilfreich.  

Vor diesem Hintergrund begrüßt die BAGFW die angedachten Konkretisierungen und Individualisierungen in den Kriterien 3.1, 3.2 und 3.3 ausdrücklich und befürwortet, dass die Informationen vor Abschluss eines Arbeitsvertrages der internationalen Pflegekraft zur Verfügung gestellt werden müssen.

Die BAGFW lehnt jedoch, bezüglich der Ausrichtung des Matchings (Kriterium 3.2), den Empfehlungscharakter ab und spricht sich für einen verpflichtenden Austausch mit dem zukünftigen Arbeitgeber aus.

Im besonderen Maße gilt die Herstellung der Transparenz hinsichtlich der tatsächlichen Kostenbeteiligung für die angeworbene Person. Um Missbrauch zu vermeiden, dürfen keine versteckten Kosten bestehen; die angeworbene Pflegekraft muss bereits vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages über die vollständige Aufstellung der Kosten verfügen.

Die Herauslösung der Kriterien 3.4 (Kooperationen) und 3.5 (Beschwerden) aus dem Gütebereich III ist akzeptabel, sofern diese wichtigen Aspekte auch in der angepassten Systematik ausreichend deutlich dargestellt werden. Insbesondere müssen angeworbenen Personen die Möglichkeiten für Beschwerden transparent dargelegt werden. Hier haben alle Akteure im Anwerbeprozess eine herausgestellte anwaltschaftliche Verantwortung der Pflegekraft gegenüber. Zusätzlich ist zu gewährleisten, dass eine geeignete Stelle benannt wird, um mit möglichen Diskriminierungserfahrungen seitens der Pflegekräfte aufgrund von ethnischen bzw. religiösen Zugehörigkeiten, oder Hautfarbe umzugehen, da in der Praxis von solchen Erfahrungen nicht selten berichtet wird. In diesem Fall sollte die Definition von Beschwerde auch auf dem geeigneten Schutz von Diskriminierung erweitert werden. in diesem Zusammenhang sollten die angeworbenen Pflegekräfte über die Schutzmaßnahmen und Instrumente bereits im Rahmen der Anwerbung sensibilisiert/informiert werden.       

 

Gütebereich IV: Gewährleistung der Transparenz im Vermittlungsprozess für Kunden

Der vierte und letzte Gütebereich umfasst ausschließlich Vorgaben für Personalserviceagenturen zur Informationstransparenz und zu Prozessen zwischen PSA, deren Kunden und den anzuwerbenden Pflegekräften.

Die BAGFW begrüßt auch hier die Präzisierungen und Individualisierungen und erachtet die Transparenzanforderungen für maßgebend für faire Anwerbeprozesse.

Die BAGFW begrüßt, bezüglich der Ausrichtung des Matchings (Kriterium 4.2), die Ergänzung 4.2.3 grundsätzlich. Jedoch lehnen wir auch hier den Empfehlungscharakter ab und sprechen uns für einen verpflichtenden Austausch mit dem zukünftigen
Arbeitnehmer aus.

Wie bereits im Gütebereich III zum Ausdruck gebracht, ist die Herauslösung der Kriterien 4.4 (Kooperationen) und 4.5 (Beschwerden) aus dem Gütebereich IV akzeptabel, sofern diese wichtigen Aspekte auch in der angepassten Systematik ausreichend deutlich dargestellt werden.

Weiterhin fordert die BAGFW weitere Transparenzanforderungen zum Recruitingprozess im Herkunftsland selbst. Aus Sicht der BAGFW wird seitens einiger PSA, aufgrund der Zusammenarbeit mit unseriösen Partnern vor Ort, häufig (absichtlich/unab-sichtlich) gegen eine faire Anwerbung verstoßen. Das Gütesiegel kann nur durch möglichst strenge Transparenzanforderungen einem Missbrauch vorbeugen.

 

  1. Durchführungsbestimmungen als Vorgabe an die Erteilungsstelle

 

Zur Weiterentwicklung des Gütesiegels

Im Abschnitt 2.3 ist festgehalten, dass die Gütesiegel-Erteilungsstelle unangemeldete Betriebsprüfungen vornehmen und Betriebe besichtigen dürfen soll. Hierzu sollten konkrete Regelungen fixiert und den das Gütesiegel verwendenden Betrieben mitgeteilt werden. Hier werden insbesondere die Themen Zutrittsverweigerung durch nicht informierte Beschäftigte und Haftungsfragen beim Betreten der Betriebe durch Dritte geklärt werden müssen. Das gilt insbesondere auch für die unter 4.4. genannten Zutritte durch Fremdprüfer (Ausweis, Legitimation, Haftung).

Zudem regt die BAGFW bei der Erstprüfung (4.1.1) nachstehende Formulierungsanpassung an. Es sollte heißen: „Bei der Erstprüfung der Erteilungsvoraussetzung werden 10% der angeworbenen, bzw. an der Anwerbung interessierten Pflegekräfte befragt. Hier muss ferner festgelegt werden, dass der Antragsteller keine Kenntnis darüber hat, welche Pflegekräfte befragt werden. Diese sind außerdem im Losverfahren zu ermitteln.“ Diese Regelung ist auch analog bei der Fremdüberwachung (4.1.3) anzuwenden. Ein „kann“ ist nicht ausreichend.

Unter 6.2 wird der Fall geschildert, dass bei Abweisung einer Beschwerde eines Gütesiegelträgers gegen eine Erteilungsstelle der Beschwerdeführer binnen vier Wochen nach Zustellung den Rechtsweg beschreiten kann. Hier sollte gründlich geprüft werden, inwieweit es bei Beschwerdeabweisungen nicht zu unvorhersagbaren Schadensersatzforderungen kommen könnte.

Bei den nun vorliegenden Anpassungsvorschlägen zu den Vorgaben für die Erteilungsstelle (Durchführungsbestimmungen) ist die Thematik “Fremdprüfung” nach wie vor virulent. Fremdprüfer sollen die Möglichkeit erhalten, bis zu 10 % der vermittelten Kandidatinnen und Kandidaten zu befragen, ob die Vermittlungsprozesse tatsächlich wie dokumentiert erfolgt sind. Hier muss konkretisiert werden, wie die Auswahl der Befragten stattfinden soll. Für die BAGFW ist zu hinterfragen, wer über die auszuwählenden 10 Prozent der Vermittelten entscheidet und ob alle Vermittelten von Anfang an ihre Einwilligung, befragt zu werden, gegeben haben. Sollen die Befragungen offen oder anonym (zur Nachteilsvermeidung bei kritischen Antworten) erfolgen?

Beim Punkt kostenpflichtiger Fremdüberprüfung ist aus Sicht der BAGFW ferner zu klären, wer der Erbringer der Prüfungsleistung ist (Gütesiegel-Erteiler selbst oder Fremdprüfer im Auftrag) und wie die Leistungsausschreibung und Angebotsvergabe konkret erfolgen soll.

Beim “Kodex für Anwerbung” wird angesprochen, dass dieser für “alle Vereinsmitglieder” verpflichtend sein soll. Hier ist zu klären, wie dieser Verein beschaffen sein soll (Satzung), wer Mitglied werden kann und wie der Vorstand (Haupt- oder Ehrenamt) besetzt werden soll?

In den Erläuterungen des KDA wird beschrieben, “dass eine mit dem Gütesiegel ausgezeichnete Agentur oder selbstanwerbende Einrichtung dem „Geschädigten“, die bisher für die Vermittlung und Anwerbung entstandenen Kosten erstattet.” Hier bedarf es unbedingt der Definition eines wie auch immer gearteten Schadens.

Arbeitgeber sollen als eine unter verschiedenen Voraussetzungen auch durch den Nachweis eines betrieblichen Integrationsmanagementkonzepts das Gütesiegel erwerben können. Gleichzeitig wird erläutert, dass eine Überprüfung der Umsetzung des betrieblichen Integrationsmanagementkonzeptes durch die Gütegemeinschaft nicht gewährleistet werden kann. Die BAGFW regt diesbezüglich eine Präzisierung an sowie der Benennung von hierfür kompetenten Partnern, ähnlich wie es im Zusammenhang mit der Sprachkompetenz der Angeworbenen vorgesehen ist. (Goethe-Institut)