Anmerkungen zur Weiterentwicklung des Leistungserbringungsrecht/ Vertragsrecht in SGB XII und SGB IX

In der 5. Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz am 10.12.2014 ist ausführlich über die Weiterentwicklung des Leistungserbringungsrechts im SGB XII und IX gesprochen worden (TOP 3). In der diesbezüglichen Vorlage wird als Handlungsoption im SGB XII vorgeschlagen:

 

„Den Trägern der Eingliederungshilfe wird die Möglichkeit eingeräumt, eine eigene Bedarfspla- nung von Leistungsangeboten zur Sicherung einer bedarfsgerechten Leistungserbringung durchzuführen.“ (S. 9, Handlungsoption c3)

 

Die Einführung einer Bedarfsplanung für Leistungsangebote in der Eingliederungshilfe stellte einen massiven Eingriff in das bisherige Leistungsgeschehen dar und muss daher aus dem Blickwinkel der Interessen der Menschen mit Behinderung und unter Würdigung der Belange von Leistungsträgern und Leistungserbringern sorgfältig diskutiert werden. Sie würde, wie hier begründet wird, zu einer weitgehenden Abkehr der Leistungserbringung im Rahmen des sozial- rechtlichen Dreiecksverhältnisses führen.

 

 

Die Bedarfsplanung führt zu einer massiven Einschränkung des Wunsch- und Wahl- rechts der Menschen mit Behinderung

Eine Bedarfsplanung im eigentlichen Sinne würde bedeuten, dass die Leistungsträger die Mög- lichkeit erhielten, Leistungserbringern den Abschluss von Versorgungsverträgen mit dem Ar- gument zu verweigern, der von ihnen festgestellte Bedarf sei bereits gedeckt. Wäre dem nicht so, dann bedeutete „Bedarfsplanung“ nur eine prospektive Abschätzung des künftigen Bedarfs, ohne dass damit eine Angebotssteuerung seitens der Leistungsträger verbunden wäre. Diese Möglichkeit haben die Leistungsträger aber bereits heute.

 

Bezüglich der Folgen einer Steuerung des Angebots seitens der Leistungsträger auf das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung argumentiert die Vorlage widersprüch- lich. So wird ausgeführt, durch das Faktum, dass Träger der Eingliederungshilfe grundsätzlich nur Leistungen in Einrichtungen genehmigen bzw. finanzieren, mit denen sie einen Vertrag ge-schlossen haben, werde das Wunsch- und Wahlrecht der hilfeberechtigten Bürger negativ tan- giert. (S. 5f) Abgesehen davon, dass in begründeten Einzelfällen eine Pflicht des Leistungsträ- gers zur Refinanzierung besteht, auch wenn er keinen Vertrag mit dem Leistungserbringer ge- schlossen hat, so ist hier relevant, dass der Leistungsträger der Eingliederungshilfe nicht befugt ist, Leistungserbringern willkürlich einen Vertrag zu verweigern. Der Leistungsberechtigte kann also grundsätzlich unter allen Leistungserbringern wählen, die zu einer fachgerechten und ge- setzeskonformen Leistungsbringung in der Lage sind und ihren Anspruch auf Abschluss eines Vertrages mit dem Leistungsträger geltend gemacht haben. Somit ist die unterstellte Ein- schränkung des Wunsch- und Wahlrechts eher theoretischer Natur bzw. betrifft allenfalls Randbereiche des Leistungsgeschehens. Würde aber durch Handlungsoption c3) eine Bedarf- sprüfung eingeführt, die den Vertragsabschluss an eine Bedarfsprüfung des Leistungsträgers bindet, dann würde das beklagte Problem systematisch in das Leistungserbringungsrecht ein- geführt. Der hilfeberechtigte Bürger würde in seiner Wahl auf diejenigen Leistungserbringer be- schränkt, die bei der Bedarfsplanung und den ihr folgenden Vertragsentscheidungen berück- sichtigt wurden. Er könnte bei Unzufriedenheit mit einem Leistungserbringer diesem nur aus- weichen, wenn es bei einem anderen zugelassenen Leistungserbringer noch freie Kapazitäten gibt. Schlechtleistungen könnten nur durch Verweigerung einer Folgebeauftragung durch den Leistungsträger sanktioniert werden, nicht oder nur sehr ungenügend durch die Wahlentschei- dungen der hilfesuchenden Bürger. Die Handlungsoption c3) stellt damit eine massive Be- schränkung des Wunsch- und Wahlrechts dar.

 

Völlig offen bleibt in der Vorlage, welche Konsequenzen die Handlungsoption c3) für das Per- sönliche Budget hätte. Der Gesetzgeber hat das Persönliche Budget ausdrücklich mit dem Ziel eingeführt, die Selbständigkeit und Selbstbestimmung der auf Hilfe angewiesenen Menschen mit Behinderung zu stärken (BT-Drs. 14/5074, 94; BT-Drs. 15/1514, 52). Würden Budgetneh- mer in der Verausgabung ihres Budgets auf Leistungserbringer beschränkt, die nach einer Be-darfsplanung der Leistungsträger ausgewählt wurden, so würde die Grundintention des Persön- lichen Budgets konterkariert. Würden Budgetnehmer dagegen von dieser Beschränkung aus- genommen, so müssten sich Leistungsberechtigte, um ein uneingeschränktes Wahlrecht ausü- ben zu können, für das Budget entscheiden. Im letzten Falle wäre das gesetzlich vorgesehene Wahlrecht zwischen Budget und Sachleistungsbezug negativ tangiert.

 

 

Die Bedarfsplanung ist nicht notwendig für eine angemessene Steuerung seitens der

Leistungsträger

In einem Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis mit offenem Marktzutritt schließen die Leistungs- träger grundsätzlich mit allen Leistungserbringern, die zu einer fachgerechten Leitungserbrin- gung in der Lage sind, einen Vertrag ab. Eine Bedarfsprüfung findet hierbei nicht statt. Jeder Leistungserbringer trägt jedoch das Belegungsrisiko; aus dem Vertragsabschluss kann er keine Belegungsansprüche ableiten. Eine Belegung kommt dann zustande, wenn der zuständige Leistungsträger den Bedarf eines Hilfesuchenden im Rahmen der sozialrechtlichen Vorschriften anerkennt und zudem der Hilfeberechtigte sich für die jeweilige Einrichtung entscheidet. Die Refinanzierung folgt somit der Entscheidung des Hilfeberechtigten.

 

Die beiden zentralen Steuerungshebel der Leistungsträger sind die Feststellung des individuel- len Bedarfs und die Vertragsgestaltung mit den Leistungserbringern. Die Feststellung eines Hil- febedarfs ist die originäre Kompetenz des Leistungsträgers. Wenn diese angemessen erfolgt, führen auch ungenutzte Kapazitäten bei Leistungserbringern (die bei offenem Marktzutritt nicht vermeidbar sind) nicht zu einer höheren Inanspruchnahme. Denn die Bedarfsfeststellung ist völlig unabhängig von der Frage, ob Kapazitäten bei Leistungserbringern ausgelastet oder frei sind. Dies unterscheidet die Eingliederungshilfe in eklatanter Weise von der Gesundheitsver- sorgung, wo der niedergelassene Arzt bzw. das Krankenhaus sowohl Anbieter sind als auch über ihre Entscheidungen zu Diagnose und Therapie Einfluss auf Art und Umfang der Leis- tungsnachfrage haben.

 

Gelegentlich machen Leistungsträger geltend, dass es auch in der Eingliederungshilfe eine an- gebotsinduzierte Nachfrage gäbe. Allerdings gibt es hier allenfalls anekdotische Evidenz, es gibt seitens der Leistungsträger keine systematische Erhebung hierzu. Soweit Leistungen in Anspruch genommen werden, die nicht bedarfskonform sind, so liegt ein Steuerungsdefizit der Leistungsträger vor. Konsequenzen sind hier nicht auf der gesetzlichen Ebene zu ziehen (die Prinzipien der individuellen Bedarfsdeckung und des Wunsch- und Wahlrechts werden im ge- genwärtigen Prozess von allen Beteiligten nicht in Frage gestellt). Ggf. wären Konsequenzen im Prozess der Bedarfsermittlung und -feststellung zu ziehen. Zu fragen ist auch, ob Phänomene angebotsinduzierter Nachfrage, so sie denn in relevantem Umfang bestehen, nicht auf eine personelle Unterausstattung der Leistungsträger und/oder auf eine mangelnde Konfliktbereit- schaft im Einzelfall hindeuten. Im Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ist es die originäre und unverzichtbare hoheitliche Aufgabe der Leistungsträger, den Umfang des Hilfeanspruchs fest- zulegen. Nur in diesem Umfang können Leistungserbringer mit öffentlicher Refinanzierung tätig werden.

 

Nicht akzeptabel ist der in der Debatte immer wieder mehr oder weniger offen geäußerte Sub- text, der deutliche Anstieg der Ausgaben für die Eingliederungshilfe sei Folge einer Strategie der Leistungserbringer und ihrer Verbände, die Hilfen auszuweiten. Die Dynamik der Auswei- tung erklärt sich überwiegend aus dem Anstieg der Zahl der Menschen mit Behinderung und politisch gewollter Leistungsverbesserungen. Auch eine Bedarfsplanung hätte den Anstieg der Kosten der Eingliederungshilfe nicht verhindern können, zumindest dann nicht, wenn diese Be- darfsplanung auch bedarfsgerecht erfolgt wäre und damit keine rechtlich zustehende Leis- tungsansprüche aufgrund mangenden Kapazitäten (und damit einer Unter- bez. Fehlplanung) nicht hätten realisiert werden können.

 

Der zweite Steuerungshebel der Leistungsträger betrifft die Verträge mit Leistungserbringern. Die Kostenträger haben hier Instrumente, um eine sowohl qualitativ gute, als auch wirtschaftli- che Leistungserbringung durchzusetzen. Diese Position wird durch die Handlungsoption c2) mit der Möglichkeit, bei Verletzung der vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten die vereinbarte Vergütung zu kürzen, weiter gestärkt. Diese Stärkung ist sachgerecht, wenn sichergestellt ist, dass der Minderungsbetrag der jeweiligen Schwere des Vertragsverstoßes angemessen ist und die Entscheidung im Konfliktfall schiedsstellenfähig ist.

 

 

Keine Planung ohne Fehlplanung

Das Ergebnis der Planung von Kapazitäten kann nur bedarfsgerecht sein, wenn die Leistungs- träger in der Lage sind, den Bedarf für die einzelnen Gruppen von Hilfsbedürftigen und die un- terschiedlichen Hilfeformen sicher zu prognostizieren. Dass dies gelingt, ist äußerst fraglich. Gelingt dies nicht, so zeigt sich die Fehlplanung erst in einem nicht gedeckten Bedarf, von dem die ggf. aufgrund von Beschwerden hilfeberechtigter Bürger erfahren, bzw. durch das Entste- hen von Wartelisten. Das offene Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis hat den großen Vorteil, dass Leistungserbringer in ihrer Kenntnis oder Vermutung über die Entwicklung des Bedarfs Kapazitäten schaffen. Es ist ihr Risiko, ob sich ihre unternehmerischen Entscheidungen rech- nen, da sie das Belegungsrisiko tragen. Daher treffen sie ihre Entscheidungen nach intensiver Recherche der verfügbaren Informationen und mit der entsprechenden Vorsicht. Ein Sozial- rechtliches Dreieck mit offenem Marktzutritt weist die Vorteile eines dezentralen Koordinations- systems auf. Die Planungsverantwortung ist nicht beim Leistungsträger zentralisiert, sondern ist auf viele Schultern verteilt. Dies ist gerade bei der sehr kleinteiligen Eingliederungshilfe, die un- terschiedlichsten Gruppen und Bedarfslagen gerecht werden muss, ein großer Vorteil.

 

Unklar ist auch, auf welcher politischen Ebene die Bedarfsplanung erfolgen soll. Sie kann nicht allein auf Ebene des einzelnen Leistungsträgers erfolgen, weil angesichts der Differenziertheit des notwendigen Hilfesettings nicht alle Angebote in allen kommunalen Gebietskörperschaften vorgehalten werden können. Die Planung müsste somit auf Landes- oder wenigstens auf Re- gierungsbezirksebene erfolgen. Das erhöht die Komplexität der Bedarfsplanung und damit die Gefahr von Fehlplanung.

 

 

Die Bedarfsplanung hemmt Innovation

In einem Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis mit offenem Marktzutritt können Leistungserbrin- ger im Rahmen des sozialrechtlich kodifizierten Leistungsumfangs Innovationen erproben und einführen. Soweit die Innovation einen anerkannten Bedarf deckt und den Geboten der Wirt- schaftlichkeit und Sparsamkeit entspricht, stehen der Einführung der Innovation grundsätzlich keine Hindernisse entgegen. Im Falle einer Bedarfsplanung müsste, so ist zu erwarten, erst von Seiten des Leistungsträgers festgestellt werden, ob er einen Bedarf für die Innovation sieht. Gerade hier zeigt sich der eklatante Widerspruch der Bedarfsplanung zu den Intentionen des Persönlichen Budgets. Neben die bedarfsgesteuerte Zulassung von Leistungserbringern träte die Kompetenz der Kostenträger, die Innovationsprozesse in der Eingliederungshilfe zu steu- ern. Damit ist die Gefahr verbunden, dass Innovation nur dann eine Chance hat, wenn der Leis- tungsträger bereits von der Sinnhaftigkeit der Innovation überzeugt ist. Innovation folgt in der Regel aus dezentralen Prozessen, Neuerungen müssen dezentral von Akteuren erprobt wer- den können, bevor sie zum state of the art werden können.

 

 

Der Bedarfsplanung folgt zwingend die Ausschreibung nach Vergaberecht

Entscheidet der Leistungsträger nach Bedarfsprüfung, ob er einen Leistungserbringer zulässt, so wird er einzelne Leistungserbringer zulassen und anderen, in der Regel ebenso geeignete Leistungserbringern mit dem Argument, der Bedarf sei bereits gedeckt, einen Versorgungsver- trag verweigern. Dies kann er nicht willkürlich tun, dagegen steht allein schon die auch für Un- ternehmen gegebene Berufsfreiheit nach Art. 12 GG. Soweit Leistungsträger eine solche will- kürliche Auswahl vorgenommen haben, wie etwa im Bereich des SGB VIII bei Einführung eines Sozialraumbudgets, und nicht berücksichtigte Leistungserbringer hiergegen geklagt haben, ist die Konstruktion von den Gerichten verworfen worden. Also wird die Zulassung nach einem rechtssicheren Verfahren erfolgen müssen, hierbei bietet sich das Vergaberecht an. Alternative Verfahren müssten, soweit sie überhaupt zulässig sind, vergleichbare Anforderungen an Transparenz und Rechtsklarheit erfüllen.

 

Auch aus europarechtlicher Sicht ist zu erwarten, dass die Bedarfsplanung letztlich in das Vergaberecht münden wird. Das europäische Vergaberecht ist jüngst reformiert worden. So- wohl in der Vergaberichtlinie, als auch in der Konzessionsrichtlinie ist durch Erwägungsgründe festgestellt worden, dass Vergaberecht nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Leistungs- träger einen oder wenige Leistungserbringer zur Leistungserbringung zulassen und andere von der Leistungserbringung ausschließen muss (oder will).

 

So heißt es im Erwägungsgrund 13 der Konzessionsrichtlinie:

 

Regelungen, nach denen ohne gezielte Auswahl alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, berechtigt sind, eine bestimmte Aufgabe, wie beispielsweise Kundenwahl- und Dienstleistungsgutscheinsysteme, wahrzunehmen, sollten darüber hinaus nicht als Konzessionen gelten, was auch für Regelungen gilt, die auf einer rechtsgültigen Vereinbarung zwischen der Behörde und den Wirtschaftsteil- nehmern beruhen. Derartige Systeme beruhen typischerweise auf der Entscheidung ei- ner Behörde, mit der transparente und nichtdiskriminierende Voraussetzungen für den kontinuierlichen Zugang von Wirtschaftsteilnehmern zur Erbringung bestimmter Dienstleistungen, wie soziale Dienstleistungen, festgelegt werden, wobei den Kunden die Wahl zwischen den Anbietern freisteht.“ (Hervorhebungen: gc)

 

Bei Bedarfsplanung können sich die Leistungsträger nun gerade nicht auf diesen Erwägungs- grund berufen, da sie Leistungserbringer bewusst auswählen und somit keine nichtdiskriminie- renden Voraussetzungen für den kontinuierlichen Zugang von Leistungserbringern schaffen. Das kann im Bereich der Eingliederungshilfe nur ein offen gestaltetes Dreiecksverhältnis, d.h. durch ein System ohne Bedarfsprüfung, erfolgen.

 

Der Übergang zur Vergabe der Leistungen der Eingliederungshilfe, die letztlich eine unvermeid- liche Folge der Bedarfsplanung wäre, hatte gravierende Folgen für das Wunsch- und Wahlrecht der hilfesuchenden Bürger und für die Stellung der freien Träger. Im Einkaufsmodell des Vergaberechts muss der Leistungsträger nicht nur den Bedarf planen, er entscheidet auch mit- tels der Festlegung der Teillose über das gegebene Maß der Anbietervielfalt und muss im Ver- gabeprozess die Qualität und den Leistungsinhalt im Einzelnen vorgeben, damit die Angebote verglichen werden können. Daher führt die Anwendung des Vergaberechts tendenziell zu einer Standardisierung von Leistungen, die einer Individualisierung der Leistungen oft entgegensteht. Das Einkaufsmodell bedeutet die Abkehr vom Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. Die Aus- schreibung hat im Bereich der sozialen Dienstleistungen dort, aber auch nur dort ihren Platz, wo eine exklusive Auswahl des oder der Leistungserbringer unvermeidbar ist. Dort aber, wo, wie in der Eingliederungshilfe, die Wahlentscheidung unter den Leistungserbringern den Hilfe- berechtigten überlassen werden kann, ist es nicht die Aufgabe des Staates, soziale Dienstleis- tungen „bereitzustellen“, er muss somit auch keinen öffentlichen Auftrag erteilen. Seine Rolle ist, so der Sozialrechtler Welti, als Mittler zu dienen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, die Anspruch auf Hilfe haben, und den anspruchserfüllenden Leistungserbringern. Unter diesen eine Auswahl zu treffen, liegt in der Kompetenz der Leistungsberechtigten. Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis bietet dafür den geeigneten Rahmen. Mit dem Übergang zur Ausschreibung nach Vergaberecht wird die Rolle des Leistungsträgers gegenüber dem anspruchsberechtigten Menschen umkehrt: Die Personenorientierung und Selbstbestimmung der Menschen mit Be- hinderung wird faktisch wieder aufgehoben. Sie werden in die Rolle des Objektes der Fürsorge versetzt, weil der Leistungsträger für sie den „richtigen“ Leistungserbringer über das Ausschrei- bungsverfahren auswählt. Der Leistungsträger selbst begibt sich in die Rolle des „Kunden“, der beim Leistungserbringer einkauft und dann die eingekaufte Leistung paternalistisch dem Men- schen mit Behinderung zur Verfügung stellt.

 

Auch die Stellung der freien Träger in der Eingliederungshilfe würde sich mit der Ausschreibung als Regelverfahren massiv verändern. Sie würden von Mitwirkenden mit Gestaltungskompetenz im Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis zu Nehmern staatlicher Aufträge. Statt um die Wahlent- scheidung der hilfesuchenden Bürger zu werben, würden sie sich – nolens volens – allein auf die Bedarfe und Vorgaben der Leistungsträger ausrichten.

 

Auf eine Weise könnte allerdings die Vergabe von Leistungen der Eingliederungshilfe zu den erhofften Kosteneinsparungen führen. Es wäre zu erwarten, dass über den Wettbewerb im Vergabeverfahren vermehrt Leistungserbringer zum Zuge kommen, die ihre Mitarbeitenden nicht tarifgebunden vergüten. Dann würden allerdings die immer wieder in den Beratungen der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegeld erhofften „Synergien“, die Leistungsverbesserungen auch ohne entsprechende zusätzliche Finanzmittel ermöglichen sollen, aus einer massiven Schlech- terstellung der Beschäftigten in der Eingliederungshilfe resultieren. Dies kann nicht die Intention einer Regierung sein, die jüngst erfolgreich ein Tarifautonomiestärkungsgesetz durch das par- lamentarische Verfahren gebracht hat. Eine solche Entwicklung würde zudem mittel- und lang- fristig die Ausstattung der Eingliederungshilfe mit qualifizierten Fachkräften gefährden.

 

 

Fazit

Eine Bedarfsplanung in der Eingliederungshilfe schränkt das Wunsch- und Wahlrecht stark ein. Sie schreibt dem Menschen mit Behinderung die Rolle des unselbständigen Leistungsempfän- gers zu. Nicht die Menschen mit Behinderung sind die Kunden der Leistungserbringer, sondern der Leistungsträger, der dann die Leistungen den anspruchsberechtigen Menschen mit Behin- derung zur Verfügung stellt. Eine Bedarfsplanung ist nicht erforderlich, um den Leistungsträ- gern eine angemessene Steuerung zu ermöglichen. Soweit Steuerungsdefizite bestehen, müs-sen diese im Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis überwunden werden. Eine zentralisierte Be- darfsplanung birgt die Gefahr von Fehlplanung zu Lasten der Leistungsberechtigten. Die Be- darfsplanung ist gleichzeitig innovationsfeindlich. Aus verfassungsrechtlichen und europarecht- lichen Gründen wird die Bedarfsplanung in das Vergaberecht münden. Damit erfolgt die Abkehr vom Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis mit allen Folgen für das Wahlrecht der hilfesuchen- den Bürger und die Stellung freier Träger.