Kommentar der BAGFW zum Aktionsplan des BMAS für Übergänge aus den Werkstätten für behinderte Menschen auf einen inklusiven Arbeitsmarkt

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege bedanken sich für die Zusendung des „Aktionsplanes für Übergänge aus den Werkstätten für behinderte Menschen auf einen inklusiven Arbeitsmarkt”. Zu den Zielen des Aktionsplanes gehören die Verbesserung der individuellen Förderung, mehr Durchlässigkeit von der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen (WfbM) auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, mehr Transparenz bei der Entlohnung sowie eine höhere Entlohnung.

 

Zusammenfassende Bewertung:                                                               

Das Recht auf Arbeit ist ein grundlegendes soziales Menschenrecht, welches in mehreren internationalen Völkerrechtskonventionen anerkannt wird. Dieses Recht auf Arbeit gilt für jeden Menschen; unabhängig von einer Behinderung. Beides, der UN-Sozialpakt (Art. 6-8) wie auch die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wurden durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und sind umzusetzen. Art. 27 der UN-BRK konkretisiert das Recht auf Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen. Neben den Empfehlungen, die der UN-Fachausschuss im Rahmen der 2. und 3. Staatenberichtsprüfung Deutschlands zur Umsetzung der Konvention ausgesprochen hat, leitet er in seinen Allgemeinen Bemerkungen Nr. 8 Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Rechts auf Arbeit und Beschäftigung ab.

Die BAGFW begrüßt grundsätzlich die Ausrichtung der im Aktionsplan vorgestellten Vorhaben. Um den völkerrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, empfiehlt die BAGFW der Bundesregierung darüber hinaus Maßnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsmarkt insgesamt inklusiver zu gestalten. Denn bisher enden alle Versuche, dieses Ziel zu erreichen, mit der Einführung weiterer Instrumente zur Teilhabe am Arbeitsleben, die für bestimmte Zielgruppen ihre Berechtigung haben, jedoch die auf dem Arbeitsmarkt wirkenden Barrieren weder adressieren noch lösen. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass sie den Menschen mit Behinderung zum Ausgangspunkt nehmen.

Auch dem vorliegenden Aktionsplan fehlt es zum einen an einem Gesamtkonzept und einer Gesamtstrategie für einen offenen, inklusiven und zugänglichen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Zum anderen enthält der Aktionsplan keine konkreten Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen und komplexem Unterstützungsbedarf konkret in die Lage versetzen würden, ihr Recht auf Bildung und Arbeit einzulösen. Die UN-BRK sieht keine Unterscheidung zwischen leistungsfähigen und weniger leistungsfähigen Menschen mit Behinderungen und keinen Ausschluss von der Teilhabe am Arbeitsleben für bestimmte Personengruppen vor. Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und komplexem Unterstützungsbedarf muss beendet werden.

Damit alle Menschen mit Behinderungen ihre Rechte auf Bildung, Arbeit und Beschäftigung gleichberechtigt, selbstbestimmt und barrierefrei in Anspruch nehmen/einlösen, muss sich der allgemeine Arbeitsmarkt verändern. Der Ausbau digitaler und physischer Barrierefreiheit ist von ebenso großer Bedeutung, wie der Abbau von Vorbehalten bei Arbeitgebenden und die Sicherstellung individuell passender Nachteilsausgleiche, die flexibel anpassbar und wenn nötig auf Dauer angelegt sind. Nachteilsausgleiche müssen fest und dauerhaft an die Person mit ihren individuellen und spezifischen Fähigkeiten und Bedürfnissen angepasst und abrufbar sein. Sie dürfen nicht vom Ort der Teilhabe am Arbeitsleben abhängig sein.

In diesem Sinne fordert die BAGFW:

  • Die Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Schaffung eines offenen, inklusiven und zugänglichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes. Unter Mitarbeit von Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden, von Vertreter*innen inklusionserfahrener Organisationen aus der Praxis, Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, den Gewerkschaften, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Wohlfahrtsverbänden sowie Schwerbehinderten-vertreter*innen und Werkstatträt*innen muss erarbeitet werden, wie sich der in weiten Teilen exklusive Arbeitsmarkt zu einem offenen, inklusiven Arbeitsmarkt mit gleichwertigen Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen entwickeln kann.
  • Im Rahmen der zu entwickelnden Gesamtstrategie ist die Schaffung spezieller, zielgruppenspezifischer Arbeitsmarkt- und Förderprogramme zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen und zur Schaffung inklusiver Arbeitsplätze zu integrieren.

 

1. Aktionsfeld „Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“

In dem Aktionsfeld „Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“ schlägt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verschiedene Maßnahmen vor, die die BAGFW wie folgt kommentiert:

  • Ausweitung der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nach § 162 Nummer 2 und 2a SGB VI auf Menschen mit Behinderungen auf das Budget für Arbeit

Im Budget für Arbeit bleiben Budgetnehmer*innen dauerhaft voll erwerbsgemindert und daher Rehabilitand*innen im Sinne der Eingliederungshilfe. Dies bedeutet, dass sie ein uneingeschränktes Rückkehrrecht in die WfbM besitzen. Dieses Rückkehrrecht kann de facto zur Rückkehrpflicht werden, denn die Budgetnehmer*innen sind zwar in der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung, aber nicht in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig.

Der Gedanke des Gesetzgebers war, dass Menschen mit Behinderung im Falle des Scheiterns ein Rückkehrrecht in die WfbM haben und daher nicht auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung angewiesen seien. Dies führt aber in der Praxis zu einer Rückkehrpflicht von Menschen mit Behinderung, die auf dem Arbeitsmarkt integriert waren und aufgrund der normalen Schwankungen und Risiken am Arbeitsmarkt arbeitslos werden. Dies ist im Hinblick auf § 27 UN-BRK kaum begründbar und sollte bei einem Gesetzesvorhaben berücksichtigt werden.

Daneben regt die BAGFW an, im Hinblick auf das Budget für Arbeit bestehende Probleme in der Anwendungspraxis zu lösen, um das Instrument insgesamt zu befördern. Die Umsetzung erfolgt von den Trägern der Eingliederungshilfe höchst unterschiedlich. Beispielsweise wird der Spielraum bei der Förderhöhe des Lohnkostenzuschusses bis zu 75 Prozent in manchen Bundesländern nicht ausgeschöpft. Ein niedrigerer Förderzuschuss führt jedoch zu verringerter Inanspruchnahme des Instruments. Hier wäre die gesetzliche Klarstellung einer individuell passgenauen Förderhöhe notwendig.

Um die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsmöglichkeiten für Werkstattbeschäftigte auf dem Arbeitsmarkt kurzfristig signifikant zu erhöhen, schlägt die BAGFW vor, die Wirkung des Budgets für Arbeit durch eine modellhafte Erhöhung des Lohnkostenzuschusses auf 100 % des Mindestlohns bzw. des jeweils tariflich vereinbarten Lohns zu verstärken. Die Aufstockung des Lohnkostenzuschusses könnte aus Mitteln des Ausgleichsfonds bereitgestellt werden. Als Vorbild verweisen wir auf die erfolgreiche Umsetzung entsprechender Förderung von langzeitarbeitslosen Leistungsberechtigten nach § 16i SGB II. In den fünf Jahren seit der Einführung des Instrumentes „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ im Januar 2019 wurden insgesamt 89.500 Förderungen begonnen. Im März 2024 standen mehr als 30.000 Menschen in einem geförderten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Demgegenüber erhielten 2.950 Personen zum Stichtag 31.12.2022 ein Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX).

Zukünftiger Wegfall der Anrechnungsmöglichkeit von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe, damit Arbeitgeber*innen ihre Beschäftigungspflicht im Unternehmen erfüllen und nicht indirekt über Aufträge an eine WfbM abgelten

Die wegfallende Anrechnungsmöglichkeit könne nach Auffassung des Ministeriums kompensiert werden, indem Arbeitgeber*innen Werkstattbeschäftigte übernehmen, die bisher bei ihnen auf ausgelagerten Werkstattplätzen tätig waren oder Menschen mit einem Budget für Arbeit einstellen.

Zweck der Regelung in § 223 SGB IX zur Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichabgabe ist, dass für Arbeitgeber*innen ein Anreiz geschaffen wird, Aufträge an Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu erteilen. Dadurch sollen Wettbewerbsnachteile der WfbM (reduzierte Produktivität bei hohem Aufwand) ausgeglichen werden und die Auftragslage der Werkstätten und die Beschäftigung der dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen wesentlich gefördert werden (…).[1]

Mit der Streichung verbindet das Ministerium die Vorstellung, dass Arbeitgeber*innen in Zukunft Werkstattbeschäftigte übernehmen, die bei ihnen auf ausgelagerten Werkstattplätzen tätig sind oder Menschen mit einem Budget für Arbeit einstellen. Betriebsintergierte Arbeitsplätze sind generell ein mögliches Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung. Dass betroffene Unternehmen Werkstattbeschäftigte allein aufgrund des erzeugten finanziellen Drucks einstellen werden, ist äußerst fraglich. Gelingende Übergänge aus Werkstätten in Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt setzen ein strukturiertes und refinanziertes Übergangsmanagement, barriere- und diskriminierungsfreie Personalgewinnungsprozesse sowie ein ebensolches Arbeitsumfeld auf Seiten der Arbeitgeber*innen voraus.

Die „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ (Entgeltstudie) benennt diese Maßnahme nicht und auch aus Sicht der BAGFW ist sie im bestehenden System nicht zielführend. Vielmehr ist zu befürchten, dass bei einem Wegfall der Anrechnung auf die Ausgleichsabgabe Aufträge an Werkstätten zurückgehen werden. In jedem Fall werden Werkstätten bei Rückgang von Aufträgen einen stärkeren Fokus auf die Akquise von Aufträgen legen müssen. Diese Ressourcen wären sinnvoller im Übergangsmanagement investiert. Sollte das Arbeitsergebnis der Werkstätten durch eine geringere Zahl an Aufträgen sinken, ergäben sich ohne weitere Maßnahmen zudem negative Effekte für die daran gekoppelte Entlohnung der Beschäftigten.

  • Mobilität in den Blick nehmen

Notwendig ist aus Sicht der BAGFW zudem die Förderung der Mobilität. Die Entgeltstudie benennt in den Handlungsempfehlungen deutlich, dass fehlende eigene Mobilität die Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erschwert, insbesondere im ländlichen Raum. Neben einem Ausbau eines barrierefreien ÖPNV sollten weitere Maßnahmen zur Förderung der Mobilität umgesetzt werden.

 

2. Aktionsfeld „Verbesserung der Qualität der beruflichen Bildung“

Die BAGFW teilt das Ziel des BMAS, das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen zu stärken. Hier sind gerade in der beruflichen Bildung deutliche Schritte notwendig: Das Berufsbildungssystem ist bisher nicht darauf ausgerichtet, allen jungen Menschen, die eine Ausbildung anstreben, eine solche Ausbildung auch zu ermöglichen. Es zeichnet sich vielmehr durch exkludierende Strukturen aus, die nicht nur Menschen mit Behinderungen diskriminieren.

Die BAGFW, deren Verbände Träger vielfältiger Angebote zur beruflichen Bildung von Menschen mit Behinderungen sind, beteiligt sich gern an dem vom BMAS in Aussicht gestellten Austausch. Sie weist darauf hin, dass die Diskussion mit Blick auf das gesamte System der beruflichen Bildung geführt werden muss. Ein isolierter Blick auf den zu transformierenden Berufsbildungsbereich wird nicht zu einem gleichberechtigten und selbstbestimmten Zugang zu beruflicher Bildung für Menschen mit Behinderungen führen. Vielmehr sollte bereits bekannte gute Praxis in der Weise gestärkt werden, dass sich das System der beruflichen Bildung auf längere Sicht zu einem inklusiveren System transformiert.

 

3. Aktionsfeld „Entlohnung in den WfbM“

Ausgangspunkt des Werkstattreformprozesses war die Notwendigkeit, das von den WfbM gezahlte Entgelt so zu gestalten, dass sich die Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten verbessert und das System transparenter wird. Es ist enttäuschend, dass gerade in diesem zentralen Anliegen keine erkennbare Änderung stattfinden wird. Nach Auffassung der BAGFW sollte in dieser Legislaturperiode mindestens ein erster Schritt in Richtung einer besseren Entlohnung der Beschäftigten unternommen werden.

 

4. Aktionsfeld „Weiterentwicklung der Teilhabemöglichkeiten für Menschen in der Tagesförderung“

Ernüchternd sind die Aussagen im Aktionsplan des BMAS zur Teilhabe von Menschen mit komplexen Behinderungen. Die BAGFW hatte im Rahmen des Verbändedialogs, der im Vorfeld des nun vorliegenden Aktionsplans geführt wurde, die Berücksichtigung dieses Personenkreises im Reformprozess als positive Entwicklung wahrgenommen. Die BAGFW hat das Vorhaben des BMAS, eine Studie zu Teilhabebedarfen der Personengruppe in Auftrag zu geben, grundsätzlich begrüßt. Aus Sicht der BAGFW muss der Zugang von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zu Bildung und Arbeit zeitnah erfolgen und kann auch schon vor noch zu beauftragender Forschung geschaffen werden. Die nun im Aktionsplan gewählte Formulierung ist unklar und legt nahe, dass der Fokus nun voreilig auf Teilhabemöglichkeiten in Tagesförderstätten begrenzt werden könnte. Dies wäre aus Sicht der BAGFW fatal. Das Recht auf berufliche Bildung und auf Teilhabe an Arbeit für diesen Personenkreis muss endlich zeitnah umgesetzt werden.

 


[1] BT-Drucksache 18/9954, S. 71