Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) bedankt sich für die Übersendung des Berichts über die Evaluierung des Gesetzes zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019 und des oben genannten Gesetzentwurfs. Ebenfalls bedankt sich die BAGFW für die Möglichkeiten, die das Bundesministerium der Justiz sowohl mit der Online-Umfrage als auch mit dem zweitägigen Expertenworkshop eröffnet hat, um die Erfahrungen der Betreuungsvereine aus unterschiedlichen Perspektiven in die Evaluation des VBVG einzubringen.
Die Arbeit der Betreuungsvereine ist seit Jahren strukturell unterfinanziert. Dieser Umstand ist durch die Tarif- und Preisentwicklung der letzten Jahre nochmals massiv verstärkt worden. Mit Bedauern nehmen wir daher zur Kenntnis, dass die im Evaluationsbericht dokumentierten klaren Rückmeldungen in dem nunmehr vorgelegten und abgestimmten Referentenentwurf offenbar keine Berücksichtigung gefunden haben.
Die BAGFW warnt: Der aktuelle Entwurf wird in der Praxis die Einnahmen der Betreuungsvereine reduzieren und damit deren Arbeitsfähigkeit gefährden. Viele Betreuungsvereine sehen in den dargelegten Vergütungsregelungen eine akute Gefahr für ihre Existenz. Denn es ist für sie absehbar, dass sie mit der vorgesehenen Vergütung ihre tarifgebundenen Angestellten nicht mehr finanzieren können. Aus diesem Grund fordert die BAGFW das BMJ auf, den Entwurf zurückzuziehen und so zu überarbeiten, dass die künftige Vergütungsstruktur eine existenzsichernde Refinanzierung der Betreuungsvereine sicherstellt. Einkommensverluste, wie sie durch die angedachten Regelungen entstehen, dürfen in keinem Fall eintreten!
Zwar enthält der Entwurf weiterführende Ansätze zur Vereinfachung der Betreuervergütung. Insgesamt geht der vorlegte Ansatz zur Anpassung der Betreuervergütung aber eklatant an den deutlichen Bedarfen der Praxis vorbei. Die Auswirkungen für die finanzielle Ausstattung der Betreuungsvereine und ihrer Mitarbeitenden wiegen schwer. Aus Sicht der BAGFW ist der Entwurf damit insgesamt nicht annehmbar, nicht nachhaltig und nicht zukunftsfähig.
Wichtig ist es sicherzustellen, dass die Vergütung den reellen Kostenentwicklungen, also insbesondere den Personalkosten von Betreuungsvereinen und dem Aufwand der Querschnittsarbeit, entspricht. Nur dann lässt sich auch das strukturelle Defizit abbauen, das derzeit viele Betreuungsvereine belastet und deren wirtschaftliche Existenz bedroht. Überlegungen zur agilen Verfahrensgestaltungen und damit einer Entbürokratisierung der gegenwärtigen komplizierten Pauschalen setzen voraus, dass eine Systematik für eine grundlegend reformierte auskömmliche Vergütung der Betreuungsvereine und Berufsbetreuer besteht. Der gegenwärtige Entwurf und die darin vorgeschlagene Entbürokratisierung schreibt lediglich die problematische und unzureichende Vergütung im Grundsatz fort.
Im Einzelnen sieht die BAGFW folgenden grundlegenden Reformbedarf:
1. Anpassung der Tarifsteigerungen und Dynamisierung: Die nunmehr vorgeschlagene Vergütungsanpassung liegt nur unwesentlich über der durch den Inflationsausgleich ergänzten Vergütung, die bereits seinerzeit die vollständigen Kostensteigerungen nicht ausgeglichen hat. Gemessen an den Finanzbedarfen der Betreuungsvereine bewirkt sie bereits jetzt keine flächendeckende effektive Erhöhung der Refinanzierung. Damit erweist sich die Neuberechnung der Vergütung als unzureichend. Zudem zeichnet sich ab, dass die im Entwurf vorgesehene Vergütungserhöhung bereits vor ihrem für 2026 vorgesehenen Inkrafttreten überholt sein wird. Denn im kommenden Jahr 2025 finden erneut Tarifverhandlungen des TVöD-VKA statt und werden aller Voraussicht nach eine erneute Erhöhung der nach dem VGVB einschlägigen Tarifvergütung mit sich bringen. Damit bleibt der Entwurf offenkundig hinter der realen Tarifentwicklung zurück. Das Dilemma einer defizitären Refinanzierung wird damit fortgeschrieben.
Problematisch ist schließlich, dass der Referentenentwurf wiederum anstelle einer Dynamisierungsregelung nur die Ankündigung einer erneuten Evaluation enthält. Dies ist sachfremd: Der Entwurf richtet sich an der Vergütung nach dem TVöD aus. Dies ist kein statischer Wert, sondern eine sich ständig entwickelnde Bezugsgröße. Gerade die Betreuungsvereine, die ihre Mitarbeitenden nach TVöD bezahlen, sind bereits in den vergangenen Jahren durch das faktische Einfrieren der Refinanzierung an ihre Liquiditätsgrenzen gebracht worden. Die damit einhergehende Planungsunsicherheit veranlasste bereits sowohl Betreuungsvereine als auch Berufsbetreuer*innen ihre Tätigkeit aufzugeben. Für die Zukunft ist absehbar, dass sich ohne eine angemessene Dynamisierung der Kreislauf von gesetzlichen Korrekturerfordernissen und deren Überholung durch Tariferhöhungen fortsetzen wird. Dem Ziel einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesetzgebung wird dies nicht gerecht.
2. Nicht nachvollziehbare Grundlage für die Berechnung der Vergütungshöhe:
Nicht plausibel ist zudem, wie der Entwurf die nunmehr ermittelten Vergütungshöhen errechnet hat. Gleicht man die unterschiedlichen vorgeschlagenen Beträge mit den gegenwärtig bestehenden Beträgen ab, liegen die Grund- und die Qualifikationsvergütung bei mittellosen Betreuten sogar in der nach den Annahmen des Entwurfs besonders aufwändigen Anfangszeit der Betreuung unter der bisherigen Vergütung. Es ist mithin in keiner Weise nachvollziehbar, wie diese Ergebnisse zustande kommen. Dies gilt umso mehr, als nach den Rückmeldungen des Berichts die Mandate für mittellose Betreute deutlich die Mehrheit der übertragenen Betreuungsfälle ausmachen. Dass die teilweise erwartete und als Argument für die Angemessenheit der Vergütung vorgebrachte Mischkalkulation (so offenbar die Ansicht eines Teils der in der Evaluation befragten Rechtspfleger, s. Evaluationsbericht, S. 32 f.) tatsächlich diese offenbaren Mindereinnahmen decken wird, ist nicht absehbar. Die erhobene faktische Verteilung der Betreuungsmandate auf Fallpauschalen lässt erkennen, dass bei den Mandaten die Betreuung mittelloser Menschen in anderen als stationären Wohnformen deutlich den Schwerpunkt der Tätigkeit ausmachen (s. Evaluationsbericht, S. 18 f). Dies ist jedoch genau der Personenkreis, bei dem der vorgelegte Entwurf zu einer geringeren Vergütung führt.
Im Ergebnis wird unter einer solch absehbar unzureichenden Vergütung die Betreuungsqualität leiden. Die fehlende Bereitschaft, die zivilgesellschaftlichen Betreuungsstrukturen angemessen zu vergüten, unterläuft die Ziele der 2023 in Kraft getretenen Betreuungsrechtsreform in vieler Hinsicht:
- Die für die Betreuungsrechtsreform essenzielle Unterstützte Entscheidungsfindung wird unter dem finanziellen Druck auf Betreuer und Betreuungsvereine leiden und zu kurz kommen.
Denn um kostendeckend arbeiten zu können, richten sich bereits jetzt viele Betreuer darauf ein, die empfohlene Höchstzahl von 50 Betreuungsmandaten deutlich überschreiten zu müssen. Diese höhere Zahl von Betreuungsmandaten führt zwangsläufig zu Abstrichen bei der Intensität der einzelnen Betreuungen. Dies widerspricht dem gesetzgeberischen Ziel der Betreuungsrechts-Reform, die Qualität in der rechtlichen Betreuung zu verbessern und die Selbstbestimmungsrechte betroffener Menschen zu stärken. Um diesem gesetzlichen Auftrag zu genügen, müssten Berechnungen zufolge die Fallzahlen um 27% gesenkt werden (s. hierzu auch die Berechnungen des Berufsverband der Berufsbetreuer:innen: Positionspapier des BdB zur Reform des Vergütungssystems: Bundesverband der Berufsbetreuer:innen e.V. (berufsbetreuung.de) und nicht auf 50 – 60 erhöht werden. Dies aber würde nötig, um im Rahmen der vom Entwurf vorgesehenen Vergütung ein wirtschaftliches Überleben sicherzustellen. Angesichts der mit diesem Entwurf zu erwartenden Vergütungen erscheint es sehr fraglich, ob Betreuungsvereine zukünftig ausreichend qualifiziertes Fachpersonal für die Betreuungsführung gewinnen. Leidtragende dieser Entwicklung werden insbesondere Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf sein.
- Der Gesetzentwurf gefährdet die Umsetzung der UN BRK
Der vorgelegte Referentenentwurf wird für die Menschen, die auf rechtliche Betreuung angewiesen sind, die Verwirklichung ihrer in der UN-BRK verankerten Rechte in Frage stellen. Die vorstehend prognostizierte Verdichtung der Arbeit für rechtliche Betreuer wird dazu führen, dass Betreute weniger statt wie intendiert mehr Zeit mit ihren Betreuer:innen verbringen können. Diese Unterstützung ist aber die Voraussetzung, um das von der Betreuungsrechtsreform intendierte und der UN-BRK geforderte Mehr an Teilhabe im Rechtsverkehr zu ermöglichen. Ohne Spielraum für die vom Betreuungsrecht gewollte Beratung und Unterstützung ist zu befürchten, dass in der Praxis eher die Vertretung der betreuten Menschen als unterstützte eigenständige Entscheidungen überhand nehmen werden. Damit würde der Entwurf in der Umsetzung statt eines Mehr an Teilhabe einen massiven Rückschritt bei der Rechtsverwirklichung der betreuten Menschen mit sich bringen.
- Die aktuellen Rahmenbedingungen schaffen kein attraktives Arbeitsumfeld für potenzielle Fachkräfte. Die zu knappen bzw. fehlenden Ressourcen verhindern attraktive, bedarfsorientierte Personal- und Teamentwicklung, was eine stabile Bindung zwischen dem Verein und seinen Betreuern erschwert. Hohe fachliche Verantwortung, enorme Arbeitsverdichtung und der damit verbundene steigende Zeitdruck wirken abschreckend. Ohne ausreichend qualifizierte und geeignete Fachkräfte können Betreuungsvereine ihren vielfältigen Aufgaben nicht nachkommen. Der Entwurf verfehlt insoweit vollständig das Ziel, eine angemessene und auskömmliche Vergütung zu begründen und so die Attraktivität der Betreuertätigkeit zu steigern. Auf diese Weise wird er zudem das bereits erkennbaren Problem einer unzureichenden Nachwuchsgewinnung eher verfestigen als ihm entgegenzuwirken. (s. S. 13 Ende zweiter Absatz)