Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) ist der Zusammenschluss der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Der verfassungsmäßige, staatliche Auftrag der sozialen Daseinsvorsorge wird im Wesentlichen von der Freien Wohlfahrtspflege erfüllt. Diese stellt eine wichtige Säule im deutschen Sozialstaat dar und trägt täglich mit ihren rund 120.000 Einrichtungen und 1,4 Millionen Beschäftigten maßgeblich zur sozialen Daseinsvorsorge in Deutschland bei.
Damit sowohl die effektive, transparente und unbürokratische Erbringung sozialer Dienstleistungen auf der einen als auch auf der anderen Seite die Beachtung des EU-Beihilferechts gewährleistet ist, muss nicht nur die rechtmäßige Anwendung der Vorschriften durch alle Akteure erfolgen, sondern müssen auch vereinfachende und praxistaugliche Anpassungen der relevanten Vorschriften vorgenommen werden. Hierzu gehören u.a. die (allg.) De-minimis-Verordnung (1407/2013) sowie die DAWI-De-minimis-Verordnung (360/2012).
Zur korrekten Anwendung des EU-Beihilfenrechts gehört auch deren Nicht-Anwendung, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 107 AEUV nicht vorliegen.
Zu den Transparenzanforderungen und einem verbindlichen öffentlichen Register
Durch die Mitwirkung von nationalen Behörden und das rechtskonforme Verhalten der beihilfeempfangenden Unternehmen wird die Wettbewerbspolitik der EU jeweils auf der nationalen, regionalen oder lokalen Ebene umgesetzt.
Dies gilt gerade für die Anwendung der De-minimis-Verordnungen und insbesondere für die Pflicht der begünstigten Unternehmen, De-minimis-Bescheinigungen der fördergebenden Stelle 10 Jahre aufzubewahren. Hintergrund ist, dass die Überprüfung, ob der jeweilige Schwellenwert bei einer erneuten Begünstigung eingehalten ist, konstitutiv ist für die Rechtfertigung der entsprechenden Beihilfe. Die Verbände der BAGFW und ihre Mitglieder kommen dieser Verpflichtung nach. Dabei unterstützen sie auch ein effektives Monitoring von transparenter Beihilfegewährung, um einen fairen Wettbewerb und eine effiziente Beihilfenutzung zu unterstützen.
Gleichwohl begegnet die BAGFW dem Vorschlag eines zentralen Registers zur Aufbewahrung der De-minimis-Bescheinigungen mit einer gewissen Skepsis, da insbesondere im Falle rechtlicher Entscheidungen, die mit der Erteilung von De-minimis-Bescheiden etwa mangels Vorliegens aller Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV fehlerhaft ergangen sein können, die Gefahr besteht, dass sich diese Rechtsfehler in einem elektronischen System verfestigen. Hier wird es auf hinreichende Instrumente für einen effektiven Rechtsschutz etwa in Form einer Beschwerde gegen den Registereintrag ankommen. Unklar ist bei der Ausgestaltung eines solchen Zentralregisters zudem, wie datenschutzrechtliche Garantien im Detail umgesetzt werden, damit die zentrale Vorhaltung von De-minimis-Bescheinigungen keinen unfairen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen ohne Zugriffsberechtigung mit sich bringt. Entscheidend für das gute Funktionieren eines solchen Registers ist, dass die begünstigten Unternehmen jederzeit Zugriff auf ihre Bescheinigungen haben und bei erkannten Fehlern eine unbürokratische Berichtigung und gegebenenfalls Löschung des Registereintrags, auf dem Wege einer Beschwerde oder eines Widerrufs, erfolgen kann.
Zur Anhebung des Schwellenwerts
Konkret sollte der Schwellenwert von De-minimis-Beihilfen i.H.v. derzeit 200.000,- EUR auf Grundlage der Verordnung 1407/2013 deutlich angehoben werden. Da die ursprüngliche Festsetzung in der Verordnung 1998/2006 bereits 16 Jahre zurückliegt, ist schon mit Blick auf die Inflationsentwicklungen eine signifikante Anpassung zwingend erforderlich. Mit Blick darauf, dass mit einer weiteren Anhebung des Schwellenwerts erst wieder in einigen Jahren zu rechnen ist, sind auch zukünftige Inflationsentwicklungen zu berücksichtigen. Bei einer angenommenen jährlichen Inflationsrate von 2% müsste im Jahr 2022 die Obergrenze bei knapp unter 275.000,- EUR festgesetzt werden um aktuell den Wert in Preisen von 2006 widerzuspiegeln. So gesehen handelt sich bei dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Schwellenwert um eine bloße Inflationsbereinigung, nicht jedoch um eine echte Anhebung dessen.
Geht man davon aus, dass eine Anpassung erst wieder in 16 Jahren, also demselben Zeitraum wie von 2006 bis 2022, angepasst wird, könnte sich ein neuer Schwellenwert an demselben Wert nach der Hälfte des genannten Zeitraums, also nach acht Jahren, orientieren. Legt man zur Ermittlung dieses u. E. fairen Werts eine den Entwicklungen und zu erwartenden entsprechende Inflationsrate von 4% zugrunde,[1] ist ein Schwellenwert in Höhe von mindestens 375.000,- EUR angemessen. Mit anderen Worten: Der Schwellenwert von mindestens 375.000,- EUR entspricht für die kommenden Jahre und nach realistischer Einschätzung dem Schwellenwert in Höhe von 200.000,- EUR im Jahr 2006.
Entsprechend können De-minimis-Beihilfen mit einem Schwellenwert von 375.000,- EUR auch im Sinne der geltenden Fiktion der (allgemeinen) De-minimis-Verordnung als Beihilfen angesehen werden, die nicht alle Kriterien des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen und den Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht oder zu verfälschen drohen.
Angesichts der hier zugrunde gelegten allgemeinen Inflationsentwicklungen sind die Träger und Einrichtungen der BAGFW als Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) in ebensolchem Maße von einer realistischen Einschätzung und Bewertung der Geringfügigkeitsgrenze abhängig. So muss bei einer Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze im Rahmen der Verordnung 1407/2013 auch eine Anhebung des Schwellenwerts für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) gem. Verordnung 360/2012 berücksichtigt werden. Dieser liegt aktuell bei 500.000 EUR in drei Steuerjahren (Art. 2 Abs. 2). Eine Anhebung auf 1,5 Mio. EUR in drei Steuerjahren würde eine bessere Praxistauglichkeit der Verordnung sicherstellen. DAWI dienen vorwiegend der lokalen, allenfalls regionalen Daseinsvorsorge. Die Mitgliedseinrichtungen der Verbände der BAGFW sind vor allem in einem geografisch begrenzten Gebiet für die örtlich bestehenden Bedarfe der Bevölkerung aktiv. Auch die EU-Kommission ist u.a. der Auffassung, dass bei Beihilfenempfängern, die Waren oder Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet in einem Mitgliedstaat anbieten und bei denen es unwahrscheinlich ist, dass Kunden aus anderen Mitgliedstaaten gewonnen werden, ein Indiz vorliegt, dass keine Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten gegeben ist (vgl. Bekanntmachung 2016/C 262/01 vom 19.7.2019, Rz. 196).
Vor allem üben Erbringer von DAWI diese Tätigkeit üblicherweise nicht mit Gewinnerzielungsabsicht aus und sind auch in Gebieten tätig (etwa dem ländlichen Raum), die für gewinnorientierte Anbieter wirtschaftlich unrentabel sind. Es ist dadurch weniger wahrscheinlich, dass diese Leistungen auch durch (potenzielle) Wettbewerber aus anderen Mitgliedstaaten angeboten werden. Das bedeutet aber auch, dass insbesondere DAWI-Erbringer, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind, häufig auf externen Finanzierungsbedarf angewiesen sind. Wägt man die besondere gesellschaftliche Rolle sowie den spezifischen Finanzierungsbedarf vieler DAWI-Erbringer auf der einen mit dem geringen Risiko einer signifikanten Auswirkung auf den Wettbewerb und Handel zwischen den Mitgliedstaaten auf der anderen Seite ab, ist ersteres im Ergebnis deutlich stärker zu gewichten und muss sich daher auch in einer Anhebung des Schwellenwerts widerspiegeln.
Weitere konkrete Forderungen zu den De-minimis-Verordnungen sind unserer beigefügten Stellungnahme zu entnehmen, die hier (in deutscher und englischer Sprache) abrufbar ist: https://bit.ly/3AzHYgU.
[1] Vgl. etwa Umfrage des Ifo-Instituts, wonach zwischen 2023 und 2026 „Inflationsraten von weltweit durchschnittlich 6,2% und 4,5%“ erwartet werden (https://www.ifo.de/pressemitteilung/2022-07-14/volkswirte-erwarten-weltweit-hohe-inflation-fuer-die-naechsten-jahre).