Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission über eine Richtlinie zu europäischen, grenzüberschreitenden Vereinen

Die BAGFW bezieht Stellung zu einem Richtlinienentwurf für einen grenzüberschreitend tätigen Verein.

Fassung in englischer Sprache am Ende des Dokuments zum Download

 

Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats über europäische grenzübergreifende Vereine, COM (2023) 516, 05.09.2023

 

Im Folgenden bezieht die BAGFW Stellung zum Richtlinienentwurf für einen grenzüberschreitend tätigen Verein (Abk. „ECBA“-European Cross Border Association) der EU-Kommission vom 5. September 2023.

In der EU gibt es eine Vielzahl verschiedener Erbringer sozialer Dienstleistungen, wobei man zwischen öffentlichen und privaten Anbietern unterscheiden muss. Außerdem ist im Hinblick auf private Anbieter zwischen Akteuren mit Gewinnerzielungsabsicht und den gemeinnützigen Organisationen zu unterscheiden.

Deutschland hat eine lange Tradition gemeinnütziger Erbringer sozialer Dienstleistungen. Die sechs Verbände der Freien Wohlfahrtspflege (FW) sind die größten Anbieter gemeinnütziger Sozialdienstleistungen in Deutschland mit 1,9 Millionen Beschäftigten und etwa 3 Millionen Freiwilligen. Die besondere Rolle der Freien Wohlfahrtspflege ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes sowie dem Subsidiaritätsprinzip.

Ein prägendes Merkmal der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege ist die Gemeinnützigkeit, die in Deutschland in der Abgabenordnung (AO) geregelt ist. Die Gemeinnützigkeit stellt sicher, dass die vorhandenen Mittel effizient und zeitnah zu Gunsten der hilfsbedürftigen Menschen verwandt werden. Sie stellt somit ein Gütesiegel für die Tätigkeit der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland dar.

 

  1. Der ECBA als Stärkung der Zivilgesellschaft und des sozialen Zusammenhalts

Die BAGFW begrüßt die Initiative der EU-Kommission zu einer neuen EU-weiten Vereinsform, des ECBA, mit dem vor allem die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten in den 27 Mitgliedstaaten gestärkt werden sollen. Der Richtlinienentwurf (ff. RL-E) soll für die grenzübergreifende Tätigkeit von Sozialunternehmen im Rahmen des Binnenmarktes einen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten, insbesondere durch die Beseitigung von administrativen Hindernissen. Durch die Einführung des ECBA können Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt innerhalb der EU durch eine rechtlich verbindliche Struktur gefördert werden, was einen europäischen Mehrwert darstellt. Die BAGFW unterstützt die demokratiefördernde Wirkung eines ECBA, insbesondere in politischen Systemen, in denen aufgrund autoritär ausgerichteter Regierungen die Handlungsfreiheit und die partnerschaftlichen Spielräume der Zivilgesellschaft im Verhältnis zu staatlichen Stellen eingeschränkt sind. Nur in einer EU, in der die demokratischen und rechtsstaatlichen Werte gelebt werden können, können die zivilgesellschaftlichen Akteure mit ihrem Einsatz für diese Werte auch die Grundlage für einen sozialen Zusammenhalt bilden. Menschen in Not und in Hilfsbedürftigkeit, Menschen mit Benachteiligungen und Menschen mit Armutserfahrung brauchen zudem eine stabile soziale Infrastruktur, die sich wiederum stärkend auf eine lebendige Demokratie auswirkt. Dieses Zusammenspiel zwischen der Stärkung der Zivilgesellschaft und einer grenzüberschreitenden Vereinstätigkeit sieht die BAGFW als Chance für die demokratische Entwicklung und den grenzüberschreitenden Ausbau des sozialen Zusammenhalts.

 

  1. Der ECBA als neue Rechtsform

Ein ECBA muss „etwaige Gewinne ausschließlich für die Verfolgung seiner satzungsmäßigen Ziele verwenden, ohne dass sie an die Mitglieder ausgeschüttet werden“ (Art. 3 Abs. 2 RL-E). Die Umsetzung der geplanten Richtlinie setzt eine national zu bestimmende Rechtsform voraus (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2, Abs. 4 RL-E), die dem ECBA als Verein ohne Erwerbszweck am ähnlichsten ist. In Deutschland existiert keine „ähnlichste“ Rechtsform laut Art. 4 Abs. 4 RL-E, die die Komponenten hat, „keinen Erwerbszweck“ zu verfolgen und „etwaige Gewinne ausschließlich für die Verfolgung seiner satzungsmäßigen Ziele verwenden zu müssen, ohne dass sie an die Mitglieder ausgeschüttet werden“. Eine ähnliche Rechtsform existiert nach deutschem Recht in § 21 BGB. Ein Idealverein darf auch wirtschaftlich tätig sein, sofern die wirtschaftliche Tätigkeit die Voraussetzung für die Verwirklichung der ideellen Satzung ist. Allerdings ist das Gewinnausschüttungsverbot nicht an die Rechtsform des Idealvereins nach § 21 BGB geknüpft, sondern findet sich in den Regelungen zur Gemeinnützigkeit in der Abgabenordnung. Beim Idealverein dürfen zwar wirtschaftliche Zielsetzungen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Ein Idealverein mit überwiegender wirtschaftlicher Zielsetzung ist nach deutschem Recht nicht eintragungsfähig. Nach der sog. Kita-Rechtsprechung des BGH indiziert aber die Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig iSd. Abgabenordnung, dass ein Verein nicht auf einen wirtschaftlichen Hauptzweck ausgerichtet ist. Deswegen spricht sich die BAGFW dafür aus, dass der Idealverein nach § 21 BGB als dem ECBA „ähnlichste“ Rechtsform bestimmt wird.

 

  1. Der ECBA und eine mögliche Anerkennung als gemeinnütziger Verein

Hinsichtlich der Gemeinnützigkeit ist die Rechtsform des ECBA neutral und kann nicht durch die bloße Registrierung im Herkunftsmitgliedstaat bzw. durch die automatische Anerkennung als ECBA in einem weiteren Mitgliedstaat gemeinnützig werden. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist stark nationalstaatlich und insbesondere in Deutschland steuerrechtlich geprägt. Damit bewegen sich Regelungen zur Gemeinnützigkeit außerhalb des Kompetenzbereichs der EU.

Die BAGFW betont diese Wertung der Subsidiarität und begrüßt die Offenheit des Entwurfs in Bezug auf die unterschiedlichen Formen der Gemeinnützigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten. Diese Vielfalt wird den zahlreichen Möglichkeiten gerecht, die in den Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung des Allgemeininteresses wahrgenommen werden. Für die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege ist die Gemeinnützigkeit ein prägendes Element. Zahlreiche Elemente der Gemeinnützigkeit, anhand deren der Gesetzgeber die Freie Wohlfahrtspflege für die Gewährung der sozialen Infrastruktur als Garant einstuft, sind Kerngehalt der sozialstaatlichen Ausgestaltung.

Die BAGFW sieht in dem Gewinnausschüttungsverbot des ECBA einen Beitrag zur Beschreibung des ausbleibenden Erwerbszwecks. Ebenso positiv sieht die Freie Wohlfahrtspflege, dass die Ausgestaltung der Gemeinnützigkeit im Einzelnen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben soll. ECBAs haben zudem alle „nationalen Vorschriften, die nach nationalem Recht für die ähnlichste Vereinigung ohne Erwerbszweck gelten“ zu beachten (Art. 4 Abs. 2). Dies bezieht sich nicht nur auf die vereinsrechtlichen Regelungen, sondern prinzipiell auch auf die Regeln der Gemeinnützigkeit. Allerdings ist das Steuerrecht, die Rechtsgrundlage für unterschiedliche Gemeinnützigkeitsformen innerhalb der Mitgliedstaaten der EU, entsprechend dem Kompetenzgefüge der EU vom Anwendungsbereich des RL-E ausgeschlossen.[1] Die BAGFW bewertet die Schaffung eines ECBA positiv, da es ECBAs grundsätzlich ebenso mit national unterschiedlichen Gemeinnützigkeitsregimes möglich sein würde, grenzüberschreitend und kooperativ tätig zu sein.

Dem allgemeinen Recht auf Nichtdiskriminierung, wird u. a. in Art. 13 RL-E Rechnung getragen, indem dem ECBA ein ungehinderter, diskriminierungsfreier Zugang zu öffentlichen Finanzmitteln zugesprochen wird. Dies ist für die BAGFW ein dem europäischen Recht naturgemäß eigenes Prinzip, das die logische Folge aus Art. 18 AEUV ist. Mit der Nicht-Diskriminierung geht auch der Grundsatz der Gleichbehandlung einher (Art. 9 RL-E). ECBAs müssen gleichbehandelt werden wie die in der „innerstaatlichen Rechtsordnung ähnlichste Rechtsform für Vereinigungen ohne Erwerbszweck“ (Art. 4 Abs. 4). Ein ECBA könnte mithin eine Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft im Sinne der Abgabenordnung gemäß §§ 51 ff. AO anstreben, muss dafür aber die gleichen Voraussetzungen erfüllen, die auch jede nationale gemeinnützige Körperschaft erfüllen muss (Art. 4 Abs. 2 AO). Die Anforderungen an eine Steuerbefreiung müssten für jedes Land getrennt betrachtet werden. Eine äquivalente Zielerreichung wäre nur durch entsprechende (nicht identische) Anforderungen in den jeweiligen Mitgliedsländern möglich. Sichergestellt sein muss aus Sicht der BAGFW, dass nicht durch den ECBA geringere Anforderungen an das Gemeinnützigkeitsrecht gestellt werden können, indem auf Regelungen in anderen Ländern verwiesen werden kann.

 

  1. Der ECBA und religiöse Gemeinschaften

Einige Träger der Freien Wohlfahrtspflege würden gem. Art. 3 Abs. 1 lit.  des Richtlinien-Vorschlages unter die Ausnahme zur Gründung eines ECBA fallen. Neben den konfessionellen Trägern beträfe die Regelung z.B. auch muslimische Vereine oder Vereine aus dem freikirchlichen Bereich. Diese Vorschrift sieht vor, dass „religiöse Gemeinschaften und Vereinigungen solcher Gemeinschaften“ vom Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlages ausgenommen sind. In Erwägungsgrund 17 wird diesbezüglich auf Art. 17 AEUV verwiesen. Demnach achtet die EU den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. 

Im laufenden Gesetzgebungsverfahren muss sichergestellt werden, dass ihr Status aus Art. 17 AEUV nach nationalem Recht vollumfänglich geachtet bleibt und andererseits die gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit nicht eingeschränkt werden.

 

  1. Vereinsverbote

Die BAGFW möchte ferner auf die Regelung zur unfreiwilligen Auflösung eines Vereins in Art. 25 Abs. 2 Buchst. b des Richtlinien-Vorschlags hinweisen, die sich von der deutschen Regelung unterscheidet. Die Regelungen für ein Vereinsverbot nach deutschem Recht sind in § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG geregelt. Der Richtlinienvorschlag würde die deutsche Regelung zu Vereinsverboten für grenzübergreifende Vereine einschränken und ist daher aus unserer Sicht nicht verhältnismäßig. Vereinsverbote, wie sie jüngst im Bereich von Organisationen von „Samidoun Deutschland“ stattgefunden haben, müssen weiterhin möglich sein, wenn der Verein die Tatbestände der im Vereinsgesetz normierten Verbotsgründe erfüllt.

 

  1. Fazit

Die BAGFW wertet den Entwurf insgesamt positiv, da mit dem ECBA nationale Vereinsformen um eine europäische Dimension ergänzt werden, da trotz der zu erwartenden geringen praktischen Resonanz ein hoher Symbolwert bestehen würde. Darüber hinaus ist ein weiteres hervorzuhebendes Element des Vorschlags, dass es jedem ECBA frei zur Wahl steht, in dem jeweiligen Mitgliedstaat eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit anzustreben, falls ein solcher Status in dem jeweiligen Mitgliedstaat existiert. Weiterhin positiv hervorzuheben ist, dass die Schaffung eines ECBA zu Reformimpulsen für das deutsche Vereinsrecht führen kann und dort zu einem „Digitalisierungsschub“ führen könnte. Die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Vereinen ohne Erwerbszweck in der EU sollte Mindestziel einer Regelung sein.

Insgesamt würde ein ECBA die zivilgesellschaftliche und demokratische Entwicklung innerhalb der EU durch die grenzüberschreitende Stärkung der Zivilgesellschaft stützen, denen die nationale Unterstützung aufgrund autoritärer und demokratiefeindlicher Bedingungen versagt wird. Auch dies ist der BAGFW sehr wichtig, um die Werte der EU als Grundlage für soziale Stabilität zu verwirklichen.

 

Berlin/Brüssel, 06.12.2023

 

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V.

Dr. Gerhard Timm

Geschäftsführer

 

Kontakt:

Dr. Stephanie Scholz (dr.stephanie.scholz(at)diakonie.de)

Dr. Hannah Adzakpa (hannah.adzakpa(at)caritas.de)

Marius Isenberg (marius.isenberg(at)awo.org)

Rebecca Sunnus (rebecca.sunnus(at)bag-wohlfahrt.de)  

 


[1] „Es ist nicht Ziel dieser Richtlinie, bestimmte für ECBA im Binnenmarkt relevante Rechtsbereiche – insbesondere Steuern, Arbeitsrecht, Wettbewerb, geistiges Eigentum, Bekämpfung der Geldwäsche und Insolvenz – zu regeln.“, RL-E, S.5