Diese stellen eine wichtige Säule im deutschen Sozialstaat dar und tragen täglich mit ihren rund 125.000 Einrichtungen und 2,1 Millionen Beschäftigten maßgeblich zur sozialen Daseinsvorsorge in Deutschland bei. Dabei arbeitet die Freie Wohlfahrtspflege nicht gewinnorientiert, sondern richtet ihre Angebote und Dienstleistungen an den Bedarfen der Menschen aus. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland haben sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossen.
Die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds sind für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege wichtige Impulsgeber für die Erprobung innovativer Ideen und Methoden. Dabei ist der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) neben dem Europäischen Sozialfonds (ESF+) und in einigen Mitgliedstaaten dem Kohäsionsfonds, der relevanteste Struktur- und Investitionsfonds für die Verbände und ermöglicht die Förderung zur Schaffung und Modernisierung von Infrastrukturen.
Die Weichen für die zukünftige Kohäsionspolitik der EU und somit auch für den zukünftigen EFRE, werden derzeit gestellt. Dabei werden zum Teil weitreichende Änderungen in der Ausrichtung der Kohäsionspolitik nach 2027 diskutiert. Wir sind der Überzeugung, dass der EFRE dabei zukünftig weiterhin dafür eingesetzt werden muss, den dreifachen Wandel – also den klimafreundlichen, digitalen und demographischen Wandel – bewältigen zu können. Dabei müssen alle Aspekte des dreifachen Wandels gleichermaßen Berücksichtigung finden. Der EFRE muss somit einen Beitrag nicht nur zur Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch zur Klimaneutralität, Digitalisierung und sozialen Kohäsion in Europa leisten. Dafür muss der EFRE auch in der nächsten Förderperiode angemessen mit Finanzmitteln ausgestattet werden.
1. Eine Kohäsionspolitik, die in der gesamten Europäischen Union wirkt
Die Kohäsionspolitik der EU ist ein Ausdruck europäischer Solidarität und ein tragender Pfeiler für das Funktionieren des EU-Binnenmarktes. Die Kohäsionspolitik macht den Mehrwert der Europäischen Union für Bürgerinnen und Bürger in ihrem tagtäglichen Leben sichtbar und stärkt auf diese Weise die Akzeptanz der EU. Sie leistet einen Beitrag dazu, in allen Mitgliedstaaten Regionen zu unterstützen, die sich in einer sogenannten „Entwicklungsfalle“ befinden und zu verhindern, dass andere Regionen in eine solche Falle abrutschen.[1] Jedoch bestehen auch innerhalb anderer Regionen zum Teil erhebliche Wohlstandsgefälle und andere spezifische regionale Herausforderungen, welche die soziale und gesellschaftliche Kohäsion gefährden. Investitionen in den gerechten Wandel sind in allen Regionen notwendig; wo diese unterbleiben, wird der soziale Zusammenhalt geschwächt und werden die politischen Ränder gestärkt. Um die Wettbewerbsfähigkeit aller europäischen Regionen zu erhalten und die Akzeptanz der EU in der europäischen Bevölkerung zu bewahren, müssen die finanziellen Mittel der EU-Kohäsionspolitik daher auch weiterhin allen Regionen der EU-Mitgliedstaaten zugutekommen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei unter anderem darauf liegen, „Entwicklungsfallen“ abzubauen und präventiv zu verhindern, dass Regionen überhaupt in eine solche Falle geraten oder in Gefahr kommen, in eine solche zu geraten.
Um sicherzustellen, dass die Gelder auch dort ankommen, wo sie am meisten benötigt werden, muss das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleiben. Die Mittelvergabe muss unter der Verantwortung der Regionen verbleiben und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner geschehen (Partnerschaftsprinzip). Eine Mittelvergabe nach Vorbild der Aufbau- und Resilienzfazilität, die auf nationaler (statt auf regionaler) Ebene und ohne ausreichende Einbeziehung der Sozialpartner und Zivilgesellschaft geschieht, lehnen wir strikt ab. Da die Kohäsionspolitik langfristig und präventiv wirkt, sind krisenbedingte Umwidmungen während der laufenden Programmperiode und zwischen den Fonds möglichst zu vermeiden. Eine zusätzliche und flexibel einzusetzende Budgetlinie „Krisenintervention“ im Rahmen der Kohäsionspolitik könnte aber ausgleichend wirken.
2. Sozialen, digitalen und ökologischen Wandel Hand in Hand gestalten
Ein erklärtes Ziel der Förderung durch den EFRE, den ESF+, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds (EMFAF) ist u.a. „ein sozialeres und inklusiveres Europa durch die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte“.[2] Die Kohäsionspolitik soll also helfen, insbesondere die Schwerpunkte der 2017 verabschiedeten europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR) umzusetzen. Das Ziel eines sozialeren und inklusiveren Europas muss mit Blick auf die ESSR und die Verpflichtung zur Einhaltung der UN-Nachhaltigkeitsziele auch künftig ein Kernanliegen europäischer Kohäsionspolitik und ein wichtiger Aspekt der kommenden Förderperiode bleiben. Zugleich ist es unbedingt erforderlich, die Anstrengungen gegen den Klimawandel und die notwendigen Anpassungen an dessen bereits jetzt nicht vermeidlichen Auswirkungen zu intensivieren. Sowohl ökologische als auch soziale Nachhaltigkeitsaspekte müssen, ineinandergreifend, durch die Kohäsionspolitik adressiert werden. Dies ist umso wichtiger, als dass die Akzeptanz von notwendigen Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen in der Bevölkerung erheblich leidet, sofern der Eindruck entsteht, dass ökologische und soziale Themenfelder gegeneinander ausgespielt werden und zueinander in Konkurrenz um die verfügbaren Fördermittel treten.
Dies bedeutet, dass in der zukünftigen Förderperiode neben der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, dem Ausbau der Digitalisierung und der Anpassung an den Klimawandel das „sozialere Europa“ einen hervorgehobeneren Stellenwert im EFRE braucht. Derzeit stehen im EFRE aufgrund der vorgeschriebenen thematischen Konzentration allerdings nur sehr geringe Anteile der Gesamtzuweisung an die Mitgliedstaaten für ein sozialeres und inklusiveres Europa zur Verfügung. In den Mitgliedstaaten mit einem BNE von ≥ 100% des EU-Durchschnitts (hierzu gehört u. a. DE) stehen lediglich noch 15% der gesamten EFRE-Zuweisung für Investitionen in ein stärker vernetztes, soziales und inklusives sowie ein bürger:innennahes Europa zur Verfügung. Viele Mitgliedstaaten verzichten daher aktuell insgesamt auf eine Nutzung der EFRE-Mittel für die Umsetzung der ESSR und das Themenfeld „sozialeres Europa“ und setzen dieses Ziel ausschließlich über den Europäischen Sozialfonds (ESF+) um,[3] in dem allerdings in der Regel keine investiven Maßnahmen in notwendige soziale Infrastruktur gefördert werden können. Wir plädieren daher dafür, für die Umsetzung der ESSR als ein weiteres prioritäres Ziel in der Ausrichtung auf nationaler bzw. regionaler Ebene mindestens 5% des zukünftigen EFRE vorzusehen. Über den EFRE sollten dabei unter anderem auch Investitionen in den Erhalt und Ausbau sozialer Infrastrukturen sowie in Lösungen für bezahlbaren Wohnraum möglich sein.
Davon unbenommen müssen auch weiterhin umfassende Fördermittel bereitstehen, um notwendige Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen umsetzen zu können. Insbesondere vor dem Hintergrund der EU-Gesetzgebung in Bezug auf die Energieeffizienz von Gebäuden (Novellen der EPBD[4] und der EED[5]) gewinnt dabei die Förderung von energetischen Sanierungen von Gebäuden noch weiter an Bedeutung und sollte ein Kernelement des EFRE im Bereich des Klimaschutzes darstellen. Die Förderung sowohl zur energetischen Sanierung als auch für Maßnahmen zur Anpassung von Gebäuden an den Klimawandel sollte dabei insbesondere auch die Bedürfnisse von historischen Gebäuden berücksichtigen, die sich aufgrund ihrer Baustruktur und in vielen Fällen auch aufgrund ihres geschützten Status besonderen Herausforderungen gegenübersehen.
Zu den essenziellen Dienstleistungen, die jeder Person in der EU laut Grundsatz 20 der europäischen Säule sozialer Rechte zustehen, gehört auch das Recht auf digitale Kommunikation. Eine Grundvoraussetzung dafür ist eine entsprechende leistungsfähige digitale Infrastruktur überall in der EU, wo Menschen leben und arbeiten. Viele EU-Staaten sind von einer vollständigen Abdeckung mit Glasfasernetzen oder 5G bzw. 6G Netzen allerdings noch weit entfernt.[6] Ungenügende Netzabdeckung und zu geringe Internetbandbreiten beeinträchtigen auch Möglichkeiten der Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege, Menschen (innovative) digitale Unterstützung anbieten zu können, wie z.B. die Online-Beratung. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur muss daher, insbesondere mit Blick auf technologische Weiterentwicklungen, weiter beschleunigt und ausgeweitet werden.
Um den sozialökologischen Wandel voranzubringen, sollte die EFRE-Förderung für Maßnahmen zur Wettbewerbsfähigkeit und Innovation ausdrücklich auch Soziale Innovationen[7] berücksichtigen. Die Förderung von solchen innovativen Ansätzen sollte dabei ergebnisoffen erfolgen, um dem experimentellen Charakter der Projekte gerecht zu werden.
3. EFRE-Förderung für Antragsteller zugänglicher machen
Um die Verwaltung von EFRE-Fördermitteln für die Begünstigten zu erleichtern und die Mittel zugänglicher zu machen, müssen beihilfe- und vergaberechtliche Vorgaben vereinfacht und die Ko-Finanzierungssätze auf mindestens 70% angehoben werden.
Vereinfachte Kostenoptionen wie Standardeinheitskosten oder Restkostenpauschalen unterstützen bei Bürokratieabbau und sind weiter auszubauen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Pauschalbeträge auskömmlich berechnet werden und bspw. Tarifsteigerungen berücksichtigt werden können. Insbesondere bei Personalkostenpauschalen stellt dies mit Blick auf eine immer flexiblere Arbeitswelt eine Herausforderung dar. Eine resultatbasierte Förderung, bei der nicht die tatsächlich entstehenden Kosten (teil-)vergütet werden, sondern eine „Prämie“ pro erzielter Ergebniseinheit ausgezahlt wird, sehen wir insbesondere bei risikobehafteten Projekten grundsätzlich kritisch. Bei Projekten, wo vorrangig Personalkosten anfallen oder die Erreichung der Projektziele nicht primär vom Projektträger abhängt, sollte keine ausschließlich resultatbasierte Förderung erfolgen. Innovationsförderung muss ergebnisoffen sein.
4. Effizientere Verwaltung des EFRE
Um Synergien zwischen dem EFRE und anderen EU-Fonds, insbesondere dem ESF+, aber auch dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) u.a., besser zu nutzen und die relevanten Förderansätze besser miteinander verzahnen zu können, sollten Multifonds-Ansätze, d.h. ein fondsübergreifender Ansatz bei der Erstellung und Verwaltung der operationellen Programme, stärkere Verbreitung finden und von der Kommission aktiv unterstützt werden.
Der CLLD (Community-Led Local Development)-Ansatz, bei dem Fördergelder von „Lokalen Aktionsgruppen“ in Eigenverwaltung vergeben werden, sollte auch in der Verwaltung des EFRE stärkere Verwendung finden und zwar in den Förderschwerpunkten, welche die integrierte Stadt- und Raumentwicklung zum Ziel haben. Der CLLD-Ansatz hat sich im ELER im Rahmen des Programms LEADER bewährt und hat dort positive Auswirkungen nicht nur auf die lokale Infrastruktur, sondern auch auf die soziale Kohäsion in den teilnehmenden Gebieten gezeigt. Die Möglichkeit zur Anhebung der Ko-Finanzierungssätze um zehn Prozentpunkte für Prioritäten, die vollständig durch CLLD umgesetzt werden, sollte beibehalten werden.[8]
Fazit
Der EFRE ist ein wichtiger Baustein sowohl für die Umsetzung der ESSR als auch für die Umsetzung des Green Deals und somit auch für die Sicherstellung eines gerechten Übergangs und der sozialen und gesellschaftlichen Kohäsion. Die BAGFW tritt für eine Stärkung der sozialen Dimension des EFRE in allen Regionen der EU, für einen fortgesetzten Beitrag des EFRE zur Erreichung der europäischen Klimaziele sowie für eine bessere inhaltliche Verzahnung mit anderen Fonds ein. Das Partnerschaftsprinzip sowie die Einbeziehung der Zivilgesellschaft sollten in der Planung und Umsetzung des EFRE weiter gestärkt werden.
Literatur
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen (2023), URL https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/230912-sigustrategie-download.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (29.08.24)
[1]Die Europäische Kommission definiert „Entwicklungsfallen“ als „einen Zustand, in dem das BIP, die Produktivität und die Beschäftigung sich unterdurchschnittlich entwickeln. Ein solcher Zustand korreliert empirisch mit zunehmender politischer Unzufriedenheit und schwindendem Rückhalt für demokratische Werte und die EU.“ S. Europäische Kommission (2024), 9. Kohäsionsbericht, S. 27. Abzurufen unter https://ec.europa.eu/regional_policy/information-sources/cohesion-report_en.
[2] Siehe Art. 5 der derzeitigen Dachverordnung (Common Provisions Regulation): Verordnung (EU) 2021/1060 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Juni 2021 mit gemeinsamen Bestimmungen, abzurufen unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32021R1060.
[3] Siehe die Partnerschaftsvereinbarungen der Mitgliedstaaten, abzurufen unter https://commission.europa.eu/publications/partnership-agreements-eu-funds-2021-2027_en.
[4] Richtlinie (EU) 2024/1275 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. April 2024 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung), abzurufen unter http://data.europa.eu/eli/dir/2024/1275/oj.
[5] Richtlinie (EU) 2023/1791 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. September 2023 zur Energieeffizienz und zur Änderung der Verordnung (EU) 2023/955 (Neufassung), abzurufen unter http://data.europa.eu/eli/dir/2023/1791/oj.
[6] Siehe auch den Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Umsetzung der Ziele der digitalen Dekade: https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/2024-state-digital-decade-package
[7] Die BAGFW versteht unter dem Begriff „Soziale Innovationen“ neue Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen. Innovationen umfassen nach dem Verständnis der Freien Wohlfahrtspflege sowohl die Entwicklung neuer als auch die Weiterentwicklung bestehender Konzepte. Sie beziehen sich auf die Bereitstellung von neuen oder verbesserten sozialen Dienstleistungen. Siehe die Positionierung der BAGFW unter: https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Europa/Stellungnahmen/2012_11-30_Positionspapier_der_BAGFw_zu_sozialen_Innovationen.pdf. Siehe auch Mulgan, G.; Sanders, B. Social Innovation: What It IS, why It Matters and How It Can Be Accelerated, 2007.
[8] Siehe Art. 112 Abs. 5 der derzeitigen Dachverordnung (Common Provisions Regulation): Verordnung (EU) 2021/1060, abzurufen unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32021R1060.