Positionierungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zum Fachkräftebedarf in Kindertageseinrichtungen

Das Ausbauprogramm im Bereich der Kindertagesbetreuung droht am Fachkräftemangel zu scheitern

Das Ausbauprogramm im Bereich der Kindertagesbetreuung droht am Fachkräftemangel zu scheitern

 

Das Ausbauprogramm von Bund, Ländern und Kommunen sieht vor, dass bis 2013 ein Angebot der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren mit einer durchschnittlichen Bedarfsdeckung von 35 Prozent zur Verfügung steht. Dieses Angebot soll zu zwei Dritteln in Kindertageseinrichtungen und zu einem Drittel in der Kindertagespflege geschaffen werden. Ab dem Kindergartenjahr 2013 hat zudem jedes Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Bis dahin muss ein entsprechendes Angebot geschaffen und vorgehalten werden.

 

Als Orientierungsrahmen für den notwendigen Ausbau dient die Betreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts von 2005 "Wer betreut Deutschlands Kinder?“ Die Ergebnisse dieser Studie basieren auf einer Bedarfserhebung bei Eltern. Auf der Basis dieser Daten kann von einem zusätzlichen Bedarf von rund 445.000 Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren ausgegangen werden. Bisher ist völlig unklar wie die hierfür benötigten Fachkräfte gewonnen werden können. Allein mit einer Aufstockung von bisherigen Ausbildungskapazitäten wird der Bedarf nicht zu bewältigen sein. Zudem darf nicht übersehen werden, dass auch in den neuen Bundesländern zunehmend ein Mangel an Fachkräften zu verzeichnen ist.

 

Durch den Ausbau des Angebots ergibt sich in den nächsten Jahren insbesondere in den alten Bundesländern ein zusätzlicher Bedarf an pädagogischen Fachkräften für Kindertageseinrichtungen. Dieser Bedarf lässt sich nur schwer quantifizieren. Er hängt unter anderem auch davon ab, ob es gelingt die geplanten Ausbauzahlen bei der Kindertagespflege zu erreichen. Können hier nicht genügend Kindertagespflegepersonen gewonnen werden, steigt der Bedarf an pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen zusätzlich. Die prognostizierten Zahlen für den Fachkräftebedarf gehen bisher weit auseinander. Sie reichen von 24.000 bis hin zu knapp 50.000 zusätzlich benötigten Fachkräften für die nächsten Jahre.

 

Um das Ausbauprogramm nicht zu gefährden und um sicherzustellen, dass die Qualität der Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebote von Kindertageseinrichtungen erhalten bleibt, sind geeignete Maßnahmen einzuleiten, mit denen es gelingt, künftig ausreichend pädagogische Fachkräfte zu gewinnen.


Möglichkeiten, auf den Fachkräftemangel zu reagieren

 

Um künftig sicherzustellen, dass ausreichend pädagogische Fachkräfte für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen zur Verfügung stehen, sind aus Sicht der BAGFW vor allem vier Maßnahmen vorrangig notwendig:

 

  1. Vorhandene Fachkräftepotentiale nutzen,
  2. Qualifizierungsstufen durchlässiger gestalten,
  3. Berufsfeld attraktiver gestalten,
  4. Kampagne/Offensive für den Beruf der Erzieherinnen.

 

1.         Vorhandene Fachkräftepotentiale nutzen

 

Nach einer Studie der GEW zufolge ist jede zweite pädagogische Fachkraft in Kindertageseinrichtungen teilzeitbeschäftigt.[1] Knapp 40 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind mit dieser Situation unzufrieden. Damit wird deutlich, dass in der Anhebung von Teilzeit- auf Vollzeitbeschäftigung bei den vorhandenen Fachkräften Ressourcen liegen, die bisher nicht entsprechend genutzt wurden. Allein mit einer Anhebung der Beschäftigungszeiten in Westdeutschland auf das Niveau von 1998 ließe sich der Bedarf an Fachkräften um rund 2.400 pro Jahr reduzieren.

 

Trotz des sich abzeichnenden Fachkräftemangels ist gegenwärtig eher ein Trend zur Ausweitung von Teilzeitbeschäftigung zu erkennen. Viele Kindertageseinrichtungen sind gezwungen, Fachkräfte in Teilzeit zu beschäftigen, um flexibel und zeitnah auf Belegungsschwankungen reagieren zu können.

 

Um dem Fachkräftemangel erfolgreich zu begegnen ist es unabdingbar, an der Ressource der Teilzeitarbeitenden anzusetzen und die vorhandenen Teilzeitverträge mit höheren Stundenkontingenten auszustatten. Der Erfolg dieser Maßnahme wird jedoch auch davon abhängen, dass befristete Arbeitsverträge in unbefristete umgewandelt und die Arbeitsbedingungen allgemein attraktiver ausgestaltet werden. Dazu gehört auch, dass über eine alters- und alternsgerechte Personalentwicklung verstärkt nachgedacht und entsprechende Konzepte entwickelt und umgesetzt werden.

 

Ein weiteres Potential findet sich in der Gruppe der Berufsrückkehrer/innen. Frauen und Männern, die etwa in der Familiengründungsphase zeitweise oder ganz aus dem Erwerbsleben ausgestiegen sind, können z. B. über Eingliederungsmaßnahmen nach SGB III zielgerichtete Angebote zum Wiedereinstieg in den Beruf gemacht werden. Eine Möglichkeit hierzu bietet das Berufsrückkehrer/innenprogramm der Bundesregierung. Im Rahmen dieses Programms - aber auch darüber hinaus - können gezielt Projekte initiiert und gefördert werden, die Berufsrückkehrer/innen aus dem Bereich der pädagogischen Fachkräfte ansprechen und ihnen Qualifizierungsmöglichkeiten im pädagogischen und administrativen Bereich anbieten, um sie auf die veränderten Anforderungen an die Arbeit in den Kindertageseinrichtungen vorzubereiten.


2.         Qualifizierungsstufen durchlässiger gestalten

 

Wer heute den Abschluss „staatlich anerkannte Erzieher/in“ erhält, hat diesen oft über den klassischen Ausbildungsweg an einer Fachschule erworben. Angesichts des Fachkräftemangels ist es dringend erforderlich, neue Ansätze zur Gewinnung von Fachkräften zu diskutieren und gegebenenfalls auszubauen. Zu den neuen Ansätzen gehören:

 

  • Qualifizierung von Menschen im SGB II- und SGB III-Bezug durch einschlägige Ausbildungsangebote.

 

  • Umschulungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, um geeignete Seiteneinsteiger für die Berufsfelder in Kindertageseinrichtungen zu qualifizieren.

 

  • Hierzu ist es erforderlich, dass Kriterien und Verfahren für die Eignungsfeststellung entwickelt werden, da die Teilnahme an den Umschulungsmaßnahmen keine einschlägige Vorbildung erfordert beziehungsweise erfordern sollte.

 

  • Trainee on the job als Angebot für Absolventinnen und Absolventen unterschiedlicher Berufe, die in das Arbeitsfeld einsteigen beziehungsweise die sich weiterqualifizieren wollen. Hierzu ist es aus Sicht der BAGFW notwendig, Bildungsabschlüsse durchlässiger und anschlussfähiger auszugestalten.

 

  • Bundesweit sind in den vergangenen Jahren deutliche Zuwächse an Bachelor-Studiengängen im Bereich „Pädagogik der frühen Kindheit“ zu verzeichnen. Zunehmend arbeiten in den Kindertageseinrichtungen akademisch und nicht akademisch ausgebildete Fachkräfte in Teams zusammen. Diese Teilakademisierung der Fachkräfteteams ist grundsätzlich zu begrüßen. Dabei geht es aber nicht darum, die jahrzehntelang bewährte Ausbildungskultur auf Fachschulniveau nun durch eine andere auf Hochschulniveau zu ersetzen, sondern vielmehr, bestehende und bewährte Kompetenzprofile sinnvoll zu ergänzen und qualifiziert weiterzuentwickeln.

 

3.            Berufsfeld attraktiver gestalten

 

Frauen und Männer müssen stärker als bisher motiviert werden, sich für eine qualifizierte Fach- oder Hochschulausbildung im Bereich der Frühpädagogik zu entscheiden. Damit dies gelingt, muss die Attraktivität des Berufes durch Verbesserung der strukturellen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen gesteigert werden.

 

  • Im Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen ist der Anteil an männlichen Fachkräften bisher sehr gering. Jungen und Mädchen sollten die Möglichkeit haben, ein breites Spektrum an männlichen und weiblichen Rollenbildern in der Frühen Kindheit zu erleben. Die gesellschaftliche Verantwortung für Erziehung, Bildung und Betreuung in der Frühen Kindheit muss von Männern und Frauen getragen werden. Der Anteil der Männer in der Ausbildung und anschließend im Arbeitsfeld muss deutlich gesteigert werden.

 

·                     Darüber hinaus sind Maßnahmen erforderlich, die dazu beitragen, dass der Einsatz von Absolventinnen und Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres sowie von Zivildienstleistenden in der pädagogischen Arbeit von Kindertageseinrichtungen erhöht. Der Erfolg dieser Maßnahme wird aber davon abhängen, wie es gelingt, das Arbeitsfeld „Kindertageseinrichtung“ unter finanziellen, personellen und strukturellen Gesichtspunkten attraktiver zu gestalten.

 

·                     Die Strukturqualität in den Kindertageseinrichtungen muss dringend verbessert werden. Die bestehenden personellen, finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen in diesem Arbeitsfeld stehen nicht mehr im Verhältnis zu den fachlichen und persönlichen Anforderungen an Fachkräfte.

 

·                     Die personelle Ausstattung der Einrichtungen ist so zu verändern, dass auf der Basis einer angemessenen Fachkraft – Kind – Relation die anspruchsvolle Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie die Umsetzung der Bildungspläne gewährleistet werden kann.

 

Dazu ist es dringend erforderlich, die Kinderzahlen in den Gruppen und den Fachkraft-Kind-Schlüssel zu senken. Eine stärkere Gewichtung des Bildungsauftrags von Kindertageseinrichtungen und eine damit verbundene optimale Förderung von Kindern setzen zugleich voraus, dass die pädagogischen Fachkräfte über ausreichende Zeitbudgets für eine erfolgreiche Umsetzung ihrer Bildungsarbeit verfügen. Bei der Berechnung dieser Zeitbudgets ist zu berücksichtigen, dass die pädagogischen Fachkräfte zur Umsetzung ihrer Bildungsarbeit ausreichend Zeit zur Entwicklung, Evaluation und Fortschreibung ihrer Konzeptionen, für die Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit sowie für die Beobachtung und Dokumentation der Lern- und Entwicklungsprozesse der Kinder benötigen. Ebenso erforderlich sind ausreichend Zeitbudgets für den Aufbau Familien unterstützender Netzwerke sowie für die Stärkung der erzieherischen Kompetenz von Eltern. Angesichts dieser beschriebenen Anforderungen, die an die pädagogischen Fachkräfte gestellt werden, ist in diesem Zusammenhang ein Zeitbudget für die „mittelbare pädagogische Arbeit“ von in der Regel 20 Prozent der Arbeitszeit notwendig. Der zeitliche Aufwand für die unmittelbare pädagogische Arbeit kann je nach Standort und Einzugsbereich der Einrichtung nach oben oder unten abweichen.

 

Eine aktuelle Expertise kommt zu dem Schluss, dass in der Mehrzahl der Bundesländer die aus wissenschaftlicher Sicht notwendigen Mindeststandards bezüglich der Fachkraft-Kind-Relation nicht erreicht werden. Als Schwellenwerte werden hier für Gruppen mit unterdreijährigen Kindern 1:3 bis 1:4 benannt, bei Gruppen mit drei- bis sechsjährigen Kindern bei ca. 1:8.

 

·                     Die Bezahlung der Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen muss sich zur leistungsgerechten Vergütung hin entwickeln.

 

4.         Kampagne/Offensive für den Beruf der Erzieher/innen

 

Aus Sicht der Wohlfahrtsverbände ist es für die Stärkung des Arbeitsfeldes Kindertageseinrichtungen notwendig, mit einer gemeinsamen bundesweiten Kampagne offensiv für den Beruf des/r Erziehers/in zu werben. Die Verbände der BAGFW verfügen über zahlreiche Erfahrungen mit Kampagnen auf Landesebene. Sie stehen als kompetente Ansprech- und Kooperationspartner für eine entsprechende bundesweite Kampagne zur Verfügung.

 

Neben einer gezielten Initiative an Schulen ist es ebenso erforderlich, über die Berufsinformationszentren der Bundesagentur für Arbeit über das Berufsfeld umfassend und qualifiziert zu informieren.


 

Die Kampagne sollte dazu beitragen eine gesellschaftliche Neubewertung für den Beruf der Erzieherin/des Erziehers anzustoßen. Hierbei wird auch eine Debatte um eine notwendige Veränderung der Vergütungsstrukturen sowie der beruflichen Perspektiven für dieses Arbeitsfeld zu führen sein. Die BAGFW ist davon überzeugt, dass es nur so gelingen kann ausreichend geeignete und engagierte Nachwuchskräfte für diesen anspruchs- und verantwortungsvollen Beruf zu gewinnen.

 

 


[1] Vgl. GEW; Wie geht’s im Job, Kita-Studie der GEW, Darmstadt 2007