Im Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und FDP wurde vereinbart: „Weiter führen wir eine flächendeckende, behördenunabhängige Asylverfahrensberatung ein, um mit informierten Antragstellerinnen und Antragstellern für eine Verfahrensbeschleunigung zu sorgen.“[1]
Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände verfügen über langjährige Erfahrung in der Durchführung behördenunabhängiger Asylverfahrensberatung. Sie setzen sich bereits seit vielen Jahren für die Förderung einer flächendeckenden, behördenunabhängigen und bundesgeförderten Asylverfahrensberatung ein[2] und begrüßen sehr, dass sich die neue Bundesregierung dazu verpflichtet hat
Wenn Geflüchtete Zugang zu unabhängiger, unentgeltlicher Asylverfahrensberatung haben, wirkt sich dies positiv auf Rechtsstaatlichkeit, Fairness, Qualität und Effizienz des Asylverfahrens aus. Weiterhin können besondere Bedarfe (zum Beispiel auf Grund von Traumatisierung, Krankheit oder Behinderung) im Rahmen des Asylverfahrens besser identifiziert werden. Die Erfahrungen der Verbände decken sich insofern mit den Ergebnissen des im Jahr 2017 von drei Wohlfahrtsverbänden und dem BAMF durchgeführten Pilotprojekts „Asylverfahrensberatung“, welches von UNHCR und der Forschungsabteilung des BAMF evaluiert wurde. Eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung kann zudem dazu beitragen, dass die Stellung aussichtsloser Asylanträge vermieden wird. Sie trägt zur Steigerung der Qualität der Asylbescheide bei, wodurch mittelbar auch die Verwaltungsgerichte entlastet werden. Die Verbände verfügen über langjährige Erfahrung in der Beratungsarbeit und ein umfangreiches Netzwerk unterschiedlicher Beratungs- und Unterstützungsangebote wie Psychosozialen Zentren, Schwangerschaftsberatung, Asylsozialberatung.
Folgende Eckpunkte sind aus Sicht der BAGFW für die bevorstehende Einführung einer bundesgeförderten, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung wesentlich:
Gesetzesgrundlage
- Die aktuelle Regelung des § 12a AsylG weist die Zuständigkeit für die Asylverfahrensberatung in erster Linie dem BAMF zu, erst auf der sog. Stufe 2 sind die Wohlfahrtsverbände genannt. Zur Umsetzung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung bedarf es daher einer gesetzlichen Änderung.
- Ein entsprechender Gesetzesentwurf sollte eng mit den Verbänden abgestimmt werden und folgende Kriterien enthalten:
- Eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung umfasst eine rechtliche Beratung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG).
- Die Asylsuchenden haben schon vor der Asylantragsstellung die Möglichkeit, die Asylverfahrensberatung in Anspruch zu nehmen. Hierfür wird in Zusammenarbeit mit den für die Aufnahme zuständigen Bundesländern ein geeignetes Zeitfenster insbesondere schon vor der Antragsstellung sichergestellt.
- Die Durchführung des Bundesprogrammes zur Asylverfahrensberatung wird durch die Wohlfahrtsverbände verantwortet.
- Die entsprechenden Mittel werden aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt.
- Allgemeine Informationen über den Ablauf des Asylverfahrens erfolgen durch das BAMF gem. § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG.
Gesicherte Finanzierung
- Die Sicherstellung einer behördenunabhängigen flächendeckenden Asylverfahrensberatung erfordert die feste Verankerung im Bundeshaushalt im Sinne einer mehrjährig zu bewilligenden sachgerechten und umfassenden Finanzierung.
- Die Verbände gehen bei angenommen 175.000 Asylantragstellenden im Jahr von einem jährlichen Finanzierungsbedarf seitens des Bundes von 61 Mio. EUR aus. Darin enthalten sind 43 Mio. EUR Personalkosten und Sachkosten, 13 Mio. EUR für Sprachmittlung, weitere 2,1 Mio. EUR für Maßnahmen der Qualitätssicherung und 2,9 Mio. EUR für die koordinierende Fachbegleitung.[3]
Zielgruppe und Zeitraum der Beratung
- Zielgruppe der unabhängigen Asylverfahrensberatung sind alle Schutzsuchenden, einschließlich der Folgeantragstellenden.
- Der Zugang zur Asylverfahrensberatung ist frühestmöglich vor der Asylantragstellung und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens sicherzustellen.
- Um die Ratsuchenden auch tatsächlich zu erreichen und deren Aufnahmefähigkeit nach den Belastungen durch die Flucht sicher zu stellen, müssen von Beginn an und im weiteren Verfahrensablauf ausreichende Zeitfenster für die Beratung eingeplant werden.
- Die Inanspruchnahme der Asylverfahrensberatung ist freiwillig.
Ort und Räumlichkeiten der Beratung
- Es muss gewährleistet sein, dass während des gesamten Asylverfahrens ein niedrigschwelliger Zugang zur Asylverfahrensberatung seitens der Schutzsuchenden gewährleistet wird. Dies kann auch ein Beratungsangebot außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung erfordern.
- Der Zugang zu Erstaufnahmeeinrichtungen mit dem Zweck der Beratung muss sichergestellt werden. In der Regel sollte die Asylverfahrensberatung in den Erstaufnahmeeinrichtungen über eigene Räume verfügen.
- Auf die Angebote wird transparent und mehrsprachig hingewiesen.
- Die Beratungsstelle ist räumlich und technisch für ihre Aufgaben ausgestattet.
Zentrale Inhalte der Beratung
- Die Asylverfahrensberatung beinhaltet eine individuelle Rechtsberatung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes sowohl zum Dublin- als auch zum Asylverfahren.
- Gegenstand der individuellen Beratung sind insbesondere Ziel und Zweck, Ablauf, Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten, Handlungsmöglichkeiten im Asyl- und Aufnahmeverfahren sowie Rechtsfolgen des Asylverfahrens. Es erfolgt eine Beratung zu den individuellen Erfolgsaussichten und ggf. Erörterung von Alternativen zum Asylverfahren.
- Eine weitere zentrale Aufgabe der Asylverfahrensberatung ist die Vorbereitung auf die Anhörung, auf Wunsch auch die Begleitung in die Anhörung, die Nachbereitung der Anhörung inklusive der Durchsicht des Protokolls auf Richtigkeit und Vollständigkeit, die Beratung zum Bescheid und ggf. zu weiteren Folgeschritten.
- Aufgabe der Asylverfahrensberatung ist es, Asylantragstellende bei der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten (z. B. Beschaffung von Ausweisdokumenten und Attesten) während des gesamten Asylverfahrens bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss zu unterstützen.
- Die Asylverfahrensberatung unterstützt bei der Identifizierung besonderer Schutzbedarfe und der Geltendmachung von besonderen Verfahrensgarantien.
- Sie arbeitet bei Bedarf mit zuständigen Behörden und anderen, einschlägigen Fachberatungsstellen und Rechtsanwält*innen zusammen.
Qualität der Beratung
- Um eine zielgerichtete, effiziente Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen, werden hauptamtliche Asylverfahrensberatende eingesetzt, die über ein hohes Maß an fachlicher und persönlicher Qualifikation verfügen. Der Beratungsschlüssel übersteigt 1:150 nicht.
- Die Berater*innen verfügen über ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Sozialen Arbeit, Rechts- oder Sozialwissenschaft oder eine vergleichbare Qualifikation, Kenntnisse von und Erfahrung in unterschiedlichen Beratungsmethoden, fundierte Kenntnisse im Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie über Herkunftsländerinformationen. Beratende, die die Aufgabe neu übernehmen, werden mithilfe von Schulungen qualifiziert.
- Während des Einsatzes in der Asylverfahrensberatung erfolgt eine kontinuierliche Anleitung durch Volljurist*innen (z. B. Mitgliedern der Rechtsberaterkonferenz der Verbände) sowie Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden (entsprechend § 6 Abs. 2 RDG). Dazu kommen ein regelmäßiger fachkollegialer Austausch sowie Supervision durch externe Fachkräfte.
- Ein Kodex in Anlehnung an den Nairobi Code (2007) und auf der Basis berufsethischer Standards der Sozialen Arbeit regelt das professionelle Verhalten der Beratenden gegenüber den Ratsuchenden und Behörden.
- Es werden qualifizierte Sprachmittelnde eingesetzt.
- Alle Beteiligten halten die Schweigepflicht und datenschutzrechtliche Vorgaben ein.
- Die Verbände stellen eine koordinierende Fachbegleitung, die die Qualitätssicherung und Qualifizierung der Asylverfahrensberatung zum Beispiel durch die Entwicklung und Durchführung von Fortbildungen unterstützt und als Koordinationsstelle für alle Fragen der fachlichen Begleitung dient. Die Finanzierung und Abwicklung erfolgt im sog. Zentralstellenverfahren.
- Die Qualitätssicherung erfolgt auf der Basis der von den Verbänden erarbeiteten Indikatoren und Verfahren.
Kooperation und Zusammenarbeit mit relevanten Akteuren
- Das Bundesprogramm zur Asylverfahrensberatung wird durch die Wohlfahrtsverbände umgesetzt. Die Asylverfahrensberatung vor Ort kann bei Bedarf in Kooperation mit anderen Akteuren der Flüchtlingsarbeit und Migrantenselbstorganisationen mit entsprechender Expertise durchgeführt werden.
- Ein regelmäßiger Austausch aller relevanten Akteure vor Ort sowie auf Bundes- und Landesebene stellt sicher, dass die Informations- und Beratungsangebote gut ineinandergreifen und sich sinnvoll ergänzen.
- Die Träger der Asylverfahrensberatung stehen im Austausch mit den zuständigen Behörden in den Ländern. Sie werden in relevante Prozesse des Aufnahmeverfahrens einbezogen, damit Beratungsprozesse optimal angepasst werden können. Dies ist für die Sicherstellung passender Zeitfenster für die Beratung notwendig, aber auch für die Verortung von Angeboten in Abhängigkeit von der Zuweisungspraxis aus der Erstaufnahme in die Kommunen. Nur so ist es möglich, dass Ratsuchende die Beratung zeitnah niedrigschwellig während des gesamten Asylverfahrens aufsuchen können.
- Die Asylverfahrensberatung arbeitet mit relevanten Fachberatungsstellen wie beispielsweise Psychosozialen Zentren, Fachberatung für Opfer von Menschenhandel, Angebote zur Unterstützung von vulnerablen Geflüchteten zusammen und bindet diese sachgerecht ein.
[1] Vgl. „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP” 2021, Zeilen 4711 – 4713, Link: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf.
[2] Stellungnahmen der BAGFW „Unabhängige Asylverfahrensberatung – ein Beitrag zur Verbesserung von Fairness, Qualität und Effizienz des Asylverfahrens“ vom 14.11.2017:
Stellungnahme der BAGFW zur gesetzlichen Verankerung der Asylverfahrensberatung (§ 12a AsylG-E)vom 04.06.2019: https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Stellungnahmen/2019/2019-06-04_BAGFW_Asylverfahrensberatung.pdf;
Stellungnahme der BAGFW „Bundesgeförderte, qualifizierte und behördenunabhängige
Asylverfahrensberatung (§ 12a Asylgesetz) Neue gesetzliche Aufgaben der Wohlfahrtsverbände vom 12.09.2019:
[3] Eine detaillierte Berechnung ist findet sich in: „Finanzierung einer bundesweiten flächendeckenden behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung“ vom 16.03.2022.