Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf einer fünften Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung

Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände bedanken sich für die Ein-ladung zur Stellungnahme und nehmen gerne die Gelegenheit wahr, ihre Positionen zum Entwurf einer fünften Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung einzubringen.

Der Referentenentwurf des BMI vom Oktober 2024 zielt auf eine Reform der Integrationskurse ab, die durch die fünfte Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung umgesetzt werden soll. Die Änderungen konzentrieren sich auf mehrere Aspekte, die im Wesentlichen auf Effizienzsteigerung und Kostenreduktion abzielen sollen.

Die avisierten Neuerungen betrachten wir mit großer Sorge, da zu erwarten ist, dass sie insbesondere für viele Frauen und Familien, junge Menschen sowie Menschen in komplexen herausfordernden Problemlagen eine nachhaltige Integration und Teilhabe in Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt erschweren werden. 

Wir teilen die Einschätzung nicht, dass die Änderungen zu Kosteneinsparungen führen, sondern sind auf Grundlage unserer praktischen Erfahrungen der Ansicht, dass sie die Gesamtkosten für Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig erhöhen.

1. Wegfall der Möglichkeit zur Wiederholung des Sprachkurses: 

Die Möglichkeit, nach Ausschöpfung des regulären Stundenkontingents Sprachkurse zu wiederholen, wird für die Mehrheit der Teilnehmenden abgeschafft. Dies wird mit dem Instrument des Jobturbos verbunden „wonach auch Personen mit Sprachkenntnissen unter dem Niveau B1 GER in Arbeit vermittelt werden sollen.“ Für eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist ein B1-Zertifikat unerlässlich. Das Instrument des Job-Berufssprachkurses (Job-BSK) bietet keine Möglichkeit, diesen B1-Abschluss zu erlangen, sodass viele Personen ohne die Wiederholungsmöglichkeit nie ein B1-Zertifikat erlangen werden. Darüber hinaus kommen die BSK-Kurse für viele Mütter nicht in Frage, da sie sich nicht an den Schulferienzeiten orientieren.

Eine Vielzahl von Gründen (z.B. unsichere Wohnverhältnisse, unzureichende Kinderbetreuung, psychosoziale Probleme...) führen de facto dazu, dass Teilnehmende auf die Wiederholungsmöglichkeit angewiesen sind. 

Wie jene, die das B1 Niveau nicht erreichen konnten, in Ausbildung und Arbeitsmarkt integriert werden sollen, ist ungeklärt. Es ist zu befürchten, dass bei zeitnaher Umsetzung der Verordnung mehrere tausend Menschen keine Kurse mehr besuchen, keine Ausbildung beginnen und nicht arbeiten können. Die avisierte Streichung würde schließlich auch ein wirtschaftliches Risiko für unsere Träger bedeuten, da im Moment bei längerem Ausfall von Teilnehmenden (z.B. wegen Schwangerschaft) diese Kursplätze von Wiederholer:innen belegt werden können, die idealerweise genau die freigewordenen Module wiederholen müssen.

Die Verbände der BAGFW fordern aus diesem Grund, die Möglichkeit zur Wiederholung des Sprachkurses aufrecht zu erhalten. 

2. Reduktion der Fahrtkostenzuschüsse: 

Es wird eine Ermessensregelung zur Gewährung von Fahrtkostenzuschüssen eingeführt sowie enge Voraussetzungen, unter denen der Zuschuss gewährt werden kann. 

Zuschüsse werden künftig nur noch für bestimmte Personengruppen gewährt, insbesondere für Menschen mit Schwerbehinderung und für Bezieher:innen bestimmter Sozialleistungen. Diese Änderung soll zu administrativen und finanziellen Einsparungen führen.

Der Wegfall von Fahrtkostenzuschüssen für viele Teilnehmende wird den Zugang zu den Kursen erheblich erschweren, insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen lange Anfahrtswege üblich sind. Dies könnte zu einer Verringerung der Teilnahme führen.

Gleichzeitig wird durch die erforderliche Prüfung der Ermessensentscheidung zusätzlicher bürokratischer Aufwand zur entstehen.

Die Verbände der BAGFW fordern aus diesem Grund, die bisherige Regelung beizubehalten.

3. Streichung von Jugendintegrations-, Eltern- und Frauenkursen 

Eltern-, Frauen- und Jugendintegrationskurse werden ab Mai 2025 ohne Angabe von Gründen gestrichen. 

Bereits 2005 stellte man fest, dass z.B. Frauen bei 600 UE-Kursen überdurchschnittlich oft die Kursziele nicht erreichen konnten. Für verschiedene Zielgruppen wurden daher eigene Kurstypen entwickelt und angeboten, die die Effektivität der Kurse deutlich steigerten. Die Errungenschaften dieser Kurse im Hinblick auf Zielerreichung, Integration und Teilhabe lassen sich nicht durch die allgemeinen Kursformate auffangen.

Die Erfahrungsberichte unserer Träger sowie wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass eine spezifische Ansprache und Didaktik dabei helfen, Abbrüche zu verhindern und Lernerfolge deutlich zu verbessern.

Dank der besonderen Rahmenbedingungen (an die Schule und Kita angepasste Kurszeiten sowie Gestaltung der Kurse als sichere Schutzräume für Frauen) ist die Rezeption dieser Kurse durch die Zielgruppe sehr gut. Besonders vulnerable Gruppen (wie z.B. Frauen mit Gewalterfahrung) bekommen dadurch überhaupt erst einen Zugang zu Sprachförderangeboten. Da Frauen meistens Care-Arbeit leisten und in diesem Zusammenhang häufiger ausfallen müssen (z.B. durch Erkrankung des Kindes oder Schließzeiten der Kita) sowie generell öfter Benachteiligungen ausgesetzt sind, ist die im Vergleich zu den allgemeinen Kursen erhöhte Zahl von 900 Unterrichtseinheiten für sehr viele Teilnehmerinnen erforderlich.

Infolge der Streichung der Frauenintegrationskurse werden viele Frauen, insbesondere Mütter, weniger in die Integrationskurse einmünden und es wird häufiger zum Kursabbruch durch diese Gruppe kommen. Diese Einschränkung der Teilhabe wird gravierende Folgen haben: Insbesondere das politische Ziel der Steigerung der Erwerbstätigenquote von Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrungen und der Verminderung des Leistungsbezugs wird auf fundamentale Weise konterkariert. Nicht zuletzt sind wegen der lebensnahen Inhalte von Eltern- und Frauenkursen (z.B. des Bildungssystems) in besonderem Maße auch die Integrations- und Teilhabemöglichkeiten von Kindern betroffen.

Trägern, die sich in diesem Gebiet engagieren, wird hier die Grundlage für ihr Handeln entzogen. Das hat Auswirkungen nicht nur direkt auf die Kurse selbst, sondern auf das gesamte Angebotssystem des Trägers, denn in der Regel sind die Kurse in eine Vielzahl von Angeboten eingebettet, die ohnehin schon mit geringen finanziellen Mitteln ausgestattet sind.

Wenn die Angebotsstruktur der Integrationskurse weiterhin eine Antwort auf die vielfältigen Bedarfe der Teilnehmenden im Bereich des Deutschlernens sein soll, ist die aktuelle Trägervielfalt unverzichtbar. Die avisierten Neuerungen gefährden die Trägervielfalt!

Eigene Jugendintegrationskurse sind schließlich deshalb notwendig, da sie eine andere Zielsetzung im Vergleich zu Erwachsenenkursen haben. Allgemeine Integrationskurse sollen die Einmündung in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Junge Menschen hingegen müssen die deutsche Sprache in Wort und Schrift einschließlich Grammatik so gut beherrschen, dass sie im Bildungssystem anschlussfähig sind. Dies bedeutet, dass sie einen weiteren Schulbesuch, eine Berufsausbildung oder ein Studium sprachlich bestehen müssen. Fächer wie Mathematik, Deutsch, Wirtschaft-Politik etc. müssen sprachlich in Wort und Schrift bewältigt werden.

Aufgrund des geringen Anteils der Frauen-, Eltern- und Jugendintegrationskursen im gesamten Kursaufkommen, wäre die angestrebte Kostenreduzierung marginal – bei gravierenden und nachhaltigen Folgen für Integration und Teilhabe ganzer Personengruppen.

Die Verbände der BAGFW empfehlen aus diesem Grund dringend, das bisherige Kursangebot aufrecht zu erhalten.


Fazit

Die oben kritisierten Änderungen würden den Zugang zum Integrationskurssystem erschweren. Die Reduktion des Kursangebotes sowie die Einschränkung der Möglichkeit zur Kurs- und Prüfungswiederholung werden das Integrationskurssystem gravierend schwächen und zu schlechteren Outcomes führen.

Das Gesamtprogramm Sprache wird entwertet. In der Konsequenz wird die Verantwortlichkeit für das Erlernen der deutschen Sprache individualisiert und damit ein zentraler Baustein von Integration – das Erlernen der deutschen Sprache – für kurzfristige Kosteneinsparungen nachhaltig unterminiert. 

Wir warnen ausdrücklich davor, die von der OECD erst kürzlich hervorgehobenen und positiv bewerteten Integrationsstandards in Deutschland zu gefährden und damit massive Integrationsrisiken insbesondere für vulnerable Personengruppen einzugehen. Die Forschung und Trägerlandschaft sind sich bereits seit Langem einig: Eine Reform des Systems ist dringend nötig, aber anstelle von Kürzungen braucht es Investitionen. Das System muss verwaltungsseitig verschlankt werden, nicht angebotsseitig. Wer an Deutschkursen spart, spart am falschen Ende, denn die Kosten für ausbleibende Integration dürften perspektivisch deutlich höher zu beziffern sein als die für ein nutzer:innenorientiertes System.

Gut qualifizierte und hochmotivierte Menschen würden ausgebremst und in Jobs gedrängt, die nicht ihren Qualifikationen oder Zukunftsvorstellungen entsprechen. Deutschland gehen damit dringend notwendige potenzielle Arbeitskräfte verloren. 

Vor diesem Hintergrund empfehlen wir ausdrücklich, von den o.g. geplanten Einschränkungen abzusehen.

Wir schlagen vor, sinnvolle Reformen an einem Runden Tisch gemeinsam mit Wissenschaft und sozialer Praxis zu diskutieren.