Stellungnahme der BAGFW zur Bekanntmachung über die Zielwerte für eine bundeseinheitliche, mindestens zu vereinbarende personelle Ausstattung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen nach § 113c Absatz 8 des Elften Buches Sozialgesetzbuch

Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) - vom 30. Juni 2024

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Spitzenverbände bedanken sich für die Möglichkeit, zur Bekanntmachung über die Zielwerte für eine bundeseinheitliche, mindestens zu vereinbarende personelle Ausstattung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen nach § 113c Absatz 8 SGB XI Stellung nehmen zu können und geben eine gemeinsame Stellungnahme ab. Sie weisen jedoch darauf hin, dass diese Stellungnahme u.a. aufgrund der kurzen Frist gewissen Limitationen unterliegt. Daher war es nicht möglich, eine vollständige Tabelle als Übersicht über die tatsächlich in den Ländern vereinbarte Mindestpersonalausstattung zu finalisieren. Gerne stellen die Verbände der BAGFW diese Tabelle nach Finalisierung zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung.

Die in der BAGFW kooperierenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen grundsätzlich die Intention, bundeseinheitliche Zielwerte für die Mindestpersonalausstattung als Richtschnur vorzugeben und damit perspektivisch eine bundeseinheitliche Umsetzung und – insofern möglich und vertretbar – den Personalaufwuchs zu befördern. Die Schwierigkeit bei der Bestimmung bundeseinheitlicher Zielwerte besteht darin, alle Bundesländer angemessen zu berücksichtigen, da sowohl die Ausgestaltung in den Landesrahmenverträgen als auch die Personalsituation am Arbeitsmarkt, sowie die Ausbildungsbedingungen im Bereich der qualifizierten Pflegeassistenzkräfte sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Insbesondere sind grundsätzlich folgende Sachverhalte zu beachten:

  • Flexibilität bei der Zielerreichung

Mit Blick auf die Gesamtmenge an Personal scheinen die Zielwerte grundsätzlich flächendeckend umsetzbar zu sein. Problematisch wird es jedoch in einzelnen Ländern, wenn bereits bei der Bestimmung der Untergrenzen ein Einstieg in die Systematik und damit eine Differenzierung nach Qualifikationsniveaus erfolgt. Insofern ist es dringend erforderlich, dass den Trägern und Einrichtungen zwar das Ziel aufgezeigt, ihnen aber auch ausreichend Zeit und Flexibilität zur Zielerreichung eingeräumt wird.

  • Mangel an Personal im Qualifikationsniveau 3

Besonders zu betrachten sind dabei die qualifizierten Assistenzkräfte. Das Hauptproblem besteht beim Einstieg in die Systematik des Qualifikationsmixes nach wie vor darin, dass zu wenig qualifizierte Assistenzkräfte (QN 3) zur Verfügung stehen. Da die bundeseinheitliche Regelung der Pflegeassistenzausbildung angekündigt wurde, haben die betreffenden Länder von geplanten Novellierungen abgesehen. Die Ausbildungssituation hat sich daher in den Ländern wenig verbessert bzw. stagniert. Daher muss mit Nachdruck daran gearbeitet werden, die bundeseinheitliche Assistenzausbildung endlich auf den Weg zu bringen. Das Monitoring sollte indes die Ausbildungssituation und Verfügbarkeit der QN 3 besonders in den Blick nehmen und möglichst rechtzeitig bspw. durch eine Verlängerung der Substitutionsregel reagieren.

  • Klarstellung zur Unverbindlichkeit der Zielwerte

Große Verunsicherung besteht auch mit Blick auf den Verbindlichkeitsgrad und den Zweck der Festlegungen von Zielwerten. § 113c Abs. 8 SGB XI ist zu entnehmen, dass die Zielwerte als Richtschnur für eine stufenweise Einführung der studienbasierten Personalwerte unter Berücksichtigung der reellen personellen Ressourcen dienen sollen. Die langfristig angestrebten bundeseinheitlichen Mindestpersonalanhaltswerte sollen nicht losgelöst vom vorherrschenden Personalmangel bestimmt werden. Um hier Auslegungsstreitigkeiten in den Ländern zu begegnen, bedarf es in den Festlegungen der Klarstellung, dass diese in einem ersten Schritt keinen verbindlichen Charakter haben und die landesweit vereinbarten Mindestpersonalanhaltswerte nicht tangieren, sondern zunächst zum Monitoring genutzt werden.

  • Berücksichtigung besonderer Personalbedarfe (sog. Funktionsstellen)

Hier sind die Regelungen in den Ländern sehr heterogen. Während für die Pflegedienstleitung i. d. Regel Vereinbarungen in den Verträgen auf Landesebene getroffen wurden, wenn auch in unterschiedlicher Größenordnung, fehlen solche Vereinbarungen für weitere Funktionsstellen wie Qualitätsbeauftragte und Hygienebeauftragte überwiegend bzw. sind diese Stellen in die Personalschlüssel inkludiert. Auch die Personalausstattung in der Nacht ist überwiegend (noch) kein Verhandlungsgegenstand und demzufolge in den Ländern nach wie vor sehr unterschiedlich geregelt. Es ist deshalb aus unserer Sicht wünschenswert und mit Blick auf eine bundeseinheitliche Personalausstattung auch erforderlich, dass diese Regelungen ebenfalls evaluiert und zukünftig mehr berücksichtigt werden. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass sukzessive durch einschlägige Gesetzgebung, losgelöst vom SGB XI, Hygienefachkräfte vorgehalten werden müssen.

  • Gefahr der Absenkung der Mindestpersonalausstattung in Ländern mit besserer Personalausstattung

Länder, die bereits vor Einführung der Personalbemessung nach § 113c SGB XI eine bessere Personalausstattung hatten, befürchten nach wie vor, dass es durch die Festlegung der vorgeschlagenen Zielwerte zu einer deutlichen Reduzierung der Mindestpersonalanhaltszahlen und damit zu einer Verschlechterung der pflegerischen Versorgung kommt. So ist z.B. für Bayern im Rahmenvertrag ein Mindestpersonalschlüssel vereinbart, der über alle Pflegegrade hinweg bei 1:2,44 liegt. Hieran orientiert sich auch das Ordnungsrecht. Mit den jetzt vorgeschlagenen Personalanhaltswerten (Zielwerten) würde sich ein Personalschlüssel von 1:2,88 ergeben, wodurch die Mindestpersonalmenge für Bayern deutlich abgesenkt werden würde. Es ist weiterhin sicherzustellen, dass es in keinem Bundesland zu Absenkungen kommt. Die Handhabe der Bestandschutzregelungen werden a) nicht einheitlich und b) nicht vollständig in den Ländern übernommen, wie es der gesetzgeberischen Intention entspricht und sind teilweise befristet. Nicht zuletzt ist die “reine Lehre” in Verhandlungen mit den Kostenträgern nicht (richtig) durchsetzbar. Davon sind auch die Rückmeldungen aus den Ländern beeinflusst, die wir erhalten haben. Bayern befürwortet bspw. die Einführung von Zielwerten nicht.

  • Intransparenz bezüglich der Grundlagen des GKV-Berichtes

Die Grundlagen für den Bericht des GKV-SV nach § 113c Abs. 8 SGB XI sollten zum 31. März 2024 vorliegen. Wir haben bislang keinerlei Kenntnis hierzu, auch mangelt es grundsätzlich an einer Beteiligung der Wohlfahrtsverbände in diesem Verfahren. Dabei ist es im Sinne der Entbürokratisierung für die Verbände der BAGFW von zentraler Bedeutung, welche Zahlen, Daten und Fakten auf welche Art und Weise erfasst werden sollen. Die Grundlage zur Erstellung des Berichts muss maßgeblich aus den vorhandenen und den Pflegekassen vorliegenden Vertragsdaten und sonstigen herkömmlichen Personalmeldungen oder -abgleichen entnommen werden. Andernfalls fürchten wir eine weitere Bürokratisierung bis hin zum tagesaktuellen Personalabgleich.

  • Leiharbeit begrenzen

Mit Blick auf die Situation am Arbeitsmarkt besteht weiterhin die Notwendigkeit, Leiharbeit zu begrenzen, damit das Ziel einer flächendeckenden Mehrpersonalisierung im Rahmen der Umsetzung des § 113c SGB XI dadurch nicht konterkariert wird.     

  • Finanzierung

Die in der BAGFW kooperierenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege weisen zudem ausdrücklich darauf hin, dass die bisherige Finanzierungslogik mit der Systematik des § 113c SGB XI nicht zusammen passt und es hier zu unerwünschten wirtschaftlichen Effekten kommt. Berechnungen von Trägern zeigen, dass der Qualifikationsmix zum erheblichen Ungleichgewicht der Überschüsse und Verluste in den einzelnen Pflegegraden führt, die nicht mehr untereinander kompensiert werden können. Wirtschaftlich betrachtet, ist die Aufnahme von Pflegebedürftigen in Pflegegraden 4 und 5 mit erhöhten Verlustrisiken verbunden. Um diesen zu begegnen, werden Einrichtungen tendenziell eher Pflegebedürftige in den Pflegegrade 2 und 3 aufnehmen können. Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 4 und 5, die gerade auf stationäre Pflege angewiesen sind, werden es damit noch schwerer haben, Plätze zu finden. Dies stellt ein weiteres Problem dar, das die Dringlichkeit für eine nachhaltige Pflegeversicherungsreform aufzeigt.

 

Vor diesem Hintergrund beantworten die in der BAGFW zusammengeschlossenen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege die konkreten Fragestellungen wie folgt:

Sind die Zielwerte insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt für Pflegekräfte und das Ziel der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung in ihrer Höhe und ihrer Methodik sachgerecht?

§ 113c stellt eine Weiterentwicklung der Personalbemessung dar. Insofern kann angenommen werden, dass die pflegerische Versorgung mit dem vereinbarten Status Quo der personellen Ausstattung sichergestellt werden kann, was aber keine Aussage über die Qualität der Versorgung und die tatsächliche Personalausstattung zulässt. Die Zielwerte bewegen sich in einigen Ländern oberhalb des Status Quo und in anderen wiederum darunter. Es ist unbenommen, dass die Arbeitsmarktsituation und die Ausbildungssituation bei unveränderten Rahmenbedingungen in den kommenden Jahren wenig Spielräume zulassen. Dies muss ein Monitoring berücksichtigen. Methodisch stellt sich die Frage, wie mit der Diskrepanz umzugehen ist, dass praktisch in allen Bundesländern bei der Mindestpersonalausstattung keine Differenzierung von QN 1-3 stattfindet, die Zielwerte aber so vorgegeben sind. Auch gibt es in einigen Ländern eine vereinbarte Mindestausstattung, die sich nicht an der Systematik der Zielwerte orientiert, was bisher auch legitim ist. Dieser Widerspruch ist aufzuheben, bspw. indem festgelegt wird, dass dies zulässig ist. Dies ist auch erforderlich, um bspw. Drittnutzern, wie heimrechtlichen Behörden, keine Prüfsystematik an die Hand zu geben, die in der Realität keinen Bestand hat. Der Charakter der Zielwerte und die “Verbindlichkeit” ab dem 01.07.2024 sind so darzustellen, dass keine sanktionsbewährten Mechanismen in Gang kommen können. Es muss klar sein, dass es sich hierbei in diesem ersten Schritt um Zielwerte handelt, die ein Monitoring ermöglichen, bis (unter Berücksichtigung aller Ergebnisse eines Monitorings) tatsächlich eine Festlegung mit verbindlichem Charakter getroffen werden kann. Zu berücksichtigen ist auch, dass zum Personal Vereinbarungen geschlossen wurden, die nach dem 30.06.2024 nicht ad hoc angepasst werden können.

Sind nach Ihrer Einschätzung Anpassungen nach oben oder unten erforderlich? Wäre im Hinblick auf die verschiedenen Qualifikationsniveaus und Pflegegrade bzw. andere landesspezifische Sonderregelungen ggf. eine differenziertere Vorgehensweise angezeigt?

In mehreren Bundesländern können die Zielwerte differenziert nach Qualifikationsniveau aktuell aufgrund der Arbeitsmarkt- und Ausbildungssituation, insbesondere im Bereich der qualifizierten Assistenzkräfte, nicht erreicht werden. Die Erreichung der Zielwerte als Gesamtmenge scheint jedoch möglich. Daher ist aus unserer Sicht zu prüfen, ob als zweite Haltelinie die Zielwerte bei der Mindestausstattung zunächst auch als erfüllt gelten, wenn die Gesamtpersonalmenge ausreichend ist. Dies wird in der Regel erfüllt werden können, weil die Fachkraftquote und der Bestandschutz zu einem Überhang dieser Kräfte führen.

Es ist fraglich, ob bereits bei der Bestimmung einer einheitlichen Personaluntergrenze der Einstieg in die Systematik des Qualifikationsmixes sinnvoll und sachgerecht ist. Schließlich wurde das Qualifikationsmixmodell unter anderen Prämissen anhand einer optimal ausgestatteten Pflegeeinrichtung (100 % des Algorithmus 1.0) konzipiert. Mit dem Ergebnis, dass sich zwar der Anteil an Fachkräften reduziert, die absolute Zahl an Fachkräften jedoch nahezu gleichbleibt. Wird das Qualifikationsmixmodell nun bereits bei der Bestimmung der Untergrenze eingeführt, könnte dies zu einem Abbau an Fachkräften führen, wenn Bestandsschutzregeln auslaufen und Fachkraftquoten mit dem Einstieg in die Systematik angepasst werden. Auch daher ist es wichtig, dass Untergrenzen als Gesamtpersonalmenge zum Tragen kommen und sich erst in fortgeschrittenen Aufwuchsphasen an das Qualifikationsmixmodell annähern.

In Mecklenburg-Vorpommern können die Zielwerte jedoch auch als Gesamtmenge nicht erreicht werden. Die im Entwurf enthaltenen bundeseinheitlichen Zielwerte würden so in Mecklenburg-Vorpommern eine deutliche Anhebung der aktuellen Mindestpersonalausstattung bedeuten. Ausgehend von einer Einrichtung durchschnittlicher Größe (81 Plätze) und mit einer Belegungsstruktur lt. Pflegestatistik (1 – 15 – 29 – 24 – 12) müssten in dieser Einrichtung bei Anhebung der Untergrenzen (Zielwerte) knapp 4,5 VK mehr vorgehalten werden. Bei kleineren Einrichtungen (30 – 46 Plätze) wird beobachtet, dass diese in der Gesamtschau die Zielwerte oder gar Obergrenze erreichen, jedoch analog zu anderen Bundesländern die VK-Mengen bei Differenzierung nach Qualifikationsbereich bezüglich des QN 3 nicht umsetzen können. 

Aus diesen Gründen wird zudem eine Anpassung der Zielwerte auf 75 % der Personalanhaltswerte nach § 113c Abs. 1 SGB XI vorgeschlagen. Der Wert von 75 % hat sich sowohl über die Leistungserbringerverbände hinweg als auch in einigen Bundesländern unter Berücksichtigung der Kürze der Zeit, beim Blick auf die tatsächliche Situation, bisher als umsetzbar herausgestellt.