Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen Sozialstaat und gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet
Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zeigen sich angesichts der Kürzungsvorhaben im vorgelegten Bundeshaushalt für 2024 alarmiert. Dieser sieht für Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege eine Kürzung von insgesamt etwa 25% vor. Die Verbände mahnen, dass die Kürzungen massive Einschnitte bei einer Vielzahl von sozialen Angeboten und eine nachhaltige Schwächung des Zusammenhaltes in der Gesellschaft bedeuten würden.
BAGFW-Präsident Michael Groß betont: „Der vorliegende Bundeshaushalt ist weder zukunftsfest noch geht er den mutigen Weg in Richtung einer nachhaltigen und gerechteren Gesellschaft weiter, den die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgezeichnet hat. Darin wurden die Wohlfahrtsverbände klar als wichtige Stütze der Daseinsvorsorge benannt. Die jetzige Kehrtwende ist nicht nur ein Zeichen mangelnder Anerkennung dieser Rolle, sondern auch mangelnden Verständnisses für ihre zentrale Bedeutung. Die Verbände sehen dies ebenfalls als Zeichen von mangelndem Respekt gegenüber den vielen Engagierten in den Verbänden sowie den rund 1,9 Mio. Beschäftigten. Die massiven Einsparungen bei sozialen Leistungen, die die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege für Menschen in sozialen Not- und Ausnahmesituationen erbringen, werden auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben.“
Beispielhaft nennen die Verbände drei drohende Kürzungen im Bereich Migration: Die Kürzungen in Höhe von etwa 30% im Bereich der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) treffen paradoxerweise zusammen mit der höchsten Zahl von Neuzugewanderten nach Deutschland seit der großen Fluchtbewegung nach dem II. Weltkrieg, darunter 1,2 Mio. Geflüchtete allein aus der Ukraine. Die Nachfrage nach qualitativer Beratung ist unverändert hoch. In Anerkennung dessen waren im Laufe des Jahres 2022 zunächst Sondermittel und für 2023 weitere Mittel bereitgestellt worden.
Jetzt sollen diese nicht nur zurückgenommen, sondern sogar Kürzungen vorgenommen werden. Das würde Arbeitsplatzverluste für die Mitarbeitenden im Programm bedeuten, die sich täglich mit ihrer Expertise für Ratsuchende einsetzen. Die etablierten und bewährten Strukturen des Beratungsangebotes gerieten massiv unter Druck. Ein weiterer Aspekt: Von der Migrationserstberatung profitieren natürlich auch Fachkräfte. Eine Kürzung widerspricht auch den Zielen, die im gerade beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz formuliert worden.
Ebenso paradox wären die vorgesehenen Kürzungen des Programms der bundesweiten, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung (AVB). Durch den Wegfall von 50% der für das nächste Jahr mindestens benötigten Mittel wird hier der gerade begonnene und im Koalitionsvertrag zugesagte Aufbau torpediert. Es drohen Insolvenzen und eine Verschlechterung des Beratungsangebots durch Wegfall der Landesfinanzierungen. Ein weiteres betroffenes Bundesprogramm ist das der Psychosozialen Zentren (PSZ). Statt einer Aufstockung der nicht annähernd ausreichenden Versorgung Traumatisierter, werden die Psychosozialen Zentren von 17 Mio. auf 7 Mio. Euro gekürzt. Die skandalöse Unterversorgung und der nun drohende Abbruch zahlreicher Therapien sind verheerend. Die Verbände sehen die Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr.
Auch die Mittel für die Freiwilligendienste sollen massiv gekürzt werden. Über alle Formate hinweg ist eine Absenkung um 78 Mio. € geplant – das sind insgesamt 23,7% der Bundesmittel für dieses Lern- und Orientierungsjahr. Die geplanten Kürzungen hätten zur Folge, dass jeder vierte Freiwilligenplatz wegfallen würde - das wären bundesweit rund 30.000 Freiwillige.
Im Bereich Digitalisierung hebeln Einsparungen in Höhe von 3,5 Mio. Euro das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgesetzte Förderprogramm zur Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung komplett aus. Hier werden die Verbände mitten im Aufbruch und in wichtigen strategischen Entwicklungen stark beeinträchtigt.
„Die Spitzenverbände wären auch ohne Kürzungen bereits großen Sparanstrengungen ausgesetzt“, so Groß weiter. „Diese ergeben sich allein schon aus Inflation und Tarifsteigerungen. Daher darf es mindestens nominell keine Kürzungen geben. Die Freie Wohlfahrtspflege hat sich als Garant der sozialen Infrastruktur und Stabilisator in den letzten Krisen sehr bewährt. Diese Rolle ist definitiv gefährdet.“