BAGFW-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

Die BAGFW bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme und beurteilt im Folgenden den Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

Die BAGFW bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme und beurteilt im Folgenden den Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Die einzelnen Verbände haben auch eigene Stellungnahmen erarbeitet, auf die hiermit verwiesen wird.

I.      Bedarfsermittlung

 

1. Referenzgruppe

 

Als Maßstab für die Ermittlung des Regelbedarfs dienten bisher die Ausgaben der untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen gestaffelten Haushalte nach Herausnahme der von Sozialhilfe abhängigen Personen. In Zukunft werden für Alleinstehende, Alleinerziehende und Erwachsene in Paarhaushalten die Ausgaben der untersten 15 % der Haushalte herangezogen, nachdem die Personen herausgenommen wurden, die ausschließlich von Transferleistungen leben. Die BAGFW sieht darin einen massiven Eingriff in die Methodik der Berechnung. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, die Berechnung der Regelbedarfe transparent und nachvollziehbar durchzuführen und die gewählte Methode plausibel zu begründen.

 

Der vorliegende Entwurf lässt eine solche nachvollziehbare Begründung der Berechnung jedoch nicht erkennen. Dies gilt insbesondere für die Entscheidung, bei der Berechnung der Regelbedarfe für Einpersonenhaushalte bzw. Haushalte von Alleinerziehenden abweichend von der bisherigen Praxis eine statistisch ärmere Referenzgruppe heranzuziehen. Ebenso wenig erschließt sich, wieso für die Ermittlung der verschiedenen Regelbedarfsstufen unterschiedliche Referenzgruppen zugrunde gelegt werden, so dass für die Regelbedarfsstufen 1 bis 3 (Erwachsene) die untersten 15 % den Ausschlag geben während die untersten 20 % für die Regelbedarfsstufen 4 bis 6 (Kinder und Jugendliche) relevant sind. Es entsteht der Eindruck, dass der Eingriff erfolgte, um einen sonst gebotenen stärkeren Anstieg des Regelbedarfes für Alleinstehende zu verhindern. Um die gesetzgeberische Entscheidung nachvollziehen und auf ihre inhaltliche Plausibilität prüfen zu können, fordert die BAGFW die Offenlegung der vollständigen Daten der EVS nach Herausrechnung der im Leistungsbezug stehenden Gruppen sowie eine Begründung, die den Anforderungen der Verfassungsgerichtsentscheidung vom 09.02.2010 entspricht.

 

II.     Bildungs- und Teilhabepaket

 

1.      Familienlotsen

 

Die BAGFW teilt das Anliegen, Eltern und ihre Kinder in Bildungs- und Entwicklungsfragen zu stärken. Sie sieht darin jedoch eine Aufgabe der Jugendhilfe. Die Aufgabenzuweisung in § 4 Abs. 2 Satz 4 SGB II droht jedoch, die Jobcenter sowohl in fachlicher als auch in personeller Hinsicht zu überfordern. Weder können – wie auch die BA einräumt – die Sachbearbeiter, die auf Arbeitsmarktvermittlung spezialisiert sind, die Beratung und Unterstützung von Familien leisten. Noch stehen zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung, um diese Aufgabe mit der gebotenen qualitativen Absicherung ausführen zu können. Der BAGFW, ist es ein dringendes Anliegen, dass der Aufbau von Doppelstrukturen vermieden wird und die Kompetenzen bei den Jugendämtern genutzt werden.

 

2.      Ausgestaltung der Bildungs- und Teilhabeleistungen nach § 28 SGB II neu im Einzelnen

 

·             Lernförderung

Mit der Anerkennung dieses Bedarfs setzt die Bundesregierung eine langjährige Forderung der BAGFW um. Jedoch grenzen die engen Voraussetzungen, die die Gesetzesbegründung nennt (nur für den Fall einer gefährdeten Versetzung und nur soweit die Lernförderung geeignet ist), den Anwendungsbereich für die Lernförderung unverhältnismäßig stark ein. Insbesondere ist aus pädagogischen Gründen nicht nachvollziehbar, warum bei einer negativen Prognose bezüglich der Versetzung die Lernförderung als nicht geeignet angesehen wird. Hier ist sie vielmehr besonders wichtig, nicht zuletzt um dem Schüler zu signalisieren, dass er nicht „aufgegeben“ wird. Auch bei „Schulschwänzern“ ist Lernförderung nötig, um den Wiedereinstieg in den Schulalltag tatsächlich möglich zu machen. Außerdem sollten auch SchülerInnen gefördert werden können, die nur vorübergehend „den Anschluss verloren haben“, weil sie bei einer aktuellen Lerneinheit nicht folgen können. Die weitgehende Einschränkung der Lernförderung im Referentenentwurf steht im Widerspruch zu dem politischen Ziel, die Bildungschancen von Kindern aus finanziell schwachen Familien substantiell zu verbessern und somit eine Chancengleichheit aller Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten.

 

·         Mittagessen in der Schule und der Kindertagesstätte

Die BAGFW begrüßt, dass Schülerinnen und Schüler sowie Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen, einen Zuschuss zum dort angebotenen Mittagessen bekommen (§ 28 Abs. 5 SGB II neu). Bei der Ermittlung des Bedarfs muss berücksichtigt werden, dass einige dieser Einrichtungen auch in den Ferien eine Mittagsverpflegung anbieten. In diesen Fällen muss die Zahl der Öffnungstage zugrunde gelegt werden.

 

 

·         Erbringung der Leistungen für Bildung und Teilhabe

Der Referentenentwurf sieht vor, dass die Leistungen für Schulausflüge und Klassenfahrten sowie die neuen Teilhabeleistungen nach einer kurzen Übergangszeit ausschließlich mittels Gutscheinen erbracht werden können. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob das Gutscheinmodell – zumal kurzfristig - als ausschließliche Form der Leistungserbringung geeignet sein wird, um die benötigten Hilfen zur Bildung und Teilhabe verlässlich allen betroffenen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung zu stellen. Die BAGFW fordert deshalb die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Möglichkeiten zur Leistungserbringung über das Gutscheinmodell hinaus erweitert werden.

Sofern Teilhabeleistungen in Verantwortung der Jobcenter veranlasst werden, muss sichergestellt werden, dass diese aufgrund eines Leistungserbringungsvertrags bzw. eine Zuwendungsfinanzierung erfolgen. Die Anwendung des Vergaberechts wäre für die Erbringung der Teilhabeleistungen kontraproduktiv, weil die Eröffnung der neuen Teilhabeleistungen für bislang davon ausgeschlossene Kinder und Jugendliche im hohen Maße auf das Engagement und die Mitarbeit von lokal vernetzten und sich in den Regionen für das Gemeinwohl verantwortlich zeigenden Vereinen und Organisationen ankommen wird. Dies ist flächendeckend mangels einer hinreichenden sozialen Infrastruktur nicht zu erreichen.

·         Kreis der anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen

Die BAGFW fordert, dass auch Kinder aus Geringverdienerfamilien Zugang zum Bildungspaket bekommen. Denn auch in diesen Familien fehlt oftmals das Geld um die Bedarfe der Kinder im Bereich Bildung und Teilhabe sicherstellen zu können.

 

III.    Weitere Änderungen im SGB II

 

Die BAGFW fordert, die umfangreichen Änderungen, die auch in weiten Teilen des Leistungsrechts vorgesehen sind, vorerst zurückzustellen. Denn sie überfrachten das Gesetzgebungsverfahren, das ohnehin schon unter erheblichem Zeitdruck steht, nur zusätzlich. Eine fachlich fundierte Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der einzelnen Regelungen ist in der Kürze der Zeit kaum zu realisieren. Zudem trifft die Neuordnung der Regelsätze zeitlich mit der weitreichenden organisatorischen Neuordnung der Verwaltungsstrukturen zusammen. Im Interesse einer möglichst reibungslosen Umstellung und der fortdauernden Leistungsfähigkeit der Grundsicherungsträger sollte der Gesetzgeber davon absehen, den Umfang der auf einmal zu bewältigenden Umstellungen über das Maß des Notwendigen hinaus auszudehnen.

 

 

Einzelne Änderungen sind aus Sicht der BAGFW besonders diskussionsbedürftig, z.B. die verschärften Sanktionsregelungen, die Frage der Anrechnung von Darlehen, die Satzungsregelung für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft sowie die Möglichkeit der Pauschalierung bei den Kosten der Unterkunft.

 

Zu den Sanktionsregelungen im Einzelnen:

 

·                 In Zukunft soll eine Sanktionierung nicht nur nach schriftlicher Belehrung des Leistungsberechtigten über die Rechtsfolgen eines Pflichtverstoßes möglich sein, ausreichend ist hier bereits seine Kenntnis der Rechtsfolgen (§ 31 Abs. 1 und § 32 Abs. Satz 3 SGB II neu). Eine schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen ist in anderen Bereichen öffentlicher Tätigkeit/Verwaltungsakten selbstverständlich. Diese Verschärfung wird von der BAGFW kritisiert, weil hiermit die Position des Leistungsberechtigten erheblich verschlechtert wird.

 

·                 Eine weitere Verschärfung liegt darin, dass künftig auch der Verstoß gegen Pflichten sanktioniert werden kann, die nicht Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung waren (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II neu). Dies ist für den Fall einer kurzfristig möglichen Vermittlung in Arbeit nachvollziehbar, überzeugt aber nicht für den Bereich der Integrationsmaßnahmen. Insoweit muss nach Ansicht der BAGFW die Eingliederungsvereinbarung (oder der Eingliederungsbescheid) Grundlage für die sanktionsbewehrten Verpflichtungen der Arbeitsuchenden bleiben. Denn die Eingliederungsvereinbarung ist nicht nur ein wichtiges Instrument zur aktiven Beteiligung der Leistungsberechtigten an der Eingliederung in Arbeit. Sie unterstreicht die Bedeutung dieser Eigenanstrengungen und macht den Leistungsberechtigten deutlich, was im Zuge dieses Eingliederungsprozesses von ihnen erwartet wird. Um gerade diesen Zusammenhang zu erhalten, können Verstöße gegen die Pflicht zur Teilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme nur dann Sanktionen auslösen, wenn sie zuvor Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung geworden sind oder zumindest in einem Eingliederungsbescheid auferlegt wurden.

 

·                 Begrüßt wird die Neuregelung, dass im Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern, in der eine Sanktion von mehr als 30 % festgestellt wurde, nun Sachleistungen gewährt werden müssen ( § 31a Abs. 4 Satz 2 SGB II neu). Dies stellt eine substantielle Verbesserung dar. Die BAGFW hält jedoch weitergehende Verbesserungen bei den Sanktionsregelungen für notwendig, insbesondere müssen die Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen von Jugendlichen flexibler ausgestaltet werden, um der sozialen Ausgrenzung von jungen Menschen entgegenzutreten.