Positionspapier der BAGFW zu Anforderungen an Beratungsleistungen für Menschen mit Behinderungen im neuen Bundesteilhabegesetz

Vorgelegt anlässlich des Werkstattgesprächs Unabhängige Beratung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales am 23. Juni 2015 im Nachgang zur 2. Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz.

 

Die BAG Freie Wohlfahrtspflege nimmt das Werkstattgespräch des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu unabhängiger Beratung im Rahmen des zu schaffenden Bundesteilhabegesetzes zum Anlass, um die aus ihrer Sicht notwendigen  Anforderungen an zukünftige Beratungsleistungen und -strukturen für Menschen mit Behinderungen zu Rechtsansprüchen im System der Sozialgesetzgebung vorzulegen.

 

Die BAGFW begrüßt ausdrücklich, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Stärkung der Beratung als ein zentrales Anliegen im Zuge des neu zu schaffenden Bundesteilhabegesetzes benennt.

 

Barrierefrei zugängliche und verständliche Informationen über Rechte und Rechtsansprüche im gegliederten System der Sozialgesetzgebung sind nach Ansicht der BAGFW eine unabdingbare Voraussetzung für Menschen mit Behinderungen, um sich selbstbestimmt für eine weitgehende unabhängige Lebensführung entscheiden zu können. Dazu gehören insbesondere  Informationen über rechtliche Grundlagen und verschiedene Formen von  Unterstützungsleistungen als auch Informationen zu Arten von Behinderungen und den damit verbundenen medizinischen, psychischen, rechtlichen oder sozialen Problemlagen.

 

Der Bedarf an Beratung wird steigen, wenn wie beabsichtigt,  bisherige pauschale Leistungsgestaltungen in einem inklusionsorientierten Hilfesystem der Eingliederungshilfe in  neue personenzentrierte  Einzelleistungen differenziert werden und ein neues Verständnis von Behinderung entsprechend UN-Behindertenrechtskonvention (ICF-Orientierung) bei der Bedarfsfeststellung zur Anwendung kommen soll. Hierfür sind vielfältige Beratungs-, Koordinierungshilfen und Unterstützungsoptionen notwendig, die eine selbstbestimmte Auswahlentscheidung aller Menschen mit Behinderung und deren Angehörige im neuen System der Leistungsgewährung ermöglichen  und ihre Selbsthilfekompetenzen stärken.

 

Daraus leiten sich nach Ansicht der BAGFW folgende Anforderungen an zukünftige Beratungsinhalte und -strukturen ab

·         Der Rechtsanspruch auf eine qualifizierte, ausschließlich den Interessen der zu beratenden Person verpflichtete, anwaltschaftliche Beratung und Information ist eine wesentliche Voraussetzung für die Planung und Ausgestaltung personenbezogener Assistenz- und Unterstützungsleistungen und muss in das Bundesteilhabegesetz aufgenommen werden.

 

·         Beratungsleistungen sind bei Feststellung eines entsprechenden individuellen Bedarfes vor, während und oder nach Abschluss der Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen als  eigenständige  zu finanzierende Leistung  zur Teilhabe zu gewähren, die  vom Rechtsanspruch erfasst und ggf. einklagbar ist. Eine Anrechnung bzw. Verrechnung der Beratungsleistungen zu Lasten anderweitiger Teilhabeleistungen ist auszuschließen.

 

·         Die Beratungsleistungen müssen kostenlos sein und umfassende Informationen zu Rechtsansprüchen auf Leistungen und deren Finanzierung sowie Informationen zu Assistenz- und Dienstleistungsangeboten beinhalten, um entsprechende Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten für die betreffenden Personen zu eröffnen.

 

·         Beratungsleistungen haben sich je nach Beratungsbedarf inhaltlich auf die Teilhabe und damit vorrangig auf die Lebensbereiche Familie, Wohnen, Arbeitsleben und/oder Freizeitgestaltung zu beziehen.

 

·         Die Beratungsangebote müssen dabei stets niedrigschwellig und barrierefrei gestaltet werden. Dazu gehört es auch, dass sie so flächendeckend organisiert sind, dass keine unzumutbaren Wegstrecken zum Aufsuchen eines Beratungsangebotes entstehen. Für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf im Bereich der Mobilität müssen Beratungsleistungen überdies auf Wunsch in Form aufsuchender Beratung erbracht werden.

 

·         Der Rechtsanspruch auf das Hinzuziehen einer Person des Vertrauens im Beratungsprozess muss wie bisher gewährleistet sein.

 

·         Es muss Freiheit bezüglich der Wahl eines Beratungsangebotes bestehen: Menschen mit Behinderungen und / oder eine Person ihre Vertrauens treffen die Entscheidung, wo sie beraten werden wollen.

 

·         Demgemäß müssen Leistungserbringer, Leistungsträger, Verbraucherzentralen, Freie Wohlfahrtspflege, Behindertenverbände und Verbände der Selbsthilfe als Anbieter von Beratungsleistungen in Frage kommen. Unberührt von der Stärkung unabhängiger Beratung muss die Beratungs- und Aufklärungspflicht der Leistungsträger bestehen bleiben.

 

·         Die Beratungsleistungen sind ausschließlich den Interessen der zu beratenden Person verpflichtet und mit entsprechenden Qualitäts- und Fachstandards zu versehen.

 

Qualifizierte Beratung kann nicht ehrenamtlich geleistet werden. Sie ist angemessen zu finanzieren und  als eigene Leistungsart in das Bundesteilhabegesetz aufzunehmen.