Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften (Drucksache 344/15)

A.        Einleitung

 

Seit dem 1. Januar 2013 erstattet der Bund den Ländern 75 Prozent, ab 2014 100 Prozent der Nettoausgaben in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Infolge der damit verbundenen Bundesauftragsverwaltung besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Vierten Kapitel des SGB XII. Die Bundesregierung hat aus diesem Anlass einen Gesetzentwurf eines Dritten SGB XII-Änderungsgesetzes vorgelegt. Neben Regelungen zur Nachweispflicht der Länder sollen bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Ergänzungen bei der Berücksichtigung von Einkommen, Verwaltungsvereinfachungen ermöglichende Änderungen, Klarstellungen zu bestehenden Auslegungsfragen sowie Vereinheitlichung von Begrifflichkeiten und redaktionelle Korrekturen vorgenommen werden. Einzelne Änderungen bewertet die BAGFW im Hinblick auf deren Wirkung auf die Antragsteller/-innen. Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus Neuregelungen im Dritten Sozialgesetzbuch und im Berufsausbildungsförderungsgesetz zur beruflichen Eingliederung von geduldeten Flüchtlingen.

 

 

B.        Zusammenfassung

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege plädieren insbesondere dafür, die Freibetragsgrenze für die Anrechnung von Zinseinkünften im SGB XII den Regelungen des SGB II anzugleichen und diese auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und den Hilfen nach dem 5. bis 9. Kapitel SGB XII anzuwenden. Zugunsten der Leistungsberechtigten und im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung soll ein Globalantrag eingeführt werden. Soweit bei der Anrechnung einmaliger Einnahmen für die Betroffenen Verschlechterungen gegenüber der heutigen Rechtslage eintreten, werden die Neuregelungen abgelehnt.

 

Weitergehend fordert die BAGFW insbesondere eine gesetzliche Klarstellung zur Zuordnung von volljährigen Menschen mit Behinderung ohne eigenen Haushalt in die Regelbedarfsstufe 1. Außerdem sollen Vermögen stärker freigestellt werden, gerade dann, wenn dies der Altersvorsorge dient. Die Neuregelungen zur beruflichen Eingliederung von jungen Flüchtlingen bewerten die Wohlfahrtsverbände als unzureichend und fordern, allen in Deutschland legal lebenden Ausländer/innen (auch Geduldete) zügig Unterstützung bei ihrer Ausbildung anzubieten.

 

Bewertung der einzelnen Maßnahmen

 

I.          Einführung von Freibeträgen für Zinseinkünfte und Unfallrenten
(§ 43 Abs. 2 und 3 SGB XII)

 

Der Gesetzentwurf sieht in Absatz 2 einen neuen Freibetrag von 26 Euro im Kalenderjahr für Einnahmen aus Kapitalvermögen (Zinserträge und Ähnliches) vor. Bislang gab es für Zinseinkünfte keinen Freibetrag. Zudem wird mit dem neuen Absatz 3 ein Freibetrag für Leistungsberechtigte geschaffen, die während ihrer Wehrdienstzeit bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) einen Unfall erlitten haben.

 

Bewertung

 

Die BAGFW begrüßt es, dass in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ein Freibetrag für Einnahmen aus Kapitalvermögen eingeführt wird. Das führt dazu, dass diese Einkünfte aus dem bescheidenen Schonvermögen auch bei den Leistungsbeziehern verbleiben können. Eine ähnliche Regelung gibt es auch im SGB II. Dort beträgt die Bagatellgrenze für Erträge oder Zinsen jedoch monatlich 10 Euro. Dagegen sind im SGB XII kalenderjährlich künftig nur 26 Euro, damit monatlich 2,17 Euro anrechnungsfrei. Die Höhe des Freibetrags entspricht einem Prozent des Schonvermögensbetrags von 2.600 Euro bei Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Nach der Gesetzesbegründung wird mit dem auf dieser Basis berechneten Freibetrag der überwiegende Teil der Leistungsberechtigten zwar vor dem Hintergrund des aktuell sehr niedrigen Zinsniveaus in Deutschland von der Einkommensanrechnung von Zinseinkünften freigestellt. Die Zinseinkünfte sollten jedoch auch dann noch freigestellt sein, wenn die Zinsen wieder steigen.

 

Zudem sieht die BAGFW bereits die unterschiedlichen Vermögensfreigrenzen des SGB II und SGB XII kritisch. Dies ist im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere nicht nachvollziehbar, sofern sie Menschen mit Behinderung betrifft, die auf Grundsicherung wegen Erwerbsminderung angewiesen sind. Auch bei ihnen müssen in gleichem Maße z. B. Freibeträge für Vermögen, das der Altersvorsorge dient, anerkannt werden. Zudem betreffen die Vermögensfreigrenzen auch die Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel. Für Menschen mit Behinderung, die erwerbstätig sind, aber zugleich Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, besteht aktuell keine Möglichkeit, aus ihrem Erwerbseinkommen nennenswerte Beträge anzusparen. Hier besteht Änderungsbedarf.

 

Im Übrigen machen wir darauf aufmerksam, dass derzeit an dem Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes gearbeitet wird. In diesem Zuge hat die BAGFW bereits darauf hingewiesen, dass das in einem Bundesteilhabegesetz zu verankernde Prinzip des Nachteilsausgleichs nicht mehr mit dem in der Sozialhilfe geltenden Bedürftigkeitsprinzip vereinbar ist. Dies bedeutet, dass weder der Leistungsberechtigte noch sein Ehepartner bzw. eingetragene/r Lebenspartner/-in und/oder seine Angehörigen mit seinem/ihrem jeweiligen Einkommen und Vermögen zu den Teilhabeleistungen herangezogen werden können. Teilhabeleistungen sollen dementsprechend nicht mehr dem Bedürftigkeitsprinzip unterliegen.

 

Die BAGFW begrüßt, dass mit der Einführung von Freibeträgen für Unfallrenten, die wegen während Wehrdienstzeiten bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erlittenen Arbeitsunfällen gezahlt werden, zukünftig alle Betroffenen, hinsichtlich der Berücksichtigung ihrer Renten als Einkommen in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gleich behandelt werden. Damit wird die derzeitige Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, aufgehoben.

 

Vorschlag

 

Die BAGFW schlägt vor, den Freibetrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen entsprechend zur Regelung im SGB II auf 120 Euro im Jahr, d. h. monatlich 10 Euro anzuheben, damit die Freistellung unabhängig von den Entwicklungen auf dem Finanzmarkt auch nachhaltig wirken kann.

 

Die BAGFW schlägt vor, den Freibetrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht nur bei der Grundsicherung im Alter, sondern auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei den Hilfen nach dem 5. bis 9. Kapitel freizustellen. Es besteht hier kein Grund für eine Ungleichbehandlung.

 

Die BAGFW fordert, in § 90 SGB XII Vermögen, das der Altersvorsorge dienen soll, von der Anrechnung freizustellen, insofern Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung bei Erwerbsminderung bezogen werden.

 

Leistungen der Eingliederungshilfe sollen von der Anrechnung von Einkommen und Vermögen freigestellt werden.

 

 

II.         Antragserfordernis, Änderungen zulasten der Leistungsberechtigten
(§ 44 Abs. 1 SGB XII)

 

Aus systematischen Gründen wird künftig in § 44 Abs. 1 SGB XII geregelt, dass Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf Antrag erbracht werden. Das Antragsprinzip fand sich zuvor in § 41 SGB XII. Darüber hinaus wird in Abs. 1 nun klargestellt, dass einmalige Bedarfe (§ 31 SGB XII), Bedarfe für eine angemessene Alterssicherung (§ 33 SGB XII) und die Bedarfe für Bildung und Teilhabe (§§ 34 bis 34 b SGB XII) sowie ergänzende Darlehen (§ 37 SGB XII), gesondert zu beantragen sind.

 

Nicht aus § 44 Absatz 1 SGB XII a. F. wird hingegen dessen Satz 4 übernommen, nach dem eine Änderung zulasten der leistungsberechtigten Person erst ab dem Folgemonat zu einer Änderung führt. Änderungen, unabhängig davon, ob sie sich begünstigend oder belastend auswirken, sollen sich, wie im Dritten Kapitel des SGB XII oder auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in dem Monat des Ereignisses auswirken.

 

 

 

Bewertung

 

Die BAGFW spricht sich für eine Regelung aus, durch die die Leistungsberechtigten im SGB XII grundsätzlich zu beantragende Leistungen durch einen einzigen Antrag beantragen können. Dies könnte wie auch im SGB II bereits in der Praxis praktiziert durch einen sog. Globalantrag erfolgen. Dadurch kann zum einen der Verwaltungsaufwand beschränkt werden. Zum anderen werden auch die betroffenen Leistungsberechtigten entlastet.

 

Darüber hinaus spricht sich die BAGFW dafür aus, dass eine Änderung zulasten der leistungsberechtigten Person weiterhin erst ab dem Folgemonat zu einer Änderung führt. Hierdurch wird der Verwaltungsaufwand begrenzt, da ansonsten eine Rückforderung bereits erbrachter Leistungen erforderlich wird.

 

Vorschlag

 

Der sog. Globalantrag soll für im SGB XII zu beantragende Leistungen eingeführt werden.

 

Der bisherige § 44 Absatz 1 Satz 4 SGB soll fortbestehen.

 

III.        Änderungen bei der Einkommensanrechnung
(§ 82 Abs.4 SGB XII)

 

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Vorschrift über die Anrechnung von Einkommen um eine Regelung über einmalige Einnahmen ergänzt wird. Zukünftig sollen einmalige Einnahmen, bei denen für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der Einnahme erbracht worden sind, im Folgemonat berücksichtigt werden (Satz 1). Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme künftig auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (Satz 2).

 

Bewertung

 

Nach Auffassung der BAGFW ist bei einmaligen Einnahmen eine Regelung notwendig für den Fall, dass die einmalige Leistung bereits aufgezehrt wurde und nicht mehr als bereites Mittel zur Verfügung steht. Auch in diesem Fall müssen Leistungen als Zuschuss erbracht werden können.

 

Die BAGFW lehnt die geplante Änderung in § 82 Abs. 4 Satz 2 ab. Zwar wird nach der Gesetzesbegründung eine Regelungslücke geschlossen, die bestand, wenn die einmalige Einnahme höher als der monatliche Leistungsanspruch ist. Dies hat nach derzeitiger Gesetzeslage zur Folge, dass für den Monat des Zuflusses keine Hilfebedürftigkeit besteht und damit ein Leistungsanspruch entfällt. Zumindest in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bedeutet dies, dass im Folgemonat, beziehungsweise nach Verbrauch der einmaligen Einnahme, ein erneuter Antrag zu stellen ist. Durch die Gesetzesänderung soll deshalb eine Verteilung der einmaligen Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten erfolgen. Die Regelung hat künftig zur Folge, dass die einmalige Leistung vollständig angerechnet wird und nicht mehr wie nach derzeitigem Recht nach Ablauf des Zuflussmonats ein Teilbetrag dem Schonvermögen zugerechnet wird. Sie trifft damit aber gerade Menschen hart, die bei Beginn des Leistungsbezugs kein Vermögen im Rahmen der ohnehin sehr niedrigen Schonvermögensgrenzen hatten und es infolge der geplanten Regelung auch nicht mehr ansparen könnten.

 

Ungelöst bleibt weiterhin das Problem bei Rentenneuzugängen durch Renten, die immer erst am Monatsende ausgezahlt werden. Diese sind laufende Einnahmen und werden auf den im Monat des Zuflusses bestehenden Bedarf angerechnet. Dadurch entsteht eine Bedarfsunterdeckung bis zum Ende des jeweiligen Monats. Die BAGFW fordert, diese Bedarfslücke zu schließen.

 

Vorschlag

 

§ 82 Abs. 4 Satz 2 wird gestrichen. Stattdessen ist nach § 82 Abs. 4 Satz 1 folgender Satz einzufügen: „Bei Hilfebedürftigkeit nach Verbrauch der einmaligen Einnahme sind Leistungen als Zuschuss zu erbringen.“

 

Die BAGFW spricht sich dafür aus, dass die Anrechnung von Einkommen und Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erst bei tatsächlichem Zufluss erfolgen und das Instrument der Überleitung in Bezug auf den Rentenversicherungsträger stärker genutzt werden sollte.

 

IV.       Keine Berücksichtigung der Heizkosten bei der Ermittlung der Einkommensgrenze (§ 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII)

 

In § 85 Abs. 1 SGB XII wird gesetzlich klargestellt, dass künftig bei der Berechnung der Einkommensgrenze für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel die Heizkosten nicht mehr eingehen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Einkommensgrenze, die sicherstellen soll, dass ein angemessener Betrag zur Bestreitung des Lebensunterhalts und der sonstigen allgemeinen Lebensbedürfnisse verbleibt, sinkt. Das darüber hinaus liegende zu berücksichtigende Einkommen ist bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel einzusetzen.

 

Bewertung

 

Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 25.04.2013 (B 8 SO 8/12 R) die Auslegungsfrage noch anders entschieden und keinen ersichtlichen Grund erkennen können, „warum Gelder für angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nicht erfasst sein sollten.“ Diese Auslegung ist nach der gesetzlichen Klarstellung nicht mehr möglich. Die Änderung kann dazu führen, dass höhere Eigenanteile aus dem Einkommen erbracht werden müssen, z. B. für die Eingliederungshilfe oder die Hilfe zur Pflege. Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass künftig die Leistungen der Eingliederungshilfe nicht mehr einkommens- und vermögensabhängig gewährt werden soll, eine deutliche Verschlechterung für die Betroffenen.

 

 

 

Vorschlag

 

Die Änderung ist zu streichen. Die BAGFW schlägt eine gesetzliche Klarstellung dahingehend vor, die die angemessenen Aufwendungen für die Heizung in die Berechnung der Einkommensgrenze einbezieht.

 

V.        Fehlende gesetzliche Klarstellung zur Zuordnung von volljährigen behinderten Menschen, die keinen eigenen Haushalt führen

 

Der Gesetzgeber hat es unterlassen, eine gesetzliche Klarstellung im SGB XII für volljährige erwerbsunfähige behinderte Menschen, die keinen eigenen Haushalt führen, sondern bei ihren Eltern oder in einer WG leben, dahingehend einzufügen, dass diese Menschen der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen sind.

 

Die BAGFW spricht sich dafür aus, dass die Anrechnung von Einkommen und Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erst bei tatsächlichem Zufluss erfolgen und das Instrument der Überleitung in Bezug auf den Rentenversicherungs-träger stärker genutzt werden sollte.

 

Bewertung

 

Das Bundessoziallgericht hat in seinem Urteil vom 23.07.2014 (Az.: B 8 SO 14/13 R) entschieden, dass ein gemeinsamer Haushalt nicht voraussetzt, dass der behinderte Mensch nach seinen individuellen Fähigkeiten einen Haushalt auch ohne Unterstützungsleistungen eines anderen allein meistern kann. Ausreichend ist die Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen geistig-seelischen und körperlichen Leistungsfähigkeit. Lediglich dann, wenn keinerlei Haushaltsführung beim Zusammenleben mit einer anderen Person festgestellt werden kann, ist ein Anwendungsfall der Regelbedarfsstufe 3 denkbar. Für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 ist auch nicht entscheidend, dass ein eigener Haushalt vollständig oder teilweise geführt wird; es genügt vielmehr, dass der Leistungsberechtigte einen eigenen Haushalt gemeinsam mit einer Person - gegebenenfalls mit Eltern oder einem Elternteil - führt, die nicht sein Partner ist. Hintergrund der Entscheidung ist die Praxis der Sozialleistungsträger, volljährigen Menschen mit Behinderung, die bei ihren Eltern oder in einer Wohngemeinschaft leben, nur Leistungen für den Lebensunterhalt in Höhe der Regelbedarfsstufe 3, damit lediglich 80 Prozent der Regelleistung zu gewähren. Zwischenzeitlich hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine Weisung an die obersten Landessozialbehörden erlassen. Danach sollen die betreffenden Personen zwar weiterhin formell der Regelbedarfsstufe 3 zugeordnet werden, jedoch Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 erhalten: statt derzeit 320 nun 399 Euro. Diese verwaltungsinterne Weisung kann aber nur eine Zwischenlösung sein. Auf Dauer bedarf es hier einer einklagbaren gesetzlichen Regelung, auf die sich die Leistungsberechtigten (ohne einen Rückgriff auf die Selbstbindung der Verwaltung) unmittelbar berufen können.

 

 

 

Vorschlag

 

Die BAGFW fordert, dass im SGB XII gesetzlich klargestellt wird, dass die betreffenden Menschen der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen sind.

 

VI.       Partielle Öffnung der Arbeits- und Ausbildungsförderung für Geduldete und bestimmte Personengruppen mit Aufenthaltserlaubnis (§ 78 SGB III, Art. 6, Abs. 4 25. BAföGÄndG)

 

Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf werden partielle Erleichterungen beim Zugang zu Maßnahmen der Arbeits- und Ausbildungsförderung geschaffen. Geduldete Flüchtlinge erhalten einen Zugang zu ausbildungsbegleitenden Hilfen. Der Zugang zu Leistungen nach dem BAföG und im SGB III wird für Geduldete und bestimmte Personengruppen mit einer Aufenthaltserlaubnis von derzeit vier Jahren auf 15 Monate abgesenkt. Hierdurch wird eine bereits für den 1. August 2016 im 25. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) normierte Neuerung auf den 1. Januar 2016 vorgezogen.

 

Personen mit einer Duldung und einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen haben ohne Wartefrist ab dem ersten Tag des Aufenthalts in Deutschland Zugang zum Ausbildungsmarkt, ohne dass die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit zustimmen muss. Für Personen mit einer Aufenthaltsgestattung, also noch im Asylverfahren befindliche Personen, hat sich die Wartefrist für den Zugang zum Arbeitsmarkt von bisher neun bzw. zwölf Monaten auf die ersten drei Monate des Aufenthalts verkürzt. In allen drei Fällen besteht jedoch ein nachrangiger Arbeitsmarktzugang, d.h. es muss für die konkrete Beschäftigung eine Beschäftigungserlaubnis der Ausländerbehörde vorliegen.

 

Bereits im Zuge des Gesetzes zur Neuordnung des Bleiberechts und der Änderung der Beschäftigungsverordnung ist es zu Verbesserungen beim Arbeitsmarktzugang für Geduldete und Asylbewerber gekommen. So wurde durch einen Zusatz in § 60a des AufenthG klargestellt, dass eine Berufsausbildung ein dringender persönlicher Grund für die Erteilung einer Duldung sein kann und für deren gesamte Dauer eine Duldung erteilt werden kann.

 

Bewertung

 

Die BAGFW begrüßt die Öffnung der Arbeits- und Ausbildungsförderung für Geduldete. Die vorstehend geschilderten Ansätze zur verbesserten Unterstützung und zum erleichterten Zugang zu BAföG-Leistungen sind jedoch nur punktuelle Unterstützungen. Asylsuchende bleiben weiterhin dauerhaft von der Ausbildungsförderung ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund, dass viele der jungen asylsuchenden Menschen letztlich doch als Flüchtlinge anerkannt oder aus anderen Gründen - auch nach einem negativen Asylbescheid - in Deutschland bleiben werden, sollte ihnen möglichst schnell ein Zugang zu einer Ausbildung und damit gesellschaftlicher Teilhabe eröffnet werden. Die Wohlfahrtsverbände halten dies für geboten. Hierfür gibt es wichtige Gründe: Nach drei Monaten folgen die Zuweisung in die Kommunen und die Schulpflicht. Es ist nicht zielführend, dass dann Regelinstrumente nach dem SGB III (z. B. Förderung aus dem Vermittlungsbudget, Berufliche Weiterbildung, Einstiegsqualifizierung usw.) weitestgehend in Anspruch genommen werden können, Leistungen der Ausbildungsförderung aber nicht. In den ersten 15 Monaten können neben einer Ausbildung Leistungen nach dem AsylbLG bezogen werden. Es schließt sich jedoch an diesen Zeitraum – anders als bei Geduldeten – kein Anspruch auf Ausbildungsförderung an. Das kann sogar dazu führen, dass die bereits begonnene Ausbildung abgebrochen werden muss. Problematisch ist auch, dass Personen mit bestimmten Aufenthaltserlaubnissen, unter anderem Opfer schwerer Straftaten oder illegaler Arbeitsausbeutung (§25 Abs. 4a und Abs. 4b AufenthG) sowie Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen (§ 36 AufenthG) von den Verbesserungen ausgeschlossen bleiben. Nur ein Teil der ausbildungsfördernden Instrumente wird für Geduldete zügiger bereitgestellt, während etwa berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen oder die Förderung einer außerbetrieblichen Berufsbildung für lange Zeit verschlossen bleiben. Für diese gelten die ausländerrechtlichen Einschränkungen nach § 8 Abs. 3 BAföG und § 59 Abs. 3 SGB III fort. Sie sind somit an eine Voraufenthaltsdauer und Erwerbstätigkeit von fünf Jahren oder eine mindestens dreijährige Voraufenthaltsdauer und Erwerbstätigkeit der Eltern innerhalb der letzten sechs Jahre vor Beginn der Ausbildung geknüpft. Darüber hinaus ist die Wartezeit von 15 Monaten für einen jungen Menschen, der bereit ist, seine Zukunft zu gestalten und damit letztlich auch einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag zu leisten, unangemessen lange.

 

Vorschlag

 

Die BAGFW fordert, dass alle Ausländer(innen) mit Aufenthaltserlaubnis oder Duldung, die eine Ausbildung machen und nicht eigens zu diesem Zweck eingereist sind, ohne Frist Unterstützung bei Ausbildung und Qualifizierung erhalten sollen. Die Voraufenthaltsdauer von 15 Monaten ist als Kriterium zu streichen. Die Maßnahmen zur Vorbereitung und Unterstützung eines Berufsabschlusses sind insgesamt zu öffnen und bedarfsgerecht bereitzustellen. Dementsprechend sind auch die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sowie die Förderung einer außerbetrieblichen Berufsausbildung für alle Ausländer(innen) mit Aufenthaltserlaubnis oder Duldung zu öffnen.

 

Asylsuchenden sollte ebenfalls möglichst schnell Zugang zu Arbeits- und Ausbildungsförderung eröffnet werden