Beitrag der BAGFW zum Nationalen Sozialbericht

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt, dass der Erstellung des Sozialberichts der Bundesregierung ein Konsultationsprozess vorangeht, an dem die Wohlfahrtsverbände beteiligt sind und nutzt gerne die Gelegenheit zur gemeinsa- men Stellungnahme. Die BAGFW verbindet mit diesem Konsultationsprozess die Erwartung, dass – wie mit der Europa-2020-Strategie formuliert – eine umfassende Strategie der Ar- mutsbekämpfung entwickelt und umgesetzt wird. Dies setzt einen gründlichen und gut vorbe- reiteten Austausch über die notwendigen sozialpolitischen Ziele und Maßnahmen in Deutschland voraus.

1.  Einleitung mit Überblick der sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten so- wie den Ergebnissen der Konsultation von Wohlfahrtsverbänden und Sozial- partnern

 

1.1.      Zum Konsultationsprozess

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt, dass der Erstellung des Sozialberichts der Bundesregierung ein Konsultationsprozess vorangeht, an dem die Wohlfahrtsverbände beteiligt sind und nutzt gerne die Gelegenheit zur gemeinsa- men Stellungnahme. Die BAGFW verbindet mit diesem Konsultationsprozess die Erwartung, dass – wie mit der Europa-2020-Strategie formuliert – eine umfassende Strategie der Ar- mutsbekämpfung entwickelt und umgesetzt wird. Dies setzt einen gründlichen und gut vorbe- reiteten Austausch über die notwendigen sozialpolitischen Ziele und Maßnahmen in Deutschland voraus.

 

Die BAGFW geht davon aus, dass die Fortsetzung des Konsultationsprozesses für die Folgejahre einen angemesseneren zeitlichen Rahmen vorsieht. Da noch offen zu sein scheint, in welcher Weise an die erste Konsultation weitere Konsultationen anschließen, wirbt die BAGFW für einen längeren inhaltlichen Austausch- und Diskussionsprozess in mehreren Schritten. Die dabei entwickelten Stellungnahmen der Beteiligten sollen als An- hang in die Übermittlung des Enddokuments an die EU-Kommission eingehen.

 

Die Erstellung des Nationalen Sozialberichts setzt eine umfassende und kritische Armuts- und Reichtumsberichterstattung voraus, die sowohl lebenslagenbezogene Probleme und Potenziale der Armutsbekämpfung als auch Verteilungsproblematiken, die Armutslagen ver- schärfen, darstellt. Der diesjährige Armuts- und Reichtumsbericht liegt öffentlich noch nicht vor. Zwar wurde ein Sachverständigengremium benannt, in dem auch die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vertreten sind. Dieses wurde bisher jedoch nur zu einer ersten Vor- stellung der Projektziele eingeladen.

 

1.2.      Messbarkeit von sozialer Exklusion

 

An die Erstellung des Nationalen Sozialberichts stellt die BAGFW gleichermaßen die Anfor- derung, lebenslagenbezogene wie verteilungsbezogene Problemlagen zu benennen und auf dieser Basis schlüssige Reformvorhaben darzustellen.

 

Breites Indikatorenset

 

So ist etwa zu berücksichtigen, dass soziale Ausgrenzung wesentlich umfassender zu be- schreiben ist als primär durch den Maßstab der verfestigten Erwerbslosigkeit, die gleichwohl ein wichtiger Indikator für soziale Ausgrenzung bleibt.

 

Leben in Armut ist durch materiellen Mangel geprägt. Armut bedeutet aber mehr – soziale

Ausgrenzung in vielen Lebensbereichen. Der Begriff „relative Armut“ beschreibt eine durch

 

zu geringes Einkommen abbildbare Armutsgefährdung. Armutsbetroffenheit wird beschrie- ben durch den Mangel an Mitteln zum Erreichen des mittleren Lebensstandards und zur ge- sellschaftlichen Teilhabe. Dies bedeutet auch einen Mangel an Bildungschancen, sozialen Kontakten, Anerkennung, Netzwerken, Aufstiegschancen und letztlich demokratischen Mit- gestaltungsmöglichkeiten.

 

Vorschlag:

 

Die BAGFW regt an, das Indikatorenset zur Messung von Exklusion im Nationalen Sozialbe- richt breit aufzustellen. Neben Exklusion aus dem Erwerbssystem ließe sich dadurch auch der Umfang der kulturellen Teilhabe, die Konzentration von Armutslagen in bestimmten Wohnvierteln, gesundheitliche Folgen von Armut oder das Fehlen sozialer Netzwerke auf- zeigen.

 

Die BAGFW regt darüber hinaus an, im Nationalen Sozialbericht substantiiert insbesondere auf das Armutsrisiko von besonders gefährdeten Gruppen wie Erwerbslosen, Alleinerziehen- den, Familien, sowie auch auf die Gefahr der wachsenden Altersarmut einzugehen und mit adäquaten sozialpolitischen Maßnahmen zu verbinden.

 

 

 

2.  Fortschritte auf dem Gebiet der Offenen Methode der Koordinierung (OMK)

 

Die Offene Methode der Koordinierung (OMK) wurde im Zuge der Lissabon Strategie einge- richtet und soll die Zusammenarbeit, den Austausch, bewährte Verfahren sowie die Verein- barung gemeinsamer Ziele und Leitlinien von Mitgliedstaaten fördern. Nach Ansicht der BAGFW sollte die OMK im Bereich Sozialpolitik künftig noch stärker genutzt werden, um die jetzt im Rahmen der Europa 2020 Strategie gesetzten (sozialpolitischen) Ziele zu erreichen.

 

Die OMK bedient sich bestimmter Instrumente, die aus Sicht der Verbände der Freien Wohl- fahrtspflege auch zur Umsetzung der sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 - Förderung der Beschäftigung, Förderung der sozialen Eingliederung sowie Bildung und le- benslanges Lernen - und zum Nationalen Reformprogramm (NRP) beitragen können:

 

Gegenseitiges Lernen: Erfahrungen und „Gute Praxis“ werden zwischen den Nationalstaa- ten ausgetauscht. Land „A“ kann etwas von Land „B“ lernen und umgekehrt. Hierzu stellt die Europäische Kommission fest, wie die politische Praxis zu den genannten sozialpolitischen Zielen in den einzelnen Mitgliedstaaten aussieht. Die Mitgliedstaaten werden dazu verpflich- tet, darüber an die Kommission zu berichten (z.B. im nächsten Nationalen Sozialbericht) Al- lerdings sollte – vor allem angesichts der Diversität der mitgliedstaatlichen Sozialsysteme, ein vorsichtiger Umgang mit dem good practice-Vergleich und dem Transfer von Ergebnis- sen geübt werden. Denn das mit dem übernommenen Beispiel verfolgte Ziel soll kein rein quantitatives sein sondern auch qualitative Fortschritte für den einzelnen bewirken. Insge- samt ist aus Sicht der BAGFW aber eine Koordinierung der nationalen Sozialpolitiken auf europäischer Ebene wichtig, damit bestehende soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte eingeebnet werden können.

 

Statistische Vergleiche: Die Kommission erhebt statistische Daten aus den genannten so- zialpolitischen Politikfeldern. Dazu werden den nationalen Statistikämtern Vorgaben ge- macht, welche Daten sie in welcher Weise erheben sollten, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Für Deutschland könnte damit beispielsweise eine Verbesserung der bisher unzureichenden Wohnungsnotfall-Berichterstattung einhergehen.

 

Benchmarks: Die Kommission prüft mit Hilfe der erhobenen Daten, ob die Mitgliedstaaten damit einen Beitrag zur Erreichung der sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 (hier: soziale Eingliederung) leisten.

 

Empfehlungen: Der Rat gibt auf Vorschlag der Kommission detaillierte politische Empfeh- lungen, wie die sozialpolitischen Ziele erreicht werden könnten. Die Mitgliedstaaten sind aber nicht verpflichtet, diesen Empfehlungen zu folgen.

 

Aus Sicht der BAGFW sollten die genannten Instrumente der OMK als Methode des Monito- ring gestärkt werden, insbesondere im Hinblick auf die Erreichung der sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 und des NRP. Die OMK muss jedoch transparenter gestaltet wer- den. Sie muss außerdem demokratisch stärker legitimiert sein und die Zivilgesellschaft noch stärker einbeziehen. In diesem Zusammenhang wäre eine stärkere Beteiligung der nationa- len Parlamente, des Europäischen Parlaments und der organisierten Zivilgesellschaft an der Diskussion OMK-bezogener Ziele und Diskussionsmeilensteine wünschenswert. Auch wäre eine Neuauflage – vielleicht unter etwas veränderten und mit der Zivilgesellschaft bespro- chenen Aspekten – der Konferenzreihe“ Forteil“ zu begrüßen. Die größere Transparenz und Partizipation von Zwischenergebnissen, Verhandlungspapieren im Rahmen der OMK an Par- lamente und Zivilgesellschaft würde der Problematik entgegen wirken, dass es bei der OMK keine europäischen Regelungsentwürfe gibt, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden kön- nen. Denn die reine Legitimität, gewonnen aus den peer reviews bildet nicht die Idee der OMK ab, auch Ideen weit zu verbreiten, den Diskurs zu ermöglichen und systemadäquate Lösungen zu finden.

 

Im Rahmen des OMK-Prozesses und der Bewertung der nationalen Strategien sollten Emp- fehlungen aufgenommen werden, wie gut strukturierte Konsultationen der Zivilgesellschaft organisiert, welche Möglichkeiten für verantwortliche und transparente Einbeziehung von NGOs geschaffen und in welcher Weise Partizipation zivilgesellschaftlicher Organisationen im allgemeinen aufgebaut werden können.

 

Die OMK sollte überprüft und an die im Sozialbericht genannten Herausforderungen und Schwerpunkte, die sich an der Strategie Europa 2020 orientieren, angepasst werden. Die Krise der Wirtschaft und der Staatsverschuldung verschärft die Notwendigkeit engerer Zu- sammenarbeit und Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten. Dabei sind die Erfahrungen aus der Lissabon-Strategie zu nutzen. Armut und Ungleichheit können nur dann wirksam bekämpft werden, wenn Zugang zu qualitativ hochwertiger Beschäftigung und zu sozialem Schutz gewährleistet wird.

 

 

 

3.  Soziale Inklusion

 

Aus Sicht der BAGFW muss die Beschreibung der für eine bessere soziale Inklusion not- wendigen Maßnahmen über die im gegenwärtigen Nationale Reformprogramm festgelegten Maßnahmen hinausgehen.

 

3.1. Armut und Beschäftigung

 

a. Arbeitslose mit verfestigten Vermittlungshemmnissen

 

59,6 % der 6,1 Millionen Leistung Beziehenden nach dem SGB II befinden sich nach der Halbjahresstatistik der Bundesagentur für Arbeit vom Dezember 2011 zwei Jahre und länger im Leistungsbezug. Die verfestigten Problemlagen, die dieser Befund abbildet, lassen sich nur mit langfristig wirksamen Programmen zur besseren sozialen Integration auflösen, die

die Möglichkeit von kleinen Schritten bieten. Im Fokus sollte nicht nur die kurzfristige Vermitt- lung in Arbeit stehen, sondern die langfristige und nachhaltig wirksame Überwindung der Bedürftigkeit. Heute sind 28 % derjenigen, die in einem Monat die Hilfebedürftigkeit überwin- den, nach drei Monaten wieder im Leistungsbezug1.

 

 

 

 

 

1 Zahlen aus: Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen. Bundesagentur für Arbeit Mai 2012

 

Bewertung:

 

Das Nationale Reformprogramm benennt die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit durch Reduzierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen um 330.000 Personen als ein zentrales Ziel. Dieses Ziel ist aber angesichts eines Gesamtumfangs der Erwerbslosigkeit von 2,8 Millionen durch die Statistik der Bundesagentur der Arbeit im Juni 2012 erfassten Arbeitslosen sowie insgesamt knapp 4,5 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II bei abnehmender Arbeitsmarktdynamik wenig ambitioniert. Ebenso wenig lässt sich z.B. Kinder- und Jugendarmut, die nicht allein vom Erwerbsstatus der Eltern, sondern einer Vielzahl wei- terer Faktoren wie z.B. der Anzahl der Kinder in der Familie, Anzahl der erwerbslosen Er- wachsenen, gemeinsame Erziehung oder alleinerziehende Eltern, Bildungssituation, prekäre Beschäftigung der Eltern etc. abhängt, allein durch eine Konzentration auf Arbeitsvermittlung verbessern.

 

Zur nachhaltigen Bekämpfung der verfestigten Erwerbslosigkeit sind vielmehr Fördermaß- nahmen zur Verbesserung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit sowie der sozialen In- tegration notwendig, die also nicht die unmittelbare Arbeitsmarktintegration zum Ziel haben. Personen in mehrjähriger Erwerbslosigkeit, die darüber hinaus weitere so genannte Vermitt- lungshemmnisse aufweisen, bedürfen längerfristiger Integrationsstrategien. Hierzu gehören Maßnahmen der schrittweisen Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und zur sozialen Stabilisierung. Das Arbeitsmarktintegrationsziel ist hier ein mittel- bis langfristiges. Die Be- kämpfung weiterer Ausgrenzungsmechanismen ist nach Auffassung der BAGFW ein min- destens gleichwertiges Ziel. Die BAGFW würde es begrüßen, wenn die Bundesregierung einen solchen umfassenden Integrationsansatz, der den Empfehlungen der Europäischen Kommission zur „aktiven Eingliederung arbeitsmarktferner Personen“ vom 3. Oktober 2008 entspricht, verfolgen würde. Diese Personen und ihre Angehörigen sind von den Auswirkun- gen langfristiger Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt in mehrfacher Hinsicht betroffen: sie unter- liegen einer großen Armutsgefährdung, ihre Beschäftigungsfähigkeit ist wesentlich beeinträchtigt und ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten sind erheblich einge- schränkt.

 

In diesem Zusammenhang sind die erfolgten und angekündigten weiteren Kürzungen der

Eingliederungsmittel im Bundeshaushalt sowie die jüngsten Gesetzesänderungen durch die

„Instrumentenreform“ im SGB II kritisch zu beurteilen.

 

Vorschlag:

 

Die BAGFW regt an, im Nationalen Sozialbericht die Problematik der Integration von Men- schen in verfestigter Erwerbslosigkeit mittels adäquater Sozialindikatoren auszuweisen, an- hand derer die Ausgrenzungssituation beschrieben werden kann. Es bedarf messbarer Ziele zur Verbesserung dieser Situation sowie geeigneter politischer Maßnahmen, die mit einem ausreichenden Budget zu versehen sind. Nach Ansicht der BAGFW braucht es hierfür neue, passgenaue Instrumente zur Eingliederung dieser Personengruppe im Gesetz sowie einen ausreichend ausgestatteten Eingliederungstitel. Die darin vorgenommenen Kürzungen sind daher zurückzunehmen und innovative, multidimensionale Förderansätze für die arbeits- marktfernsten Personen zu entwickeln und zu erproben.

 

b.  Alleinerziehende

 

Die 616.000 Alleinerziehenden im Leistungsbezug (zu 94,2 % Frauen) bedürfen umfassen- der Hilfen auch im Bereich der Kinderbetreuung und der beruflichen Reintegration nach einer längeren Erziehungsphase, die auf ihre fortdauernd allein verantwortliche Erziehungssituati- on abgestimmt ist. Die hohen Hürden, eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung in Anspruch nehmen zu können, haben für sie besonders gravierende Auswirkungen. Ein Drittel aller El- tern, die einen Betreuungsplatz für ihre Kinder suchen, finden entsprechend der Ergebnisse der „Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“

 

keinen und können so ihr im Sozialgesetzbuch VIII festgeschriebenes Wunsch- und Wahl- recht bezüglich der Kinderbetreuung nicht ausüben2.

 

Vorschlag:

 

Der Nationale Sozialbericht sollte die Situation von Alleinerziehenden spezifisch in den Blick nehmen und mit politischen Maßnahmen versehen. Die BAGFW plädiert für einen Ausbau von Ganztagsbetreuungsplätzen sowie die Förderung des qualitativen Ausbaus von Kinder- tagesbetreuungseinrichtungen.

 

3.2. Soziale Sicherung von Kindern und Familien

 

Das Nationale Reformprogramm widmet sich zwar in größerem Umfang der besseren Bil- dungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen durch eine Verringerung der Anzahl von so genannten frühen Schulabgängern. Notwendig wäre indes auch, Teilhabeangebote für Kin- der und Jugendliche zu verbessern.

 

Während nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Rahmen der Europäi- schen Vergleichsstatistiken die allgemeine Armutsrisikoquote 2009 bei 15,6 % aller in Deutschland Wohnenden lag, betrug diese für Kinder und Jugendliche 17,5 %3. Dieser Durchschnittswert lässt aber nicht auf eine gleichmäßige monetäre Benachteiligung aller Kinder und Jugendlichen schließen. Während Haushalte mit bis zu zwei Kindern sogar un- terproportional von Einkommensarmut bedroht waren, galten 21,6 % der Familienmitglieder von Haushalten mit mehr als zwei Kindern und 43 % der Familienmitglieder von Alleinerzie- henden-Haushalten als armutsgefährdet. In beiden Fällen gibt es seit 2008 deutliche Zu- wächse in der Armutsgefährdung. Im Jahr 2008 hatte die Armutsgefährdungsquote der Haushalte von Alleinerziehenden noch bei 35,9 % (+ 7,1 % im Jahr 2010) gelegen, die von Haushalten mit mehr als drei Kindern und zwei Erwachsenen bei 15,2 % (+ 6,4 % im Jahr

2010). Im gleichen Zeitraum stieg die allgemeine Armutsrisikoquote nur um 0,4 %.

 

Der Familienlastenausgleich ist aber nicht darauf ausgerichtet, die genannten Problemlagen zu minimieren. Während Eltern mit höheren Einkommen mit bis zu 305 € monatlich durch den Kinderfreibetrag entlastet werden und sie ihr jährliches zu versteuerndes Bruttoeinkom- men durch die steuerlichen Freibeträge für Betreuung, Erziehung und Ausbildung in Höhe

von bis zu 4.000 € pro Kind mindern können, erhalten Menschen mit geringerem Einkommen lediglich 184 € Kindergeld für das erste Kind. Hinzu kommt, dass das Kindergeld bei Bezie- hern von Arbeitslosengeld II als Einkommen angerechnet wird. Die Regelbedarfe betragen

219 € für Unter-Sechsjährige, 251 € für Unter-Vierzehnjährige und 287 € für Unter- Achtzehnjährige. Für die derzeitige Berechnung der Bedarfe von Kindern und Jugendlichen wird eine wenig belastbare Datengrundlage verwendet.

 

Vorschlag:

 

Die BAGFW regt an, dass im Nationalen Sozialbericht auf die Armutsrisiken von Familien in unterschiedlichen Konstellationen eingegangen wird und die Effekte des Familienlastenaus- gleichs sowie anderer Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien untersucht werden. Als sozialpolitische Maßnahme empfiehlt die BAGFW, die Bildungs- und Teilhabeleistungen zu verbessern, insbesondere sind sie diskriminierungsfrei auszugestalten und der abschließen- de Katalog bei den Teilhabeleistungen ist zu öffnen. Der Ausbau der Betreuungseinrichtun- gen für Unter-Dreijährige soll Vorrang vor einem Betreuungsgeld haben.

 

 

 

 

 

 

2 Siehe www.nubbek.de, Homepage des Forschungsverbundes für die Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und

Erziehung in der frühen Kindheit

3   Berechnungen des statistischen Bundesamtes im Rahmen der Untersuchung „Leben in Europa“, European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC), für das Erhebungsjahr 2009.

 

3.3. Soziale Integration – Bildung, Betreuung und Teilhabe – von Kindern und Jugend- lichen

 

Das Nationale Reformprogramm lässt eine umfassende Beschreibung von Maßnahmen zur besseren Bildung, Betreuung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen vermissen. Dabei bestehen hier deutliche Handlungsbedarfe, auf die im Nationalen Sozialbericht einzugehen ist:

 

Der Kinderreport 2012 hat sehr deutlich gezeigt, dass ein Platz in der Kita für Kinder eine gute Armutsprävention ist4. Gerade für Kinder, die in Armut leben oder von Armut bedroht sind, ist ein unkomplizierter Zugang in die pädagogische Förderung einer Kindertagesstätte ab dem ersten Geburtstag von Vorteil. Schon in der Krippe wird aus unterschiedlichen Start- chancen eine besondere Förderung von Lernen, Sprachentwicklung und gemeinschaftlicher Entwicklung im Gruppenprozess, die in Kindergarten- und der Vorschulstufe ihre Fortsetzung findet. In der Schule bietet eine Ganztagsbetreuung weitere Chancen.

 

Ein Drittel derjenigen, die einen Betreuungsplatz für ihre Kinder suchen, finden – wie bereits dargestellt – keinen5. Die Mehrzahl der Eltern begründet die Suche nach einem Betreuungs- platz erst an zweiter Stelle mit dem Wunsch nach Berufstätigkeit. An erster Stelle wird der positive Einfluss auf die Entwicklung des Kindes genannt. Für die Arbeitsmarktintegration von Erziehenden und die Sicherung des Existenzminimums ihrer Familien aus eigener Kraft wiederum ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend, in besonderer

Weise für Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern. Flächendeckend fehlen aus- reichende Betreuungsplätze, insbesondere für Unter-Dreijährige. Der ab 2013 bestehende Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Unter-Dreijährige lässt sich absehbar nicht einlösen. Kurz vor Inkrafttreten dieses Rechtsanspruches will die Bundesregierung nun das Betreuungsgeld in Höhe von bis zu 150 € monatlich für Eltern einführen, die ihre Kinder nicht in die öffentliche Kinderbetreuung geben.

 

Für Kinder und Jugendliche, die Anspruch auf Leistungen nach SGB II oder XII, Kinderzu- schlag oder Wohngeld haben, wurden im Jahr 20116 im Gesetz neben den Regelbedarfen Bildungs- und Teilhabeleistungen eingeführt. Es bestehen Ansprüche auf die folgenden Leis- tungen:

 

•           insgesamt 100 € für schulischen Bedarf jährlich

•           Lernförderung

•           Klassenfahrt / Kita-Fahrt / Tagesausflug

•           Fahrtkosten zu Schule

•           10 € monatlich für Musik / Sport / Verein etc.

•           Mittagessen mit Eigenanteil von 1 € in Betreuungseinrichtung

 

Die Rückmeldungen der Träger der Freien Wohlfahrtspflege machen gravierende Umset- zungsdefizite beim Bildungs- und Teilhabepaket deutlich. Diese werden durch eine Umfrage des Diakonischen Werkes bei 110 Beratungsstellen bestätigt7. So gestalten sich Antragswe- ge kompliziert, sind schwer verständlich und bis zu acht verschiedene Stellen und Zah- lungswege können anfallen. Schulen in sozialen Brennpunkten beklagen ihre Belastung durch zusätzliche Beratungsleistungen für die Finanzierung von Klassenfahrten oder bei In- anspruchnahme von Lernförderung. Unterschiedliche Bewilligungszeiträume für die Leistun- gen sind verwirrend. Je mehr Kinder in einer Familie leben, umso größer ist der Aufwand.

Bei sprachlichen Problemen sind die Antragswege kaum verständlich. Nach einer Erhebung

 

4 Ronald Lutz: Kinderreport 2012. Mitbestimmung in Kindertageseinrichtungen und Resillienz. Velber Verlag Freiburg 2012

5 Entsprechend der Ergebnisse der „Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“;

www.nubbek.de, Forschungsverbund Nationale Untersuchung zu Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit.

6 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zu Änderungen im SGB II und SGB XII.

 

7 Diakonie-Texte. Positionspapier 05.2012: Rechtssicherheit und Fairness bei Grundsicherung nötig. Diakonie- Umfrage ergibt: SGB-II-Rechtsansprüche regelmäßig nicht umgesetzt.

 

des DGB vom April 2012 flossen von 636 Mio. € bereitgestellten Mitteln 2011 aus diesem Grunde nur 130 Mio. € ab8. Während die Mittel für Leistungen für Schulbedarfe (46 % der abgerufenen Mittel) und Klassenfahrten (29 %) relativ stark nachgefragt werden, werden die besonders kompliziert zu beantragende und restriktiv ausgestaltete Lernförderung (2 %) und die für Anbieter von Freizeitaktivitäten kompliziert abzurechnende monatliche Teilhabepau- schale von 10 € (4,5 % der abgerufenen Mittel) kaum in Anspruch genommen.

 

Vorschlag:

 

Die Bildungs- und Teilhabeleistungen sind zu verbessern, insbesondere sind sie diskriminie- rungsfrei auszugestalten und der abschließende Katalog bei den Teilhabeleistungen ist zu öffnen.

 

3.4. Ausgestaltung von Grundsicherungsleistungen

 

Lebenslagen, Familien- und Rollenverständnisse von Menschen in Deutschland flexibilisie- ren sich. Unregelmäßige Erwerbsverläufe, die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit durch Phasen längerer Erwerbslosigkeit, durch Erziehungs- und durch Pflegezeiten sowie die für viele Personen bestehende Notwendigkeit, sich im Laufe ihres Lebens beruflich neu zu ori- entieren, prägen die Erwerbsbiografien. Daher hat die Ausgestaltung der möglichen Inan- spruchnahme von Leistungen für Erwerbslose für sehr viele Menschen eine hohe Bedeutung. Der Bezug der Lohnersatzleistung Arbeitslosengeld ist für den Großteil der An- spruchsberechtigten auf 12 Monate begrenzt und setzt längere Vorbeschäftigungszeiten vo-

raus. Die Ausgestaltung der Grundsicherung prägt somit auch für einen wachsenden Teil der Erwerbsbevölkerung die Wahrnehmung der sozialen Sicherheit, auf die man sich bei unsi- cheren Erwerbsbiografien verlassen kann. Für die arbeitsmarktfernen Leistungsberechtigten setzt die Grundsicherung eine untere Grenze der Existenzsicherung für ein menschenwürdi- ges Leben.

 

Die Neufassung der Regelbedarfe in den SGB II und XII hat die Erwartungen der Freien Wohlfahrtspflege nicht erfüllt, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, transparent, sach- und realitätsgerecht zu erfolgen. Durch die Absenkung der Bezugsgruppe in der Ein- kommens- und Verbrauchsstichprobe auf die unteren 15 statt wie bisher 20 % der Einkom- men bei den Einpersonenhaushalten und die oftmals willkürlich erscheinende Streichung einzelner Bedarfspositionen wie etwa Zimmerpflanzen, Gesundheitskosten oder zusätzliche

Betreuungskosten von Kindern, entsteht der Eindruck, dass der Regelbedarf offenbar auf ein haushalterisch festgelegtes Maß herunter gerechnet wurde.

 

Die Rechtsstellung der Leistungsberechtigten in der Grundsicherung ist unsicher. Leistungs- ansprüche werden nicht zuverlässig eingelöst. Eine qualifizierte, zuverlässige und nied- rigschwellige Betreuung der Leistungsberechtigten ist nicht gewährleistet. Die Leistungsberechtigten müssen jederzeit damit rechnen, aufgrund von Sanktionen gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft unterhalb des Existenzminimums zu geraten. Bei einer Sanktionierung in Höhe von mehr als 30 % des Regelbedarfs wird das physische Existenz- minimum unmittelbar angegriffen. Durch Darlehensrückzahlungen – neuerdings auch für Mietkautionen –, ungenaue Einkommensan- und -rückrechnungen, die scharfen Regelungen für Unter-25-Jährige sowie gravierende Probleme bei der rechtssicheren Gewährleistung der Leistungsansprüche durch die Jobcenter wird das Recht auf Existenzsicherung ebenfalls regelmäßig in Frage gestellt. Besondere personenbezogene Bedarfe etwa bei gesundheitli- chen Einschränkungen werden nur unzureichend erstattet, notwendige größere Anschaffun- gen wie Kühlschrank oder Waschmaschine werden weder im Regelbedarf ausreichend noch durch einmalige Zuschüsse berücksichtigt.

 

Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterschreiten eine der Menschen- würde angemessene Existenzsicherung, da sie seit ihrer Einführung zu Beginn der 1990er-

 

 

8 DGB arbeitsmarkt aktuell, Nr. 4, April 2012.

 

Jahre nicht mehr an die Preisentwicklung angepasst wurden und schon seinerzeit nur die physische Existenz sichern sollten. Das Asylbewerberleistungsgesetz fördert die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung von Asylsuchenden und sonstigen Leistungsberechtigten, die oft schon seit Jahren in Deutschland leben oder sogar hier geboren sind.

 

Vorschlag:

 

Die BAGFW regt an, im Nationalen Sozialbericht die Auswirkungen der neuen Bestimmun- gen zur Bemessung der Regelbedarfe auf die Empfänger von Leistungen nach SGB II sowie der Sanktionsregelungen zu thematisieren und die dort notwendigen sozialpolitischen Re- formschritte aufzuzeigen.

 

Die BAGFW ist der Ansicht, dass sich eine zukünftige Bedarfsermittlung wieder an den unte- ren 20 Prozent der in der EVS befragten Haushalte zu orientieren hat. Verdeckt Arme sind heraus zu rechnen. Außerdem müssen zusätzliche teilhabeorientierte Ausgabekategorien in den Regelbedarf aufgenommen werden, um mehr Flexibilität zu ermöglichen. Die Ungleich- behandlung von erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Menschen im SGB II und SGB XII durch die Einführung der Regelbedarfsstufe 3 zum 01.04.2011 sollte zurück genommen wer- den bzw. der Regelbedarf der über 25-jährigen Nichterwerbsfähigen nach dem SGB XII (Re- gelbedarfsstufe 1) sollte dem Regelbedarf der über 25-jährigen Erwerbsfähigen nach dem SGB II angepasst werden. Die Anrechnung des Elterngeldes bei SGB II-Empfängern sollte zurück genommen werden.

 

Nach Ansicht der BAGFW sollten Sanktionen im Ermessen des Jobcenters stehen, um dem Einzelfall gerecht zu werden. Eine Sanktionierung in die Kosten der Unterkunft ist abzu- lehnen, da sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Verhaltensänderungen sollten unmit- telbar zu einer Rücknahme von Sanktionen führen können. Junge Erwachsene im Leistungsbezug und dürfen weder schärferen Sanktionsregelungen unterliegen noch im Haushalt ihrer Familie wohnen bleiben müssen.

 

Eine rechtssichere Gewährung der Grundsicherungsleistungen muss in jedem Einzelfall ge- währleistet und durch notwendige personenbezogener Bedarfe ergänzt sein. Die Beratungs- personen müssen ausreichend pädagogisch qualifiziert und gut zu erreichen sein. Es soll feste Ansprechpartner geben.

 

Das Asylbewerberleistungsgesetz soll abgeschafft und seine Leistungsberechtigten in die

Grundsicherung für Arbeitsuchende überführt werden.

 

 

 

4.  Rente

 

4.1. Steigende Altersarmut und ihre Gründe

 

Für die nächsten Jahre ist von einer stetig wachsenden Altersarmut auszugehen. Waren Menschen im Rentenalter bis vor wenigen Jahren im Vergleich zum Bevölkerungsdurch- schnitt unterproportional von Armut bedroht, so nähert sich seit einigen Jahren die Armutsri- sikoquote für diese Gruppe dem allgemeinen Durchschnitt an und wächst absehbar über die Durchschnittswerte hinaus. Dabei sind deutliche geschlechtsspezifische Faktoren zu beach- ten. Während die allgemeine Armutsrisikoquote 2009 durchschnittlich 15,6 % betrug, lag sie bei den über-65-jährigen Frauen bei 15,9 %, aber bei nur 12,1 % bei den gleichaltrigen Män- nern. Bei den Frauen im Erwerbsalter liegt die Risikoquote bereits bei 16,3 %.

 

Auch die Zahl der Beziehenden von Grundsicherungsleistungen im Alter wächst. Von Armut im Alter aufgrund von Niedrigrenten sind überproportional Frauen betroffen. In Deutschland beziehen Frauen um 59,6 % geringere eigene Alterssicherungseinkommen als Männer.

 

Die Altersarmut wird im nächsten Jahrzehnt weiter zunehmen. Modellrechnungen gehen von einer Bandbreite der vorausgesagten Armut älterer Menschen im Jahr 2020 von 17 % bis

20% der entsprechenden Altenbevölkerung aus, insbesondere wird die Altersarmut in Ost- deutschland ansteigen9.

 

Hierfür gibt es mehrere Gründe:

 

Seit Beginn dieses Jahrhunderts werden die Effekte der demografischen Entwicklung auf

das in den 1950er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeführten Umlagesystem in der Ren- te diskutiert. Mit den Rentenreformen am Anfang dieses Jahrhunderts wurde der These ge- folgt, dass die umlagefinanzierte Rente, bei der zukünftig auf immer weniger erwerbstätige Beitragszahler immer mehr Rentnerinnen und Rentner kommen, in ihrer Stabilität gefährdet sei. Durch die Einführung des Riester-Faktors wurden die Rentenbeiträge für die erwerbstä- tigen Beitragszahlenden stabilisiert, während zukünftige Rentenzuwächse gedeckelt wurden. Die wachsende Lücke zwischen dem bisherigen Lebensstandard und sinkenden Ansprüchen an die gesetzliche Rentenversicherung sollte durch Anreize für eine zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge geschlossen werden. In vielen Fällen erfolgt die zusätzliche Vor- sorge jedoch nicht in ausreichendem Maße. Gerade bei Einkommen am Rande des Exis- tenzminimums ist die Finanzierung einer ausreichenden Zusatzvorsorge oft nicht gewährleistet. Auch Betriebsrentenregelungen erreichen zuvörderst langjährig stabil Be- schäftigte.

 

Während Zeiten der Erwerbslosigkeit ist die Finanzierung einer zusätzlichen privaten oder betrieblichen Altersvorsorge nur Wenigen möglich. Weitere Lücken in den Ansprüchen an das gesetzliche Rentensystem entstehen durch die fehlende Verbeitragung aller Zeiten der Erwerbslosigkeit, die über den Bezug der Lohnersatzleistung Arbeitslosengeld (I) hinausge- hen.

 

Durch Zeiten der Erziehung oder der Pflege werden in erster Linie die Erwerbsbiografien von Frauen durchbrochen, ohne dass in diesen Zeiten entsprechende Ansprüche an die gesetzli- che Rente oder eine hinreichende private oder betriebliche Altersvorsorge aufgebaut wer- den. Für die Zeiten der Kindererziehung erweist sich der Mangel an

Kinderbetreuungsplätzen auch als Grund für spätere Altersarmut.

 

Auch die Effekte prekärer oder geringfügiger Beschäftigung machen sich im Alter durch ge- ringe Rentenansprüche infolge minimaler Beitragszahlungen sowohl in der gesetzlichen Rente als auch in anderen Vorsorgesystemen deutlich bemerkbar.

 

Bei fehlenden Ansprüchen auf eine Erwerbsminderungsrente wird das Existenzminimum durch die Grundsicherung bei Erwerbsminderung aufgefangen. Es ist absehbar, dass ein großer Teil dieser Personen auch auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird.

 

Die Feststellung regelmäßiger oder einmaliger Bedarfe im SGB XII wird der besonderen Le- benssituation älterer oder gesundheitlich beeinträchtigter Menschen nicht ausreichend ge- recht.

 

Vorschlag:

 

Die Bekämpfung von Altersarmut muss an drei Punkten ansetzen:

 

Für die Rentenhöhe spielt es eine große Rolle, ob Zeiten der Erwerbslosigkeit, der Erziehung und der Pflege einer angemessenen Verbeitragung in der Rentenversicherung unterliegen.

 

9 Geyer, Johannes und Steiner, Viktor (2010b): Erwerbsbiographien und Alterseinkommen im demographischen Wandel – eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland. In: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin: Politikberatung kompakt, Nr. 55; Hanesch, Walter, 2010: Die Entwicklung der Grundsicherung im Alter im Zeitraum 2008 bis 2020. Expertise für den Sozialverband VdK Hessen-Thüringen, Hochschule Darmstadt, S. 43.

 

Durch verbesserte Anrechungsmodalitäten für bestimmte Lebensphasen müssen Lücken in der Rentenbiografie geschlossen werden. Für erwerbsgeminderte Menschen muss eine an- gemessene Rentenleistung gewährleistet werden.

 

Zur Prävention von Altersarmut müssen die zentralen Armutsrisiken in der Erwerbsphase überwunden werden: Erwerbslosigkeit, strukturelle Nachteile für Alleinerziehende und kinder- reiche Familien, Benachteiligungen durch Zeiten der Erziehung und der Pflege, prekäre und geringfügige Beschäftigung. Ausreichende Beitragszahlungen in die Altersvorsorge müssen dadurch ermöglicht werden, dass das Existenzminimum und die Altersvorsorge eigenver- antwortlich durch ein Erwerbseinkommen in ausreichender Höhe gesichert werden können.

 

Hierzu gehört auch eine politische Strategie gegen prekäre Beschäftigung und gegen die Aufsplitterung von sozialversicherten Stellen in geringfügige Beschäftigungen. Diese Strate- gie soll an einer angemessenen Entlohnung und Verbeitragung dieser Erwerbseinkommen ansetzen.

 

Für diejenigen, die weder im Nachhinein durch eine verbesserte Bewertung von prekären Lebenssituationen als Beitragszeiten noch von Anfang an durch Beitragszahlungen aufgrund eines besseren Arbeitsmarktzuganges und eines entsprechenden Entgeltes vor Altersarmut bewahrt werden können, muss es eine verlässliche und auf die Besonderheiten dieser Le- benssituation abgestimmte Grundsicherung im Alter geben.

 

Auch der von der Bundesregierung vorgelegte Referentenentwurf eines RV-Lebensleistungs- anerkennungsgesetzes (so genannte Zuschussrente) wird hier keine Entlastung bringen. Insbesondere Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien (z.B. wegen Erziehungs- zeiten, Krankheit oder Arbeitslosigkeit) und Niedrigverdiener werden die Zugangsvorausset- zungen der Zuschussrente nur selten erfüllen können: Sie können weder die erforderlichen Beitragsjahre vorweisen, noch haben sie die finanziellen Mittel, um privat oder betrieblich vorzusorgen.

 

 

 

5.  Gesundheitsschutz und Langzeitpflege

 

5.1 Unterkapitel Gesundheitsschutz

 

Krankenversicherungsschutz für alle Menschen

Für die BAGFW ist es von grundlegender Bedeutung, dass alle Menschen unterschiedslos Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung haben, dies ist eine wesentliche Vo- raussetzung für die soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aus der Sicht der Freien Wohlfahrtspflege ist es die Aufgabe der Politik, die Solidarität zwischen gesunden und kran- ken, einkommensstarken und -schwachen Bürgern zu stärken. Ein umfassender Kranken-

versicherungsschutz muss auch die Bedarfe chronisch kranker Menschen mit niedrigem

Einkommen umfassen, die durch Kostenbeteiligungen und Leistungsausgrenzungen erheb- lich belastet werden können.

 

Gesundheitliche Chancengleichheit als strategische Aufgabe

Mehr als bislang ist nach Auffassung der BAGFW das erhebliche Ausmaß gesundheitlicher

Ungleichheit als sozialpolitisches Thema in den Blick zu nehmen. Ein für alle Menschen zu- gängliches medizinisches Versorgungssystem ist nur ein Baustein, um gesundheitliche Chancengleichheit zu verwirklichen. Wesentliche Faktoren für die Gesundheit liegen außer- halb des Gesundheitssystems, sie sind mit den Lebens-, Arbeits- und Wohnbedingungen verbunden. Die Freie Wohlfahrtspflege plädiert für eine sektorenübergreifende Strategie der

gesundheitlichen Chancengleichheit.

 

Inklusives Gesundheitssystem

Wird die UN–Behindertenrechtskonvention als Maßstab ernst genommen, steht das Ge- sundheitswesen vor einem Paradigmenwechsel: Die Regelsysteme der gesundheitlichen

 

Versorgung sind inklusiv auszugestalten, d. h. die Gesundheitsdienstleistungen und

-strukturen sind so gestalten, dass Menschen mit Behinderungen den gleichen Zugang zu ihnen haben wie Menschen ohne Behinderungen. Bestehende und zukünftige Gesetzge- bung, die sich auf Gesundheitsversorgung, Prävention, Rehabilitation und Pflege bezieht, ist auf Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu überprüfen (Disability Mainstreaming). Ein inklusives Gesundheitssystem verlangt, dass die Politik Rahmenbedin- gungen im Hinblick auf wohnortnahe Versorgungsangebote im Sozialraum formuliert, um verbindliche Kooperationsnetzwerke für die niederschwellige, effektive und bedarfsdecken- de Versorgung von Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Der behinderungsassoziierte quantitative und qualitativen Mehrbedarf behinderter Menschen muss – auch hinsichtlich der Leistungserbringung - finanziert werden.

 

Medizinische Rehabilitation stärken

Die medizinische Rehabilitation ist ein wichtiger Baustein im Gesundheitswesen. Ihr Beitrag zur Teilhabesicherung, Befähigung und Inklusion insbesondere für chronisch kranke, behin-

derte, pflegebedürftige und multimorbid erkrankte Menschen wird derzeit jedoch noch nicht ausreichend erkannt: Die medizinische Rehabilitation ist ein Unterversorgungssektor im Ge- sundheitssystem, obwohl ihre Qualität und ihre Wirksamkeit unstrittig sind. Die volkswirt- schaftliche Relevanz der medizinischen Rehabilitation wird erst allmählich erkannt: Der

demographische Wandel, mit ihm verbunden die Zunahme der „reha-intensiven“ Jahrgänge,

die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, das Bemühen, die Beschäftigungsfähigkeit der Ar- beitnehmer zu erhalten, der Fachkräftemangel aufgrund des Rückgangs der Zahl jüngerer Erwerbstätiger, aber auch die gesundheitlichen Bedarfe der älteren Menschen bewirken ei- nen Anstieg des Rehabilitationsbedarfs und machen zugleich die Stärkung der medizini- schen Rehabilitation volkswirtschaftlich sinnvoll und notwendig. Vor diesem Hintergrund spricht sich die BAGFW für eine Weiterentwicklung dieses teilhabeorientierten Sektors im Gesundheitswesen aus.

 

Elf Jahre nach Verabschiedung des SGB IX sind zahlreiche Umsetzungsdefizite unstrittig. Fachlich und politisch ist zu klären, wie die im SGB IX verankerten Kooperations-, Koordina- tions- und Konvergenzbestimmungen weiterzuentwickeln sind: Es ist zu gewährleisten, dass jeder Versicherte unabhängig von der jeweiligen Zuständigkeit des Reha-Trägers die aus erforderlichen Rehabilitationsleistungen entsprechend dem individuellen Rehabilitationsbe- darf nach Art, Umfang und Ausführung einheitlich erhält. Die BAGFW macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass der faktische Zugang zu rehabilitativen Leistungen durch hohe Barrieren gekennzeichnet ist. Hinsichtlich des Leistungsangebots ist kritisch festzustellen, dass die mobile Rehabilitation, die der Gesetzgeber explizit für die Menschen gewollt hat, die sonst keine Chance haben, rehabilitative Leistungen in Anspruch zu nehmen, bislang nur sehr zögerlich verwirklicht wird.

 

Auch die Grundsätze „Rehabilitation vor Pflege“ und „Rehabilitation in der Pflege“ werden bislang nur sehr unzureichend umgesetzt. Die BAGFW hält im Verhältnis von medizinischer Rehabilitation und Pflege einen Paradigmenwechsel für unabdingbar: (Drohende) Pflegebe- dürftigkeit ist grundsätzlich als Anhaltspunkt für Teilhabebedarf anzusehen.

Die Probleme der Umsetzung der Komplexleistung Frühförderung für behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder (nach § 30 SGB IX) sind bekannt und ihre Ursachen hinrei- chend erforscht. Die BAGFW hat hierzu konkrete Vorschläge entwickelt.

 

Prävention und Gesundheitsförderung weiterentwickeln

Die Bedeutung chronischer Krankheiten, der demographische Wandel und das soziale Ver- teilungsmuster von Mortalität und Morbidität machen es notwendig, dass Prävention und Gesundheitsförderung zu einem Eckpfeiler des Gesundheitswesens zu machen. Die

BAGFW spricht sich für die Formulierung eines Präventionsgesetzes aus, das den Bereich

der sozialen Primärprävention (und Gesundheitsförderung) reguliert, um sozial bedingte Ungleichheiten der Gesundheitschancen zu verringern und gesundheitsförderliche Lebens- welten zu schaffen. Eine Strategie der Gesundheitsförderung macht Aussagen zur konzepti- onellen Ausrichtung, zu primären Zielgruppen, zur Formulierung nationaler Präventionsziele

 

und -strategien, zur Gestaltung einer gesundheitsförderlichen Infrastruktur, zu den „Präventi- onsträgern“ und zu deren Verpflichtung zur Kooperation sowie zur Finanzierung und zu Qua- litätsentwicklung und Evaluation enthalten.

 

5.2 Unterkapitel Langezeitpflege

 

Das Risiko pflegebedürftig zu werden liegt vor dem 60. Lebensjahr bei rd. 0,8 %, zwischen dem 60. und dem 80. Lebensjahr bei rd. 4,6 % und nach dem 80. Lebensjahr rd. 29,7 %. Der Fokus des Themas Langzeitpflege sollte deshalb auf älteren pflegebedürftigen Menschen liegen. 10

Die Bevölkerungsvorausschätzungen gehen von einem Anstieg der Anzahl älterer Personen

(65 Jahre und älter) von 2008 bis zum Jahr 2050 um 6,7 Mio. Menschen von 16,7 auf 23,4

Mio. Menschen bzw. von rd. 20 % der Gesamtbevölkerung auf rd. 32 % der Gesamtbevölke- rung von dann rd. 74 Mio. Einwohnern aus. Im Jahr 2008 lebten etwa 4 Millionen 80-Jährige und Ältere in Deutschland; 2050 werden dies über 10 Millionen sein (Anstieg von 4,1 % auf

14,7%). 11

Auf der Basis einer dauerhaft konstanten altersspezifischen Pflegewahrscheinlichkeit würde die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in der sozialen Pflegeversicherung von derzeit 2,32

Mio. auf 3,28 Mio. 2030 ansteigen. Diese Entwicklungen lassen einen zunehmenden Bedarf an finanzieller und personeller Absicherung des sozialen Risikos der Pflege erwarten. 12

 

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vom 26.10.2009 die Diskussion um den Pflegebedürftigkeitsbegriff aufgegriffen und dargelegt, dass sie eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit und damit mehr Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversi- cherung schaffen wolle. Vor diesem Hintergrund ist das nun verabschiedete Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-NeuausrichtungsGesetz - PNG) enttäu- schend. Die verbesserten Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter All- tagskompetenz (§ 123 PNG) sowie die Regelungen zur häuslichen Betreuung (§ 124 PNG) sind als Übergangsregelungen bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsge- währung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Be- gutachtungsverfahrens regelt, konzipiert. Einen Ansatz zu den offenen politischen Fragestellungen zur Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs bleibt das Gesetz schuldig.

 

Im März 2012 wurde der Expertenbeirat zur Ausgestaltung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs einberufen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege haben ein großes Interesse daran, den in den vergangenen Jahren aktiv mitgestalteten Prozess der Weiterentwicklung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs weiter konstruktiv zu begleiten.

 

Nach der Pflegestatistik 2009 wurden mehr als zwei Drittel (69% oder 1,62 Millionen) aller pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Von diesen erhielten 1,07 Millionen pflegebedürftige Menschen ausschließlich Pflegegeld - das bedeutet, dass sie in der Regel allein durch An- gehörige und/oder soziale Netzwerke gepflegt wurden. Weitere 555 000 pflegebedürftige Menschen lebten ebenfalls in Privathaushalten, bei ihnen erfolgte die Pflege jedoch zusam- men mit oder vollständig durch ambulante Pflegedienste. In Deutschland gibt es umfangrei- che Berichte und statistische Materialien zur Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflege-Pflichtversicherung und zu den öffentlichen Pflegeausgaben, auf diese kann im Sozialbericht verwiesen werden. Die Pflegeversicherung stellt jedoch ein Teil- leistungssystem dar. Ihre Leistungen reichen nicht aus, um die häusliche Pflege alleine über professionelle Dienste zu gewährleisten. Es bedarf ergänzender Eigenleistungen und/oder

 

 

10 BMG: Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung (04/12)

 

11 Grundlage: 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung; mittlere Variante, Wanderungssaldo 200 000

 

12 BMG: Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung (04/12)

 

der Unterstützung durch die Familie/der informellen Pflege. Der Fokus sollte deshalb auf einer differenzierten Darstellung der privaten Pflegeausgaben und der Lebenslagen sowie der finanziellen Situation von Pflegehaushalten liegen. Hierbei sind geschlechtsspezifische und schichtspezifische Faktoren zu berücksichtigen. Für die nächsten Jahre ist von einer

stetig steigenden Altersarmut auszugehen. Dabei kann sowohl die eigene Pflegebedürftigkeit als auch die informelle Pflege zu einer sozialen Ausgrenzung führen.

 

In Pflegeheimen betreut wurden 2009 insgesamt 717 000 Pflegebedürftige (31% der pflege- bedürftigen Menschen). Neben den Leistungen der Pflegeversicherung bedarf es in der sta- tionären Pflege erheblicher Eigenmittel der betroffenen Menschen, ggf. ihrer zuzahlungspflichtigen Angehörigen oder der ergänzenden Sozialhilfe.

 

Im Hinblick auf die pflegenden Angehörigen wird von Armutsgefährdungsrisiken gesprochen. Die mit informeller Pflege einhergehenden sozialen Risiken sind schichtspezifisch und regio- nal auch unterschiedlich verteilt. Die häusliche Pflege durch Angehörige kann anhängig von der Qualifikation der pflegenden Person, der Haushaltsstruktur, der Dauer der Pflegebedürf- tigkeit, dem Geschlecht durch unterbrochene Erwerbsverläufe, Einkommensverluste geprägt sein. Hinzu kommt, dass die Unterstützung der Pflegeversicherung bei den Rentenversiche- rungsbeiträgen die Ausfallzeiten der informell Pflegenden nicht vollständig kompensiert. Da- mit kann die informelle Pflege mit Armutsgefährdungsrisiken verknüpft sein. Die Regelungen des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes sind hier nicht ausreichend.

 

Handlungsbedarf

 

-    Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit einer gerechteren Verteilung der

Leistungen der Pflegeversicherung,

-    Schaffung eines ausreichenden finanziellen Rahmens zur Umsetzung des neuen Pflege- bedürftigkeitsbegriffs

-    Finanzierung: PNG: (Anhebung von 1,95 % auf 2,05 %/Kinderlose: 2,3 %). Zusätzlich weiteres Gesetz zur steuerlichen Förderung der freiwilligen privaten Pflege-Vorsorge ab dem 01.01.2013 geplant (laut Presse ca. 500 Mio. €).

-    Die sehr moderate Beitragserhöhung in der Pflegeversicherung, die im PNG beschlossen wurde (kurzfristig wirksame Beitragssatzerhöhung um 0,1 Beitragssatzpunkte) genügt nicht. Bei einer leistungsrechtlichen Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs wird es jedoch erforderlich sein, die Pflegeversicherung auf eine finanziell nachhaltige Ba- sis zu stellen. Dies wird mit einer Erhöhung von 0,1 % nicht gelingen. Zudem muss dem Kaufkraftverlust der Leistung der Pflegeversicherung entgegengewirkt werden.

-    Erhebung der privaten Pflegeausgaben, um auf einer abgesicherten statistischen Basis die Ermöglichung von sozialpolitischen Maßnahmen zu gewährleisten.

-    Es gilt die Armutsgefährdungsrisiken für informell Pflegende zu identifizieren und Gegen- maßnahmen zu entwickeln.

-    Analyse der Wechselwirkungen zwischen den Leistungen der Pflegeversicherung und der

Alterssicherung.

 

Die Pflegekassen übernehmen die Rentenversicherungsbeiträge nur für Pflegepersonen, die mindestens 14 Stunden in der Woche pflegen. Des Weiteren bestimmt sich die Beitragshöhe nach der jeweiligen Pflegestufe des pflegebedürftigen Menschen. Dies ist nicht sachgerecht, deshalb muss die Höhe der Rentenversicherungsbeträge der Pflegekassen nach § 44 SGB XI zukünftig unabhängig von der Pflegestufe erfolgen. Außerdem sind auch die pflegenden Angehörigen von Menschen mit einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz (z. B. Menschen mit Demenz) ohne Pflegestufe einzubeziehen. Darüber hinaus sind die Renten- versicherungsbeiträge deutlich anzuheben, damit pflegebedingte Berufsunterbrechungen langfristig nicht zu einem Risikofaktor für Armut im Alter werden.

 

Handlungsbedarf beim Pflegezeitgesetz bzw. Familienpflegezeitgesetz

 

-    Lohnfortzahlung bei der kurzfristigen Freistellung analog zum Krankengeld bei Erkran- kung des Kindes (§ 45 SGB V) durch eine Verankerung im SGB XI,

-    Lohnersatzleistungen bei der Pflegezeit/Familienpflegezeit anlog zu den Elternzeitrege- lungen,

-    die Aufhebung der Kleinbetriebsklausel (von mehr als 15 Beschäftigten) bei der Pflege- zeit, da die Pflegezeit unabhängig von der Betriebsgröße gewährt werden muss,

-    die Einbeziehung von Angehörigen sterbender Menschen ohne Pflegestufe,

-    die Einbeziehung von Angehörigen mit einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz ohne Pflegestufe,

-    eine Verlängerung der Dauer der Familienpflegezeit, da mit den gegenwärtigen maximal zwei Jahren häufig nicht die gesamte Pflegedauer abgedeckt werden kann,

-    Einführung eines Rechtsanspruch auf eine Familienpflegezeit.